Impulse zu den Bildwelten der Bibel

Warum erinnert Notre-Dame an Sehnsucht des Menschen?

Bild: Millionen Menschen nahmen beim Dachstuhl-Brand der Kathedrale Notre-Dame von Paris am 15. April 2019 wie auch der Rettung des Bauwerks aus dem 12./13. Jahrhundert in den fast sechs Jahren danach emotional großen Anteil, auch Menschen, die mit dem katholischen Glauben nichts verbindet. Die so überaus kunstvollen gotischen Kathedralen verweisen mehr als andere Kirchen auf die göttliche Transzendenz und sprechen damit eine heute oft verborgene oder verdrängte Sehnsucht des Menschen an, es möge doch etwas Heiliges und Rettendes über dem Menschen geben, eine ‚vertikale‘ Dimension, die bei aller Beschäftigung mit der nur noch ‚horizontalen‘ Alltagskultur der Gegenwart unterzugehen droht. Kathedrale Notre-Dame von Chartres, illuminiert mit Adam und Eva und dem Paradiesbaum.


Auch wenn die am 8. Dezember wiedereröffnete Kathedrale Notre-Dame von Paris irgendwie für das alte identitätsstiftende Zentrum der französischen Nation und Kultur steht und die Erzdiözese von Paris das alleinige Verfügungsrecht über die Nutzung der Kirche hat (seit 1991 Weltkulturerbe), so darf doch nicht übersehen werden, dass nur noch eine Minderheit in Frankreich sich dem Katholizismus zugehörig fühlt. Die Kathedrale ist Maria geweiht, der 8. Dezember ist das Hochfest ihrer ‚unbefleckten‘ Empfängnis durch ihre Mutter Anna, wodurch sie von Anfang an vor der ‚Erbsünde‘ bewahrt ist, die auf den ‚Sündenfall‘ von Adam und Eva zurückgeht (Röm 5,12; Gen 3,1-19). Maria ist daher als Urbild der Kirche und wie diese selbst (vgl. 2 Kor 11,2f) die neue Eva, die paradiesische Frau ohne jeden ‚Makel‘ der Sünde, der Abkehr von Gott, des inneren Widerstands gegen die göttliche Gnade, von der sie ganz erfüllt ist (Lk 1,28) – so sehr, dass die mit Johannes (dem Täufer) schwangere Verwandte Elisabeth rufen kann: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,42-45). Diese Seligpreisung gilt Maria (al neuer Bundeslade) und mit ihr den Gläubigen, die im Wasser und Geist der Taufe wiedergeboren sind – in der ‚Nachfolge‘ der Jungfrauengeburt als Urbild der Taufgeburt: Gott, so sagt Kardinal Jean Daniélou, führt „die großen Heilstaten des Alten wie des Neuen Bundes in der gegenwärtigen Periode der Heilsgeschichte in den Sakramenten weiter und bildet in ihnen zugleich die endzeitliche Erfüllung voraus“ (Liturgie und Bibel, 1963, 225). Wie der Erzengel Gabriel („Gottes Stärke“) der 90-jährigen Sarah Isaaks Geburt verheißt (Gen 18,14: „Ist beim Herrn etwas unmöglich?“), so auch der Jungfrau Maria: „Denn für Gott ist nichts unmöglich“ (Lk 1,37). Das scheinbar Unmögliche wird im Glauben „wirklich“, was weit über jede denkbare „Wirklichkeit“ hinausgeht. Denn die getauften Gläubigen sind nicht weniger als „eine neue Schöpfung“ (2 Kor 5,17). Auch mit dem Wiederaufbau von Notre-Dame de Paris wurde durch Ingenieurskunst und Fleiß zahlloser Mitarbeiter etwas schier Unmögliches erreicht, aber die Kathedrale als steingewordenes Zeugnis der heiligende Gnade geht unendlich darüber hinaus.

 

 

Warum ist der Tannenbaum kein heidnisches Symbol?

Bild: Weihnachten hat einen „heidnischen Ursprung“ (evangelisch.de, 4. Dez. 2019), der Weihnachtsbaum sei ein „heidnisches Symbol“, so die Bewohner von Val di Ledro in ihrem Protest 2024 gegen die Fällung einer 30 Meter hohen und 200 Jahre alten Tanne als Weihnachtsbaum für den Papst in Rom; die Fällung sei ein „nutzloses, anachronistisches Massaker“, das der Papst stoppen soll. Der hat 2015 das Aufstellen eines Weihnachtsbaums auf dem Petersplatz  besonders begrüßt: Baum und Krippe bereiteten nicht nur dem Papst und den Rom-Pilgern Freude, „sondern vor allem Jesus, dem Herrn“; vor der Krippe spreche „die Zärtlichkeit Gottes zu uns“. Die Krippe ist das ursprüngliche Symbol von Weihachten, der Baum kam aus den mittelalterlichen Paradiesspielen hinzu. Der erste Christbaum ist für 1605 in Straßburg belegt; losgelöst vom eigentlichen Spiel verbreitete er sich in protestantisch geprägten Regionen (Katholiken sprachen von der „Tannenbaum-Religion“). Erst Ende des 19. Jahrhunderts gehörte er dann auch zum weihnachtlichen Bild in katholischen Wohnzimmern,  mittlerweile weltweit. Geschmückter Baum in Malysia.


Die Aufführung des Krippenspiels im Mittelalter mit einem „Paradiesbaum“ wollte den Zusammenhang zwischen dem Sündenfall (der 24. Dez. ist Gedenktag von Adam und Eva) und der Erlösung durch Jesu Geburt verdeutlichen; die roten (= verbotenen) Äpfel erinnerten an die „Frucht“ des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse (dort eigentlich ein Feigenbaum, vgl. Gen 3,7), während Immer-Grün und Kerzen-Licht den Baum des (ewigen) Lebens vergegenwärtigten. Als vor Jahren in der Vorweihnachtszeit in einem Einkaufszentrum in Leipzig, das man in eine künstliche Schneelandschaft mit Plastiktannen, ausgestopften Rentieren und Frau Holle verwandelt hatte, eine christliche Gruppe es wagte, ein paar kirchliche Weihnachtslieder zu singen, äußerten einige Passanten ihren Unmut: „Jetzt wollen sich die Christen auch noch Weihnachten unter den Nagel reißen…“ (vgl. Andreas Knapp, Die Erdichtung Gottes, in: feinschwarz.net, 2. Dez. 2015). Unter dem Titel Gehört das Christentum noch zu Deutschland? fragte Thomas Petersen (Institut für Demoskopie Allensbach) in der FAZ (22. Dez. 2021): „Ist 2021 das letzte Weihnachten mit einer christlichen Bevölkerungsmehrheit?“ In der ersten Schöpfungserzählung wird die Erde als drittes Werk am dritten Tag erschaffen und als das „Trockene“ abgegrenzt vom „Wasser unterhalb des Himmels“; dieses „Land“ lässt als viertes Schöpfungswerk „junges Grün“ wachsen sowie Fruchtbäume, die Frucht bringen und Frucht sind (Gen 1,9-12), ez pri ose pri; Friedrich Weinreb schreibt: „Gott sprach, es sollte kommen ‚Baum, der Frucht ist und der Frucht macht‘, während nur der ‚Baum, der Frucht macht‘ kam. Das biblische Hebräisch ist, zum Teil auch dadurch, dass es gleichzeitig das Wesen der Dinge ausdrückt, sehr knapp, und man muss immer sehr viel ergänzen, um es in ein Erzählen zu ‚übersetzten‘“ (Schöpfung im Wort, ³2012, 386). Der Baum, der Frucht macht, lebt nur in der Zeit als Werden und Vergehen, der Baum der Frucht ist und Frucht macht, lebt im ewigen Sein, das auch das Werden umfasst. Jüdisch gilt die Thora als Inbegriff der göttlichen Weisheit und so als „Baum des Lebens“ (Spr 3,18), christlich gilt dasselbe für das Kreuz (vgl. 1 Kor 2,7); die lebensspendenden „Frucht“ von diesem Kreuz-Baum ist die heilige Eucharistie als Vergegenwärtigung Jesu Lebenshingabe für seine Braut: die Kirche als neue Eva (2 Kor 11,2; Eph 5,25-32), mit der Jesus im „Hochzeitsmahl des Lammes“ (Offb 19,9) „ein Fleisch“ und „ein Geist“  (Eph 4,4; 5,31) ist.

 

 

Warum ist Jesu Königtum am Kreuz mit dem Aleph-Beth verbunden?

Bild: Bei der Generation Z gibt es den neuen Dating-Trend „Throning“:  Man lässt sich mit einer anderen Person, die allgemein Ansehen hat, in der Öffentlichkeit sehen, um so selbst bewundert, sozial anerkannt und damit gleichsam auf einen Thron erhoben zu werden. Man stellt seine Bekanntschaft zur Schau, aber eine wirkliche ‚Inthronisierung‘ findet nicht statt. Könige (und früher auch Bischöfe) werden feierlich inthronisiert; in der Geheimen Offenbarung werden die Gläubigen „zu Königen gemacht und zu Priester vor Gott, seinem Vater“, durch den, der „das Alpha und das Omega“ ist, „der ist und der war und der kommt“ (Offb 1,6.8). „Wer siegt, der darf mit mir auf meinem Thron sitzen“ (Offb 3,21), sagt Jesus, der seinen ‚Sieg‘ über die ‚Welt‘ auf dem ‚Thron des Kreuzes‘ errungen hat.  Jesus ist der König der ‚Wahrheit‘ (Joh 18,37), aber in dieser gefallenen, ins Böse ‚verkehrten‘ Welt kann er sich nur im Gegenteil offenbaren auf dem ‚Kreuzes-Thron‘ der Schande, des ‚letzten Platzes‘ von allen. Altarkreuz, Dom zu Speyer.


Jesus kommt als rettende Wahrheit in die ‚Welt‘, die unter der Herrschaft des ‚Teufels‘ steht, des „Vaters der Lüge“, und so ‚finster‘ ist und ‚böse‘ (Joh 1,5; 3,19f; 8,44; 12,31; 2 Kor 4,4). In der Kabbala ist der letzte Buchstabe das ursprüngliche kreuzförmige Taw mit dem Zahlenwert 400 als Ausdruck der Materie, der Welt des Leidens und des Todes auf der untersten ‚Stufe‘ des Seins in der Nähe zum Nichts. Aufgabe des Gerechten ist es, das Taw wieder mit Aleph (= Eins), dem ersten Buchstaben und ‚ersten Platz‘ (Gottes), zu verbinden, das heißt, die Erde mit dem Himmel, die Materie mit dem Geist, wobei die Welt um des einen Gerechten (als Urfundament) willen besteht: „Der Gerechte ist fest gegründet für immer“ (Spr 10,25); das heißt: „Der Gerechte ist der Grund der Welt“ (G. Scholem, Von der mystischen Gestalt der Gottheit, 1973, 90). Umgekehrt gilt nach Nachum von Tschernobyl: „Die Taten des Bösen bringen die Welt zu Fall und sondern sie von Gott als dem Aleph der Welt ab, so dass sie die göttlichen Buchstaben der Welt auseinanderreißen und das Letzte vom Ersten getrennt wird. Aber durch die Verbindung und Einheit des Gerechten mit allen Stufen [der Schöpfung] erhebt sich die Welt aus ihrem Fall nach oben und steigt auf und vereinigt sich im Stand des Aleph, das heißt Gottes, und dadurch, dass das Fundament sich hebt, hebt sich der ganze Bau. Deswegen werden die Tora-Gelehrten auch Bauleute genannt, weil sie das ganze Gebäude der Welt aufrichten und erhalten“ (zit. ebd., 130). Jesus wird von den „Bauleuten“ verworfen, ist aber so gerade der „Eckstein“ (Ps 118,22; 1 Petr 2,7) für den Neubau der Schöpfung, in der „die Gerechtigkeit wohnt“ (2 Petr 3,13). Der ‚eine‘ Gerechte bedeutet in der jüdischen Mystik nicht numerisch eins, sondern „weil jeder Gerechte sich mit allen anderen als ein Ganzes denken soll, spricht der Talmud von einem Gerechten“ (zit. ebd.). Andererseits wird der Gerechte „Einer genannt, der Einheit wegen, mit der er sich mit allen Stufen von der Erde bis zum Himmel vereint, das heißt vom Ende aller Stufen, die die irdische Stofflichkeit sind und dem letzten Buchstaben Taw entsprechen, bis zum Himmel, der die oberste Stufe ist und dem Aleph entspricht“ (zit. ebd.). Der König am Kreuz macht durch sein „Blut des Bundes … zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28) alle im Glauben und in der Liebe ‚eins‘ und gerecht (vgl. Gal 3,27f; Joh 17,21).

 

 

Warum sind die Heiligen gekleidet in weißen Gewändern?

Bild: Am 1. Nov. feiert die kath. Kirche Allerheiligen Lesungstexte sind die acht Seligpreisungen (Mt 5,3-10 sowie die Vision des Johannes von den Erlösten: Sie stehen „in weißen Gewändern vor dem Thron und vor dem Lamm“, tragen grüne „Palmzweige“ und rufen: „Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm“ (Offb 7,9f). Augustinus sagt: „Gott hat uns erschaffen ohne uns, er wollte uns aber nicht retten ohne uns“ (vgl. KKK 1847). Luther hat die Heiligenverehrung abgeschafft, weil der Mensch mit der „Gnade allein“ nicht mitwirkt; die Heiligen aber sind gerade ausgezeichnet durch einen ‚heroischen Tugendgrad‘. Zug der Heiligen (Ausschnitt), Ravenna, St. Apollinare Nuovo.


Der dunkle Norden ist biblisch die Himmelsrichtung des Roten (vgl. Esau = Edom; Gen 25,25) und des Körpers; der aus ‚roter Erde‘ (Adama) geformte Adam „kann mit Recht auch ‚der Rote‘ genannt werden. Mit dem Adam als Adom [= rot] fängt es an. Ist aber das Blut, das dam, nicht ebenfalls rot?“ (Friedrich Weinreb, Buchstaben des Lebens, ²1990, 19). Nach Jes 1,18 ist das Rot charakteristisch für die Sünden („rot wie Scharlach“; „rot wie Purpur“); doch sollen sie in der Rückkehr zur Unschuld „weißer werden als Schnee“ (Ps 51,9; Jes 1,18) oder „weiß wie Wolle“ (Offb 1,14) – weiß gemacht im Blut des Lammes Gottes (Offb 7,14). In Num 19,2 symbolisiert die „rote Kuh“, phar (vgl. Pharao) die irdische Fruchtbarkeit (vgl. Friedrich Weinreb, Der biblische Kalender, 1984, 63; 67). Sexualität bringt sicher „Farbe und Saft in unser Leben“ (Wunibald Müller); aber erst durch ihre spirituelle Überformung in der Grünkraft des spiritus sanctus, symbolisiert im „grünen Holz“ (Lk 23,31) des Kreuzes als neuem Baum des Lebens, kommt die Menschheit auch auf einen grünen Zweig. Nach Josef Gikatilla ist das Grün in der Natur so zentral, „weil es die Auswirkung der Sefira der Gnade, Hessed, der ungehemmt sich verströmenden, spendenden Kraft der Gottheit in der sichtbaren Schöpfung darstellt. Nicht weiß, sondern grün ist ‚das Gewand der Erde‘.“ Während das rote Feuer des Gerichts vernichtet, bestehen „alle Dinge durch das Grün“ (Gershom Scholem, Farben und ihre Symbolik, in: Eranos-Jahrbuch 1972, 1974, 1-49, 42f). Das ‚Weiß‘, laban, als Fülle des Lichts steht im Süden, der Süden auch „die Richtung unseres Hauptes (ist) und von dem, was darüber ist; der Norden ist „die Richtung unserer Füße, der Erde und dessen, was darunter ist“ (Buchstaben, 20). Wie der jenseitige ‚achte Tag‘ die Sieben-Tage-Schöpfung übersteigt, so fasst das Weiß nach den sieben Farben des Spektrums als ‚achte Farbe‘ „alle Farben zusammen“ (Weinreb, Das Opfer in der Bibel, 454). „Weil die Thora eine Einheit ist, ist die Farbe der Thora das Weiß. Man bekleidet darum die Stelle, wo die Thora steht, am Tag der Thoralesung auch mit einem weißen Vorhang. (…) Die Farbe des Menschen am sechsten Tag, an dem die Begegnung [mit der roten Schlange, Offb 12,3] stattfindet, muss also Weiß sein“ (454f). Gemeint ist das Weiß vom pflanzenartigen Gewand aus Leinen oder Flachs, schesch, 300-300: „‘Schesch‘ ist ‚Sechs‘, Leinen heißt also ‚Sechs‘. (…) Das Leinen, ‚schesch‘, hat die besondere Eigenschaft, dass es weiß ist, weiß gemacht werden kann. Es wird im ‚mischkan‘ [Heiligtum] als Kleidung benützt, um den Menschen weiß zu machen“ (453).

 

 

Warum sieht man nur mit reinem Herzen gut und schaut Gott?

Bild: Joseph Ratzinger sagt: „Wo der Schleier vom Herzen fällt, kommt das Eigentliche und Endgültige des Gesetzes zum Vorschein; es wird selbst Geist und wird so mit der neuen Ordnung des Lebens aus dem Geist identisch“ (Der Neue Bund, in: IKaZ 24 [1995] 193-208, 196). Durch den Glauben wohnt Christus im erleuchteten Herzen und vermittelt die Erkenntnis seiner Liebe, „die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt“ (Eph 1,18; 3,17-19). Letztes Ziel aller irdischen Pilgerschaft ist, mit einem durch „Leiden geläuterten reinen Herzen den ewigen Gott unverhüllt zu schauen so wie Hiob nach seiner „Meditation“ des Todes (vgl. Ijob 41,5f) und so durch den Geist Gottes in Jesu Bild verwandelt zu werden von „Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2 Kor 3,18). Dann erfüllt sich, was jetzt „kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Herz (cardia) aufgestiegen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9). Jesus präsentiert den Gläubigen sein durchbohrtes, mit Dornen gekröntes, vor Liebe zu Gott und Menschen  brennendes Herz: Münster Unserer Lieben Frau, Konstanz.


Für das Bundesvolk Israel gilt: Es soll „den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen“ (Dtn 6,5f). Das Herz ist so der Ursprungsort des wahren, ungeteilten Gottesdienstes (Dtn 10,12; 11,13; 1 Chr 28,9), der wahren Gottesverehrung in der Nachfolge des Herrn (1 Sam 12,20) sowie des Gottvertrauens (Spr 3,5). Der Psalmist bittet Gott in einem Bußpsalm: „Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist“ (Ps 51,12; Heiligkeit und Nacktheit). Gott legt König Salomo seine →Weisheit ins Herz (1 Kön 10,24). Denn das ‚verdorbene‘ menschliche Fleisch führt dazu, „dass alles Sinnen und Trachten des Herzens immer nur böse war“, so dass es Gott reute, den Menschen überhaupt geschaffen zu haben und es „seinem Herzen weh“ tat (Gen 6,5f; vgl. Mk 7,21-23). Der Mensch muss deshalb immer neu „mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele“ Gott suchen (Dtn 4,29) und nicht nur sein Fleisch beschneiden, sondern durch den Geist Gottes auch sein Herz (Dtn 30,6). Gott gießt seinen Geist in die Herzen, mehr noch: er schenkt ein „neues Herz“, in das er einen „neuen Geist“ legt und so bewirkt, „dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Gebote achtet und sie erfüllt“ (Ez 36,25-27). „Dann wird man sagen, dieses verödete Land ist wie der Garten Eden geworden“ (V.35). Den Garten Eden verliert der Mensch, weil sein Herz auf das Lügenwort der Schlange statt auf Gottes Stimme hört. So wendet es sich von Gott ab und der Welt zu und bringt nur „Dornen und Disteln“ (Gen 3,18) hervor, aber nicht die vom Schöpfer gewollte Fruchtbarkeit der Gerechtigkeit. Der so zum „Tor“ gewordene Mensch spricht dann in seinem Herzen: „Es gibt keinen Gott“ (Ps 14,1). Deshalb reicht nicht, wenn A. de Saint-Exupéry (Der Kleine Prinz) sagt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Richtiger wäre: mit einem durch Glauben und Liebe gereinigten Herzen; denn ein ‚verstocktes‘ Herz hat „keine Augen um zu sehen und keine Ohren um zu hören“ (Dtn 29,4), ein reines Herz aber schaut Gott (Mt 5,6). Für das ‚verfinsterte‘ Denken und ‚verhärtete‘ Herz ist das wahre Licht des Wortes Gottes „verhüllt“: „Sobald sich aber einer dem Herrn zuwendet, wird die Hülle entfernt. Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“ (2 Kor 3,14-17).

 

 

Warum kehrt das Trinken von der Mutterbrust den Sündenfall um?

Bild: Jesus trinkt, schon das Kreuz der Erlösung vom Sündenfall im Arm, als Säugling die Milch von der Brust seiner Mutter Maria. Im Hintergrund ist der Sündenfall zu sehen: Der Engel mit dem Flammenschwert vertreibt Adam und Eva aus dem Garten Erden (= Lust, Wonne), nachdem sie von der verbotenen Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen haben. Die Eucharistie als Frucht vom Kreuz als neuem Baum des Lebens kehrt das Sündenfallessen um: Es bringt nicht Tod, sondern ewiges Leben in Gemeinschaft mit dem dreieinen Gott. Der Lebensbaum steht für die Einheit des Himmels, den Logos oder die Thora im geistigen Sinn, der Erkenntnisbaum von Gut und Böse für die Zweiheit und Zwiespätigkeit alles Irdischen, die Endlichkeit und Gegensätzlichkeit von Geist und Materie. St. Petersburg, Eremitage, Juan de Juanes, 16. Jahrhundert.


Das hochzeitliche Ja-Wort Mariens im Glauben hat zur Folge, dass die himmlischen Engel auf den Fluren von Bethlehem allen Menschen, die guten Willens sind, den Frieden Gottes verkünden (Lk 2,14); denn sie hören die Botschaft: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“ (Lk 2,11). Beth-lehem ist das ‚Haus des Brotes‘, die Eucharistie ist „der Engel Speise“ (GL 878.5), das „Himmelsbrot“, „das unsre Seele nährt“ (GL 495.1), das für Elija durch die „glühende Asche“ zum Brot der Gnade wird (1 Kon 9,5-8). Gott ernährt nach dem Exodus sein Volk in der Wüste „mit der Speise der Engel, und unermüdlich gabst du ihm fertiges Brot vom Himmel“ (Weish 16,20), um es ‚engelähnlich‘ werden zu lassen. Einen Bezug zum Manna als Nahrung vom Himmel hat auch die Muttermilch aus den ‚Brüsten‘ der Frau, denn – so Friedrich Weinreb – ‚Brüste‘ ist hebräisch „schadajim, 300-4-10-40, und Himmel ist schamajim, 300-40-10-40. Beides ist also sehr eng verwandt. Aus der Daleth, 4, wird die Mem, 40: die Brüste und die Nahrung aus den Brüsten, die auf besondere Weise entsteht, enthält noch nicht den Geschmack der Erde, noch nicht das Gift suhamah, 7-6-5-40-5, der Schlange, das von der Erde kommt. Diese Speise steht noch im Gegensatz zur Nahrung, die der Mensch der Erde zu sich nimmt, womit er sich vergiftet und die Zweiheit in ihn gelangt. Doch das Kind ist, solange es Muttermilch trinkt, noch nicht von der Erde vergiftet und hat den Baum der Erkenntnis noch nicht oder kaum geprüft und steht somit seiner Vorgeschichte noch sehr nahe“ (Die zwölf Stämme, 2024, 131). Die ‚Vorgeschichte‘ ist „die Geschichte, wie die neschamah, die unsterbliche Seele, des Menschen geboren wird. Der Engel unterrichtet sie in der ganzen Thora, der ganzen Bibel, ehe sie hier erscheint. Sie hat schon alles miterlebt und trägt die ganze Bibel in sich, wenn sie hierherkommt“ (207). „Sie weiß dann alles, und kennt die Thora so, wie sie im Himmel ausgedruckt ist. Jetzt aber kommt die neschamah hierher: Das Kind bekommt einen Stuber unter der Nase und vergisst alles“ (130). Weil die ‚Säuglinge‘, thinokoth, noch dem Himmel, dem Ursprung nahe sind, heißt es in der jüdischen Überlieferung: „Durch die Säuglinge im Lehrhaus besteht die Welt“ (zit. ebd.).

 

Warum kennt und erfüllt Jesus den Willen des Vaters im Himmel?

Bild: Jesus tut den Willen Gottes vollkommen, wie der Hebräerbrief mit Psalm 40,7-9 sagt: „Darum spricht Christus bei seinem Eintritt in die Welt: Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen; an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen. Da sagte ich: Ja, ich komme – so steht es über mich in der Schriftrolle – um deinen Willen, Gott, zu tun. (…) Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Opfergabe des Leibes Jesu Christi ein für allemal geheiligt“ (Hebr 10,5-7.10). „Durch ein einziges Opfer hat er die, die geheiligt werden, für immer zur Vollendung geführt“ (V.14). Jesus ringt mit dem Willen des Vaters, St. Antonius-Kirche, Kortrijk, Flandern.


Jesus wird von seinen jüdischen ‚Brüdern‘ vor Gericht angeklagt, das Gesetz als Ausdruck des Willens Gottes übertreten zu haben, „weil er sich als Sohn Gottes ausgegeben hat“ (Joh 19,7) und so Gott gelästert hat (Mt 26,65). Als der Logos und Sohn Gottes steht er aber nicht im Widerspruch zum Willen des Vaters, sondern erfüllt diesen bis zur Vollendung: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen“ (Joh 4,34). Wo Petrus Jesus von seiner Passion als Erfüllung des Willens Gottes abbringen will, muss er hören: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mt 16,23). Jesus hingegen besteht gleich am Anfang seines öffentlichen Wirkens die Versuchung des Teufels, den Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes aufzugeben (Mt 4,1-11). Dabei ist es der Geist Gottes, der ihm diesen Willen vergegenwärtigt (Mk 1,12) und der auf ihm als dem ‚Geist-Gesalbten‘ oder Messias ruht (Lk 4,18; Jes 61,1). Am Ende muss er im Garten Getsemani noch einmal die Versuchung bestehen: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch [des Leidens] an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst“ (Mt 26,39). Bei dem Auftrag zur Opferung Isaaks erprobt Gott die Gottesfurcht Abrahams (Gen 22,1.13) und schenkt ihm für seinen ‚Gehorsam‘ Segen und Nachkommenschaft in Fülle (Gen 22,18). Gottes Wille zielt dabei nicht auf möglichst viele Nachkommen im irdischen Sinn – Isaak wird „kraft des Geistes gezeugt“ (Gal 4,28f) –, sondern auf „Erben kraft der Verheißung“ (Gal 3,29). „Nicht die Kinder des Fleisches sind Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung werden als Nachkommen anerkannt“ (Röm 9,8; mit Bezug auf Gen 18,10). Entsprechend erfüllt auch Jesus den Willen Gottes nicht dadurch, dass er auf irdische Weise Kinder zeugt, sondern indem er am Kreuz seinen Geist ‚überliefert‘ (Joh 19,30) und so den Gläubigen die „Macht“ gibt, „Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (Joh 1,12f). Der Wille des Fleisches und der Wille des Mannes entsprechen nicht dem Willen Gottes, sondern laufen ihm wie die Welt insgesamt, die „unter der Macht des Bösen steht“ (1 Joh 5,19), zuwider: „Die Welt und ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (2,17).

 

Warum stirbt Mose vor Einzug in das Gelobte Land mit 120 Jahren?

Bild: Mit dem Tod des Moses nach der 40-jährigen Wüstenwanderung an der Grenze zum verheißenen Gelobten Land endet die Kern-Geschichte der Bibel (die fünf Bücher Mose) in Trauer, aber nach Friedrich Weinreb zugleich „mit der Aussicht auf das, was Josua, der Sohn des Nun, tun würde. (…) Sein Erscheinen bereits an diesem siebten Tag [= Wüstenwanderung] verleiht der kommenden Verwirklichung des achten Tages, der neuen Welt, die Realität. Aber dieser achte Tag kann nicht mit den Maßstäben dieser Welt gemessen werden, die nur bis zur 4 reichen. Darum kann der achte Tag hier nicht zur Realität werden, die der siebte Tag darstellt“ (Schöpfung im Wort, ³2012, 228f). Der jenseitige ‚achte Tag‘ (Sonntag) der Auferstehung als Symbol der kommenden Welt des Reiches Gottes wird erst Realität mit dem Kommen des Messias Jesus (Jehoschua), was „JHWH rettet“ bedeutet. Moses empfängt die Zehn Gebote auf den zwei Tafeln: 5 + 5; sie stehen für Gottesliebe und Nächstenliebe, die wiederum eins sind. Das erste Wort in Ex 20,2 beginnt deshalb mit einem Aleph (Anochi = Ich), Eins, nicht wie die Schöpfung mit Beth (Zwei). Axum, Äthiopien.


Für die heutige Biologie ist das Maximalalter des Menschen 120 Jahre. Moses wird mit „80 Jahren“ von Gott beauftragt, das Volk Israel aus der ‚Knechtschaft‘ in Ägypten zu führen (Ex 7,7) und als Volk des Bundes „40 Jahre“ durch die Wüste zu geleiten hin zum Gelobten Land, ohne es selbst betreten zu dürfen; Gott gestattet ihm lediglich einen Blick vom Berg Nebo aus auf das Land Kanaan: „Denn ihr seid mir untreue gewesen inmitten der Israeliten beim Haderwasser von Kadesch in der Wüste Zin und habt mich inmitten der Israeliten nicht als den Heiligen geehrt“ (Dtn 32,49-51). Das Gelobte Land ist, so der Weltkatechismus, „ein Bild des ewigen Lebens“ (KKK 1222). Nach Weinreb hat ‚Ägypten‘, Mizrajim, 40-90-200-10-40, den Zahlenwert 380, Kanaan, 20-50-70-50, den Wert 190, das Verhältnis von 380 zu 190 ist 2 zu 1: „Die Wanderung von Ägypten nach Kanaan ist also der Weg von der Zwei zur Eins.“ Dasselbe Verhältnis drückt sich auch im Alter des Mose aus: 80 Jahre beim Auszug und 40 Jahre in der Wüste. „Mose als der Führer auf diesem Weg von der Zwei zur Eins hat also sogar in seiner Zeitstruktur dieses Verhältnis 2:1“ (Schöpfung im Wort, 226f). Mose stirbt mit „120 Jahren“ an der Grenze zum verheißenen Ziel: „Seine Augen waren noch nicht getrübt, seine Frische war noch nicht verschwunden. (…) Niemals wieder ist in Israel ein Prophet wie Mose aufgetreten“ (Dtn 34,7.10). Gott begrenzt die Lebenszeit des Menschen als „Fleisch“ auf „120 Jahre“ (3 x 40) wegen seiner Bosheit (Gen 6,3); zuvor wurden die Menschen noch bis zu 969 Jahre alt (Gen 5,27). Als Nachfolger des Moses führt erst Jehoschua (Josua) das Volk Israel ins Gelobte Land; er ist der „Sohn des Nun“ (Dtn 34,9), das heißt der ‚Fünfzig‘ (7 x 7 +1): Die Sieben-Tage-Schöpfung wird auf den ‚achten Tag‘ der Erlösung hin überschritten. „Die Wanderung durch die Wüste als der siebte Tag, als Zug von der ‚Zwei-Welt‘ mit ihrem Leiden zur ‚Eins-Welt mit ihrer Ruhe und Harmonie“, führt schließlich in „den neuen Tag, den achten. (…) Sogar Mose sah dieses ‚Gelobte Land‘, diese kommende Welt, nur von fern und betrat es in der Geschichte der Bibel, die diese Welt wiedergibt – diese Welt, die als höchste Zahl die 4, die 40 und die 400 hat –, noch nicht. Erst Josua als Sohn der 50, der nächsten Zahl also, erst er sollte dieses Land betreten. Doch in dieser Kern-Geschichte betritt auch er es noch nicht“ (228).

 

Warum ist die von Mose erhöhte Schlange aus Kupfer?

Bild: Die Kirche feiert das Fest „Kreuzerhöhung“ am 14. September (historisch aus Anlass des Wieder-auffindens des Kreuzes Jesu). Das Evangelium dazu ist Joh 3,13-17: Jesus setzt die Erhöhung der Schlange in der Wüste durch Mose mit seiner eigenen „Erhöhung“ am Kreuz gleich (V.14). In der Präfation heißt es: „Du (Gott) hast das Heil der Welt auf das Holz [hebr. ez = Baum] des Kreuzes gegründet. Vom Baum des Paradieses kam der Tod, vom Baum des Kreuzes erstand das Leben. Der Feind [Schlange = Teufel, vgl. Offb 12,9], der am Holz gesiegt hat, wurde auch am Holze besiegt durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Die an der Signalstange erhöhte, in die Vertikale gebrachte Schlange ist als (heilige) Asklepios-Schlange bis heute das Symbol für Heilung durch Arzt oder Apotheker (wobei Asklepios und die Ärzte gegen den Tod auch kein Kraut haben). Chorfenster in St. Peter, Todtnau (Schwarzwald): Hand Gottes, Paradiesbaum mit Schlange, Adam und Eva, an der Seite bewirtet Abraham die drei ihn und Sarah besuchenden Engel (christlich: Bild der Dreifaltigkeit).


Nach dem Exodus aus Ägypten ‚murrt‘ das Volk auf seiner 40-jährigen Wüstenwanderung wegen der Entbehrungen gegen den ‚Erlöser‘ Mose, der es aus der ‚Knechtschaft‘ (der Sünde) befreit hat: „Da schickte der Herr Giftschlangen unter das Volk. Sie bissen die Menschen und viele Israeliten starben“ (Num 21,6). Die Rettung bringt das Schauen auf eine Schlange aus ‚Kupfer‘, die Mose an einer Fahnenstange aufhängt: „Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben“ (V.9). ‚Schlange‘, nachasch, hat den gleichen Wortstamm wie ‚Kupfer‘, neschoscheth, das Metall der Venus, der Göttin der irdischen Liebe und Fruchtbarkeit; Friedrich Weinreb schreibt: „Jetzt verstehen wir das Geschehen mit der Schlange am sechsten Tag [= Freitag, Venustag, franz. vendredi] im Paradies; aber auch den Verrat am Freitag, dem die Kreuzigung folgt. Und es fällt uns gleich die Schlange aus Kupfer ein, die, aufgerichtete, erhobene, die heilt (4. Mose 21,8 und 9)“ (Der siebenarmige Leuchter, 1985, 39). Erschaffung, Fall und Erlösung des Menschen durch Jesu Heilstod am Kreuz als neuem Baum des Lebens geschehen am ‚sechsten Schöpfungstag‘ (Freitag, Freyatag). Nach dem jüdischen Kalender handelt es sich dabei um den 1. Tag des Tischri, des ‚siebten Monats‘ (‚Sept-ember‘); Weinreb schreibt zu Num 21,8f: „Es kommt der Biss der Schlange, weil der Mensch ungeduldig ist und glaubt, der Weg, den er geht, sei ‚fade‘, weil er nach dem Reiz der Welt der Zweiheit verlangt, also nach Ägypten will, den Baum der Erkenntnis will. Sobald aber der Tod Einzug hält, sieht der Mensch, dass und warum sein Weg falsch war, und dann kehrt er zurück. Wieder begegnet er der Schlange, doch jetzt spendet sie Leben, jetzt bildet sie den Übergang von dieser Welt, wo wegen des Bisses der Schlange noch der Tod herrscht, zur kommenden, wo man gerade durch den Anblick der Schlange am Leben bleibt. Dort bildet also die Schlange den Übergang vom Tod zum Leben, dort ist der Wert ‚358‘ der Wert des Messias. Darum spricht die Bibel an dieser Stelle von der ‚feurigen Schlange‘, der Schlange aus Feuer, die das Ende kennzeichnet. Das Wort für ‚feurige Schlange‘ ist ‚saraph‘ … (Schöpfung im Wort, 708f). Entscheidend ist das Verhalten des Menschen gegenüber den „Kräften der Entwicklung. Dass sie ihn, wie der Erlöser, auch zum Leben führen, wenn er sich ihnen auf dem Weg über den Baum des Lebens nähert, der neben seiner Eigenschaft als ‚Baum, der Furcht ist‘ auch ‚Baum, der Frucht macht‘ ist“ (709), der also beides umfasst: Sein und Werden. So ist auch die Eucharistie als Frucht des Kreuzbaumes das In-Eins der Liebe von Gott und Mensch und zugleich die Speise auf dem Weg zu diesem Ziel.

 

Warum ist Maria voll „Wohlgeruch“?

Bild: Gregor von Nyssa versteht „ Christi Wohlgeruch“ (2 Kor 2,15) als Ausfluss der inneren Tugend: „Der göttliche Bräutigam durchströmt sein ganzes Leben mit dem Balsam seiner Tugenden, und dadurch wird auch das Leben des Paulus zu einem Wohlgeruch, den alle anderen einatmen dürfen“ (vgl. G. Ruhbach/ J. Sudbrack [Hg.], Große Mystiker, 1984, 17-35, 33). Nach Hildegard von Bingen zeigt Gott „über die Nase … die Weisheit, die als duftende Ordnung in allen Kunstwerken ruht“ (ebd.). Das größte Kunstwerk Gottes ist Maria als vom Geist Gottes überschattete Jungfrau, die „schon zur Vollkommenheit gelangt“ als „Urbild der Tugenden“ der „ganzen Gemeinschaft der Auserwählten“ voranleuchtet (Lumen gentium 65) – und vorausduftet; denn jeder Verwesungsgeruch ist von ihr genommen: „Das Paradiesgärtlein“ (1410; mit 24 duftenden Blumen); Städel Museum, Frankfurt/M.


Der Duft spielt vor allem als „Wohlgeruch für Gott“ beim Opferkult eine zentrale Rolle: Wohlgeruch, hebr. reach nichoach, 200-10-8 50-10-8-6-8 = 300, hat denselben Zahlenwert wie „Geist Gottes“, ruach elohim, 200-6-8 1-30-5-10-40 = 300. Gott haucht bei der Erschaffung des Menschen durch dessen Nase seinen Geist-Atem aus (Gen 2,7), um dann vom Menschen den beim wahren Opfer aufsteigenden Wohlgeruch einzuatmen (was beim Opfer Kains nicht der Fall ist: Gen 4,5). Dabei bringt der Hohepriester im Menschen das Opfer dar, das Ursprung und Endziel der Schöpfung zur Einheit verbindet: Feuer (esch, 1-300) und Wasser (majim), Geistseele und Leib, bilden zusammen den „Himmel“, schamajim (= esch-majim). Nach dem Talmud (Joma 39b) war der herrliche Geruch des „Räucherwerks“, Ketoret, im Tempel in ganz Jerusalem wahrnehmbar; das erlaubte den Bräuten der Stadt, auf eigenes Parfum zu verzichten. Gabriel Strenger sieht darin „eine Andeutung auf die mystische Verkettung der erotischen Liebe von Mann und Frau mit der spirituellen Liebe zwischen Mensch und Gott. In der Tat ist der Geruchssinn der subtilste unserer Sinne. (…) In der Kabbala wird ein ausgeprägter Geruchssinn mit mystischen Fähigkeiten in Verbindung gebracht“ (Jüdische Spiritualität in der Tora, 2016, 162). Das auf dem „inneren Altar“ zu verbrennende Räucherwerk „wird von der Tora als krönender Abschluss behandelt“, als „Krönung des Tempeldienstes“ (161). Der Weihrauch bestand aus elf Teilen, deren Zusammensetzung genau beachtet und zugleich streng geheim gehalten wurde. Laut Maimonides (Führer der Verirrten, 3:45) sollte der sich im Tempel ausbreitende Wohlgeruch auch „den schlechten Fleischgeruch der Tieropfer“ überdecken, „was dem Menschen mehr Ehrfurcht vor dem Heiligtum einflöße“ (zit. ebd. 162). Letztlich aber liegt der üble Todesgeruch auf der sterblichen Welt in der vergänglichen Zeit im Ganzen, wie ihn auch der „vier“ Tage im Grab liegenden tote Lazarus ausströmt (Joh 11,39f). Durch die Teilhabe am Messias Jesus, der „die Auferstehung und das Leben“ ist (V.25), wird er aber in Lebensduft verwandelt: Christus nimmt durch sein Heilswerk „der Schöpfung den Verwesungsgeruch“ (Bischof Georg Moser). Das sagt auch Paulus, wenn er die Wirkung seiner Heilsbotschaft vom „Duft der Erkenntnis Christi“ für die Gläubigen und die Ungläubigen beschreibt: „Denn wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, wie unter denen, die verloren gehen. Den einen sind wir Todesgeruch, der Tod bringt, den anderen Lebensduft, der Leben verheißt“ (2 Kor 2,14-16).

 

Warum wird Maria zur „Königin des Alls“ gekrönt?

Bild: Das Hochfest „Mariä Aufnahme mit Leib und Seele in den Himmel“ am 15. August mündet in das Fest „Maria Königin“ am 22. August: „Durch ihre Aufnahme bei Gott ist Maria die Königin des Himmels und der Erde“ (Textbuch Gemeindemesse). Das II. Vatikanum nennt Maria die „Königin des Alls“ (Lumen gentium 59). Als „Bild Gottes“ ist der Mensch ursprünglich die Krone der Schöpfung, „mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ (Ps 8,6). Durch den Sündenfall ist er aber statt gottähnlich nur noch tierähnlich und sterblich (Gen 3,21). Was bleibt ist die Sehnsucht nach der (verlorenen) Krone, wie sie sich auch im Kampf um einen Olympiasieg zeigt. Das „Gold“ ist die Farbe der Sonne, Silber die Farbe von Luna; sie gilt als „Urgrund aller (natürlichen) Geburt“. Als Mutter der „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,26) ist Maria mit dem Licht der Sonne ganz erfüllt und bekleidet, steht sie auf der Sichel des Mondes (Offb 12,1); so wird die verlorene Gottebenbildlichkeit wiederhergestellt (vgl. Eph 4,24). Marienfigur (1930 von Pius XI. geschenkt) im Mariendom zu Speyer.


Papst Paul VI. fasste 1968 das Glaubensgeheimnis von der Aufnahme Mariens in den Himmel  (Dogma seit 1950) so zusammen: „Verbunden in einer ganz innigen und unauflöslichen Weise mit dem Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung, wurde die allerseligste Jungfrau, die unbefleckt Empfangene, am Ende ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen und – in Vorausnahme des künftigen Loses aller Gerechten – ihrem auferstandenen Sohne in der Verklärung angeglichen.“ Der Glaubenssatz wird damit aus dem Ganzen der Bezüge Marias zu den anderen christlichen Glaubensgeheimnissen als implizit darin enthalten erschlossen. Hinzu kommen die angedeuteten bildlichen Darstellungen des ‚Weiblichen‘ in der Bibel, womit letztlich die ganze geschaffene materielle Schöpfung gemeint ist, die „in Geburtswegen“ liegt (Röm 8,22). Kardinal Hermann Volk (Mainz) verwies nach der Dogmatisierung darauf, dass „die Erlösungsgnade nicht nur versöhnt, sondern auch heiligt und erhöht“ und „mit Christus ähnlich macht“. „Heiligenverehrung ist eine Form, die Fruchtbarkeit der Erlösungstat Christi anzuerkennen; nach dem Magnificat meint auch die Schrift, dass dies in irgendeiner Form möglich und auch Aufgabe sei“ (vgl. Lk 1,48f). Der evangelischen Erlösungslehre lägen dagegen „andere Vorstellungen von der Erlösungsfrucht, von der Weise, wie Gott mit seinen Geschöpfen und Erlösten umgeht, von dem Begriff der Ehre Gottes zugrunde“ (Das neue Marien-Dogma, ³1956, 131; 133). Das schönste Marienlob in der alten Kirche ist der Hymnos Akathistos. Nach Michael Schneider ist die „antinomische Sprechweise … Ausdruck der letzten Unaussprechlichkeit Gottes“ (Hymnos Akathistos, 2004, 33). „In der Menschwerdung des Sohnes offenbart sich zugleich das Mariengeheimnis des ganzen Kosmos“ (46). „Die Himmelfahrt Marias ist ein Vorausbild der Verklärung des Kosmos... Was bei jeder Taufe geschieht, ist durch die Aufnahme Marias in den Himmel zum sichtbaren Zeichen des neuen Kosmos geworden“ (52). Nach dem Hymnus ist Maria (wie das Kreuz) die „Himmelsleiter, darauf Gott herniederstieg“ und wie die Schöpfungsweisheit „von Uranfang des Friedefürsten Thron“ (vgl. Spr 8,22f). Sie hat „das Heiligtum des Paradieses“ erschlossen beziehungsweise wieder zugänglich gemacht, denn: „Du (Maria) bist der Schlüssel zu Christi Königreich.“

 

 

Warum ist Jesus am Kreuz Sieger über Sünde und Tod?

Bild: Das Umgangslabyrinth am Boden im Eingangsbereich im Westen (= Untergang und Tod) in der Kathedrale von Chartres veranschaulicht die existentielle Situation des Menschen, der ausweglos dem Tod in Gestalt des Minotaurus verfallen ist. Es hat elf Umläufe, sechs sind rechtsläufig (‚mitsonnen‘), weshalb es eigentlich nicht ins ‚Verderben‘ führen“ kann (Hildegard Marcus, Spiritualität und Körper. Gestaltfinden durch Ursymbole, ³2008, 199). Die konzentrischen Kreise des Labyrinths mit 28 Kehren analog zu den 28 (4 x 7) Tagen des Mondlaufs stehen für die vergängliche Körperwelt in der Zeit. Die Westfassaden-Rosette lässt den goldenen Glanz der Abendsonne als Abglanz ewigen, heilen Lebens auf das Labyrinth fallen: „Der im Labyrinth geläuterte, in sich geklärte Mensch“ erwacht auf dem viergetaltigen Labyrinthweg  „zu seiner leib-geistig-seelischen Ganzheit als kreuzgestaltiger Kosmos" (200; 202).


Jesus ist Sieger über (Tod-)Sünde und Tod, indem er in seinem Tod am Kreuz am „sechsten Tag“ (Kar-Freitag) als „Erlöser“, hebr. goel, 3-1-30 = 34, mit dem Buchstaben Aleph (= Eins) die Einheit in die in sechs (3 + 3) Tagen geschaffene Welt des todverfallenen Körpers oder der körperlichen „Form“, gal, 3-30, bringt (galuth ist die „Verbannung“); Friedrich Weinreb schreibt: Wenn man dem Erlöser begegnet, so will das auch sagen, dass man in den Dingen dieser Welt, so wie sie uns erscheinen, den göttlichen Ursprung sieht, die Eins. (…) Vom Urzustand begleitet er uns bis in das Äußerste und Letzte der Form. Er steigt herab und ist deshalb dann der Erlöser, weil er die ‚gal‘ zum Leben erweckt. Er ist die Eins im Wort ‚goel‘. Unter dem Vorgang der Erlösung ist an sich schon zu verstehen, dass der Erlöser mit seiner Schöpfung mitgeht. (…) Das Wort ‚gal‘ ist der Wert 33. Da geht auch ein Licht auf, warum Jesus 33 Jahre alte geworden ist“ (Die jüdischen Wurzeln des Matthäus-Evangeliums, Bd. I, 1991, 68f). Im Alten Bund ist Moses der Erlöser, der Israel aus „Ägypten“ (der todverfallenen Körperwelt oder dem „sechsten Tag“) befreit. In der Wüste „murrt“ das Volk Israel über das „bittere“ Wasser (der Zeit), worauf Mose auf Gottes Geheiß „ein Stück Holz“ (ez = Baum) in das Wasser wirft, das so „süß“ wird (Ex 15,23f). Dieses „Holz“ ist nach Weinreb der „Baum des Lebens“ in der „Mitte“ des Paradieses gegenüber dem todbringenden „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ (Gen 2,9): Ez HaChajim, 70-90 5-8-10-10-40, hat den Zahlenwert 233, der Erkenntnisbaum hat 932, das ist viermal 233, ihr Verhältnis ist 1 zu 4: Wenn du diesen [Baum der Einheit] in die Zeit bringst, dann ist das Wasser süß und dann schmeckt es dir. (…) Der Baum des Lebens heißt auch ‚der Baum, der Frucht ist und Frucht macht‘ (1. Mose 1,11), ist also der Baum, der das Ziel schon in sich hat und den Weg zum Ziel. (…) Der Baum des Lebens bringt die Wandlung“ (Die sieben Prophetinnen, 2008, 48f). Christlich ist das Kreuz (1 Mitte, 4 Enden) der neue Baum des Lebens mit der Eucharistie als seiner Frucht: Wegzehrung und Ziel der Einheit zugleich. Vom Kreuz herab, „symbolisiert vom letzten Buchstaben [Taw = 400] des hebräischen Alphabets, gibt Jesus der ganzen Schrift ihre Erfüllung, ‚insofern er dadurch das ganze Geheimnis der Erlösung des Menschen offenbart, die sich verborgen findet in den zweiundzwanzig Büchern des Alten Testaments‘ [Helinand]“ (Henri de Lubac, Typologie – Allegorie – Geistiger Sinn, 1999, 120).

 

Warum sollen die Gläubigen auf den Gottessohn Jesus hören?

Bild: Das Hochfest „Verklärung des Herrn“ feiert die Kirche am 6. August, in der Mitte des Sommers. Auf dem Berg der Verklärung (‚Tabor‘ = Nabel) erscheinen mit Jesus auch Mose und Elija, die Repräsentanten von Thora und Prophetie und damit des Alten Bundes, der jetzt in Jesus seine Erneuerung und Vollendung erfährt. Deshalb ruft die Stimme des Vaters vom Himmel aus der „Wolke“ den drei von Jesus auserwählten Jüngern zu: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5; ähnlich Mk 9,7; Lk 9,35; vgl. Dtn 18,15). Jesus, Moses und Elija erscheinen den drei Jüngern „in strahlendem Licht“ (Lk 9,31f), und die Stimme spricht aus der „Wolke“ als Zeichen der Anwesenheit Gottes (V.35). Glasfenster Verklärung Jesu mit Elija (rechts) und Moses (links), Dom zu Regensburg.