Impulse zu den Bildwelten der Bibel

(wird wöchentlich fortgesetzt)

Welchem Stern folgen die Weisen aus dem Osten?

Bild: Geführt vom achtstrahligen Stern huldigen die drei heidnischen Sterndeuter dem göttlichen Kind auf dem „Thron“ der Gottesmutter mit den königlichen Geschenken von Gold (Königtum), Weihrauch (Priestertum) und Myrrhe (Prophetentum) – Basilika Vincente in Avila im Nordwesten von Spanien.


Für die Juden vollziehen die Heiden in der Anbetung der Gestirnsgötter „Götzendienst“ (hebr. awoda sara), „Dienst für die Außenseite“. In den „Sterndeutern“ des Matthäus (2,1-11) finden aber die Repräsentanten der Heidenvölker zu dem „neugeborenen König der Juden“ (Vers 2), ein Titel, der erst wieder über dem Kreuz erscheint (Mt 27,37): Krippe und Kreuz sind aus demselben Holz. In den Weisen „sieht das Evangelium die Erstlinge der Nationen, welche die frohe Botschaft vom Heilsereignis der Menschwerdung [Gottes] empfangen“ (Katechismus der Kath. Kirche 528; vgl. Jes 60,1-6.11-16). Sie stehen auch für die damals bekannten drei Kontinente (deshalb ein Schwarzer für Afrika) und die drei Lebensalter (jung, gereift, greisenhaft). Sie huldigen jenem König, dessen Stern sie in Jakob/Israel aufgehen sahen (Num 24,17). Durch die kosmische Erscheinung in der Schöpfung und die messianische Verheißung in der Bibel Israels gelangen sie – vorbei an „König Herodes“ analog zum Pharao als Todesmacht (vgl. den Knabenmord Ex 1,22; Mt 2,16) oder zu König Chronos/Saturn (Zeit), der seine Kinder verschlingt – zum königlichen Kind in der Krippe, dessen „Herrlichkeit“ sie „mit sehr großer Freude erfüllt“ (Mt 2,10; vgl. Joh 1,14). Die Episode gehört mit der Taufe Jesu im Jordan und der Himmelsöffnung sowie dem Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana zu den drei liturgischen Lesungen des Hochfestes Epiphanie: Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn (6. Januar). „Die Epiphanie bekundet, dass ‚alle Heiden in die Familie der Patriarchen eintreten’ [Leo der Große] und die ‚Würde Israels’ erhalten sollen“ (KKK 528). Jakob/Israel ist das von Gott geliebte und auserwählte Volk im Unterschied zum haarigen und roten Zwillingsbruder Esau, der zwar der Erstgeborene ist, aber dann an die zweite Stelle gerückt wird (Gen 25,23-34). Als Repräsentant der äußeren Körperwelt tritt Esau Jakob mit „400 Mann“ entgegen (Gen 33,1), so wie Israel, Repräsentant der inneren Geistseele, „400 Jahre“ in der „Knechtschaft Ägyptens“ sein muss (Gen 15,13). Der Weg der Erlösung aus der Zweiheit von „Ägypten“ (vgl. Mt 2,15) zur Einheit des Gelobten Landes führt über 42 Stationen analog zu den 42 Generationen des Stammbaums Jesu (Mt 1). Auch der Stern, hebr. kochab, 20-20-2, hat die Zahl 42. Vom „Osten“, vom Ursprung oder Himmel, steigt die unsterbliche Geistseele in die äußere Todes-Welt (des „Westens“) hinab; denn die Geistseele ist „unmittelbar von Gott geschaffen“ (KKK 366) - für die Rückkehr zum Anfang.

Warum verwandelt Jesus Wasser in Wein?

Bild: Maria (2. v. l.) veranlasst Jesus (links außen im rotem Gewand) bei der Feier der Hochzeit zu Kana zu seinem „ersten Zeichen“: der Offenbarung seiner göttlichen Herrlichkeit. Im Vordergrund steht der Speisemeister, der den besseren Wein in den sechs Krügen verkostet, die zuvor die Diener mit Wasser gefüllt haben  – Darstellung in der Krippendauerausstellung der Hofburg in Brixen (Südtirol).


Das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) ist das grundlegende erste von insgesamt sieben Zeichen im Johannesevangelium; das siebte ist die Erweckung des Lazarus, der schon den Todesgeruch verbreitet, weil er bereits vier Tage tot ist (Joh 11,39). Jesus kommt als Geist-Gesalbter in die (Todes-)Welt, um mit dem Salböl des Heiligen Geistes den Wohlgeruch des Lebens auszuströmen (Joh 12,3; vgl. 2 Kor 2,14-16) und seine Herrlichkeit zu offenbaren (Joh 2,11). Das Wasser ist biblisch Sinnbild von Zeit und Vergänglichkeit, also des Todes (vgl. Sintflut), die sechs Krüge stehen für die sechs Tage (Zeitlichkeit) der Schöpfung (so Augustinus). In der Vermählung mit dem Feuer (hebr. esch) des Geistes wird aus dem Wasser (hebr. majim) der bloß irdischen Hochzeit und Liebe der „Himmel“ (hebr. schamajim, gelesen als esch-majim = Feuer-Wasser) der wahren Liebe der ewigen Hochzeit zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung, die im Bundesschluss im Blut des Lammes vollzogen wird (Joh 19,34). Maria und das Motiv der „Stunde“ verbinden das Weinwunder (Joh 2,1-5) mit dem Mysterium des Kreuzes (Joh 13,1; 19,25-27). In der „Stunde“ seines Todes am Kreuz „überliefert“ Jesus seinen lebendig machenden Geist des Feuers seiner Liebeshingabe (Joh 19,30) seiner Braut-Kirche (Maria), wie er ihn als Auferstandener seinen Jüngern einhaucht zur Vergebung der Sünden analog zum Schöpfer, der dem irdischen Adam so göttliches Leben schenkt (Joh 20,22f; Gen 2,7). Im 19. Jahrhundert haben evangelische (rationalistische) Theologen das Weinwunder als „Luxuswunder“ kritisiert, der Pastorensohn Nietzsche hingegen hat den griechischen Weingott Dionysos, den Blütengott des rauschhaften Frühlings, gegen den Gekreuzigten verkündet. Dieser aber ist der wahre Weinstock, mit dem eins zu sein heißt, in der Liebe die bleibende Frucht des ewigen Lebens zu bringen (Joh 15,1-8.16).

Warum erscheint der Heilige Geist als Taube?

Bild: Im Jordan kommt bei der Taufe des Johannes der Gottesgeist in Gestalt einer Taube auf Jesus herab, der von der Himmelsstimme (im Symbol der Hand) als der geliebte Sohn des himmlischen Vaters bezeugt wird (Mk 1,10f); im Wasser ist der Jordan als Flussgott erkennbar, die geflügelten Engel des Himmels (rechts) assistieren dem Sohn des Himmels, der auf die schwarze Erde bis in ihre Tiefen hinabsteigt – Dom von Monreale bei Palermo.


Feministische Theologen deuten die Geist-Taube als Symbol der babylonischen Liebesgöttin Ianna-Ischtar (Aphrodite-Venus) und erwägen „erotisch-sinnliche Assoziationen“ bei der Taufe Jesu, wo „der Geist wie eine Taube“ auf den geliebten Sohn des himmlischen Vaters herabkommt (Mk 1,10). Übersehen wird, dass die Sintflut ein Sinnbild der in achteckigen Becken gespendeten christlichen Taufe ist, weil schon die Arche acht Personen rettet mit Noah „als dem Achten“ (2 Petr 2,4f; 1 Petr 3,20). Der Messias ist der „König des achten Tages“ (Sonn-tag der Auferstehung); sein Symboltier ist der Sonnenadler, der die erdgebundene Schlange bekämpft, die horizontal auch dem Bauch kriechend Staub fressen muss (Gen 3,14). Sie ist so Symbol der Vergänglichkeit und Zeit wie die Sintflut. In Offb 12,14 werden der von der Schlange bedrohten schwangeren Frau „die beiden Flügel des großen Adlers gegeben, damit sie in die Wüste an ihren Ort fliegen konnte“. Noah lässt am Ende der Flut einen schwarzen Raben aufsteigen, der das „Trockene“ der „schwarzen“ Erde ankündigt, dann folgt dreimal die weiße Taube, die beim zweiten Mal mit einem frischen Olivenzweig zurückkehrt (Gen 8,6-12). Aus der bitteren Olive (sechste Frucht analog zum sechsten Tag der bitteren Passion = Freitag) wird am achten Tag (Sonntag) das Öl gewonnen (hebr. schemen, wie hebr. schmonah = acht). Die Taube kehrt immer zu ihrem Ursprung zurück: zum Urlicht des „ersten Tages“ (Gen 1,3), der in der Sieben-Tage-Schöpfung mit dem „achten Tag“ zusammenfällt. In der jüdischen Überlieferung stehen sich weiße Taube/weißer Sonnenadler (hebr. nescher) und Schlange/Skorpion (hebr. akrew) im achten Tierkreiszeichen gegenüber wie der Gesalbte dem Anti-Gesalbten (Antichrist). Im Bild der Taube bringt der Heilige Geist die Kraft aus einer anderen Dimension zum Kampf mit dem Drachen/Teufel (Mk 1,13; Offb 12,9).

Ist Jesus Marias uneheliches Kind?

Zum Bild: Maria und Josef reichen sich vor dem jüdischen Hohepriester die Hand zur Besiegelung (Verlobung) ihres Bundes, darüber die Taube des Heiligen Geistes – barocke „Egerer Kapelle“, angebaut an die gotische Kirche St. Lorenzen im gleichnamigen Ort bei Bruneck (Pustertal, Südtirol).


Die Jungfrau Maria ist mit Josef aus dem Haus Davids „verlobt“, wenn der Engel des Herrn sie um ihr Ja-Wort des Glaubens für das Wunder der jungfräulichen Fleischwerdung des Sohnes Gottes bittet (Lk 1,26-38). Mit der Verlobung als rechtsverbindlichem Eheversprechen beginnt die jüdische Vermählung, erst nach einer bestimmten Zeit holt der Bräutigam die Braut in sein Haus. Bräutigam, hebr. chattan, und Hochzeit, hebr. chattuna, haben im Hebräischen den Anfangsbuchstaben Chet, den 8. Buchstaben des Alphabets mit dem Zahlenwert 8; auch die Braut, hebr. kalah, mit dem Stamm, kal, 20-30 = 50, hat diese 8, denn 50 ist 7 x 7 + 1 (analog zur 8 als 7 + 1). Verlobung, hebr. arissa,  ist der ‚Backtrog’ für das Backen des Brotteigs im Brothaus, hebr. Beth-lehem. Erst mit dem Feuer des Geistes bei der Taufe (Lk 3,16) und dann bei der Geistsendung des Auferstanden an „Pfingsten“ (= 50. Tag) kommt das verwandelnde Geistfeuer vom Himmel (Lk 12,40; Apg 2,1-4). Im Heiligen Geist, der die Jungfrau Maria wie das Offenbarungszelt „überschattet“ (Lk 1,35; Ex 40,34), wird die künftige Vollendung des „8. Tages“ der Auferstehung von den Toten schon jetzt vorweggenommen: Das „Gelobte Land“ als Ziel des Auszugs aus dem „Sklavenhaus“ Ägypten ist geistig verstanden „ein Bild des ewigen Lebens“ (KKK Nr. 1222; vgl. 1221 und 1094), also des 8. Tages. Der Glaube als ein „Angeloben“ und Entgegengehen zum kommenden Bräutigam ist schon die Antizipation der ewigen Hochzeit. Papst Franziskus nennt im Schlussgebet seines Apostolischen Schreibens „Evangelium gaudium“ (Die Freude des Evangeliums, 2013) Maria die „Braut der ewigen Hochzeit“. Sie ist von dieser Freude des Evangeliums ganz erfüllt, denn der Gruß des Engels (griech. chaire, Lk 1,28) bedeutet ja: „Freue dich!“. Ebenso soll sich auch die „Tochter Zion“ über die Ankunft des göttlichen Friedenskönigs freuen (Sach 9,9). Wie das „Land“ ist Maria als Verlobte schon jetzt „die Vermählte“ (Jes 62,4).

Warum wird Jesus im Tempel dargestellt?

Bild: Der greise Simeon nimmt im Tempel das Jesuskind auf den Arm und verheißt, dass er der kommende Erlöser der Heiden und Herrlichkeit für Israel sein wird – gotisches Relief in der Ursulinenkirche „Zum heiligen Erlöser“ in Bruneck (Pustertal).


Das erstgeborene Männliche wird 40 Tage nach der Geburt dem einen Gott, dem es gehört, im Tempel geweiht (bei Töchtern nach 80 Tagen). Durch ein Auslöseopfer, bei armen Leuten durch das Opfer von zwei Turteltauben (Lk 2,22,-24), wird der Knabe aber abgelöst. Das Fest der „Darstellung des Herrn“ oder der „Reinigung Marias“ am 2. Februar („Mariä Lichtmess“) gilt als Typos des Opfertodes Christi am Kreuz und des eucharistischen Opfers. Im Tempel bezeugen zwei Alte, ein Mann und eine Frau, das Innere/Er-innernde (vgl. „Zacharias“: Lk 1,5) und das Äußere, wer Jesus in Wahrheit ist: Der greise Simeon sieht in ihm das Heil und Licht der Heiden und Herrlichkeit für Israel, und er verheißt durch ihn den Fall und die Aufrichtung vieler (Lk 2,28-35); die 84-jährige Prophetin Hanna (hebr. channa ist das weibliche Wort von hebr. chan = Gunst, Gnade), die sieben Jahre verheiratet war, sieht in ihm den kommenden Erlöser (Lk 2,36-38). Die Zahl 84 oder 7 x 12 zeigt an, dass die Sieben-Tage-Schöpfung und die Zeit (der zwölf Mondmonate) zu Ende geht und die Voll-endung des Achten anbricht. Hanna ist im 85. Jahr, die Zahl 85 steht für hebr. peh, 80-5, ‚Mund’. Die Prophetin dient „Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten“ (Vers 37) und beginnt beim Anblick Jesu im Geist zu weissagen (Vers 38): Der erwartete Messias ist da, der aus der Zweiheit der Welt in die Einheit Gottes führt. Mose ist 80 Jahre alt, wenn er mit dem Auszug aus „Ägypten“ beginnt (Ex 7,7), der Zug durch die Wüste dauert 40 Jahre; das Verhältnis von 80 zu 40 ist 2 zu 1; Ägypten, hebr. Mizrajim, 40-90-200-10-40. hat den Wert 290, Kanaan, 20-50-70-50, den Wert 190; das Verhältnis von 380 zu 190 ist 2 zu 1. Nach dem 6. Tag (Ägypten) und dem 7. Tag (Wüste) ist der 8. Tag (Gelobtes Land) das Ziel der Einheit in Gott, symbolisiert in dem einen Tempel (Lk 24,53). 6., 7. und 8. Tag oder Freitag, Samstag und Sonntag sind der österliche Dreitag des Erlösungsmysteriums.

In welchem Sinn ist Jesus die Wahrheit Gottes?

Bild: Der Gekreuzigt in der Mitte zwischen den beiden mitgekreuzigten Schächern sowie Maria und dem Lieblings-jünger, während der Soldat (links) die Seite öffnet, aus der „Blut“ (Eucharistie) und „Wasser“ (Taufe) strömen (Joh 19,30) – Fresko aus der barocken „Egerer Kapelle“, angebaut an die gotische Kirche St. Lorenzen im gleichnamigen Ort bei Bruneck (Pustertal).


Edith Stein, als Philosophin jüdischer Herkunft auf der Suche nach der Wahrheit, die sie schließlich durch die Lektüre der Schriften von Teresa von Avila im katholischen Glauben und im Orden der Unbeschuhten Karmelitinnen fand, schrieb 1938 an eine Mitschwester: „Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.“ „Was ist Wahrheit?“, fragt Pilatus bei seinem Verhör Jesus, der von sich sagt, er sei „dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18,37f). Jesus ist der (Blut-)Zeuge der Wahrheit Gottes, die er selbst mit seinem Leben, Sterben und Auferstehen ist: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25). „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Wahrheit, hebr. emeth, ist in Zahlen 1-40-400 oder die Bundes-Struktur 1 (= Gott) zu 4 (= Welt). Ohne die Eins (= Aleph) bleibt nur meth (40-400) oder maweth = Tod. Sünde und Tod als Abtrennung von der Eins/Einheit des lebendigen Gottes sind dabei Folge der subtilen Lüge der Paradiesschlange, dass der Genuss der verbotenen Frucht „wie Gott“ die Nr. 1 sein lässt (Gen 3,5). „Die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt“ (Offb 12,9) und „die Gewalt über den Tod hat“ (Hebr 2,14), ist so der „Vater der Lüge“ und „Mörder von Anfang an“ (Joh 8,44; vgl. Gen 4,8). Die Wahrheit Gottes zeigt sich in den 10 Geboten (10 ≈ 1), die alle in der Liebe erfüllt sind (Röm 13,10). Jesus offenbart in seiner vollkommenen Hingabe bis zum Tod am Kreuz die Liebe des himmlischen Vaters = Eins zur Welt = Vier (Joh 3,16) und schließt in seinem Blut neu den ewigen Bund der Liebe, deren Zeichen die Eucharistie als „Sakrament der Liebe“ ist. Sie ist die wahre Paradiesspeise vom Kreuz als „Baum des ewigen Lebens“ (Offb 2,7), die den Weg bahnt in den Lebensgarten (Joh 20,15f) der Wahrheit des „hochzeitlichen“ Liebesbundes von „männlich“ = 1 und „weiblich“ = 4 (vgl. Adam, A-d-m = 1-4-40; fünf Bücher der Thora: 1–4; Kreuz: 1–4).

Wie verhalten sich Alter und Neuer Bund?

Bild: Mose (links) schüttet das Korn des Alten Bundes in den Trichter, das Paulus (rechts) als Mehl des Neuen Bundes in Empfang nimmt; das Mahlen des Korns als Transformation oder „Enthüllung“ (Ablösung der umhüllenden Spreu vom Weizen) geschieht durch das Kreuz-Rad in der Mitte, das heißt das österliche Kreuzmysterium – Mystische Mühle, Kapitell der Kathedrale von Vézelay (Burgund).


Nach einem „Rabbi aus alter Zeit“ ist „die Tora, wie Mose sie empfing, … nur eine unreife Frucht am himmlischen Baum der Weisheit. Am Ende der Tage wird vieles offenbar werden, was jetzt verborgen ist“ (zit. nach Abraham J. Heschel, Keine Religion ist ein Eiland, in: Fritz A. Rothschild [Hg.], Christentum aus jüdischer Sicht, 324-341, hier 336). Zum Reifen wird das noch Unreife in der „Endzeit“, wenn der Geist als Feuer vom Himmel auf alles Fleisch herabkommt (Apg 2,1-4.17f; Joel 3,1f) und so zwischen den schwarzen Buchstaben der Schrift auch die Spatien als „weiße Buchstaben“ lesbar werden. Durch die Vorstellung, dass die Thora ein auf weißem Feuer geschriebenes schwarzes Feuer ist, erlangt der jüdische Mystiker in seiner Hingabe „die Fähigkeit, die äußere Hülle der Buchstaben zu durchbrechen und das unendliche Licht zu erreichen…“ Denn die geschriebenen schwarzen Buchstaben verhüllen die „Lichtfülle der himmlischen Tora“, die durch die „Kontemplation der Tiefen des Toratextes“ erkannt wird, was „mit einer Erfahrung der Selbstverwandlung verbunden“ ist (Moshe Idel, Alte Welten – Neue Bilder, 283 bis 289). Die ‚weiße Tora‘ ist zugleich die ‚neue Tora‘ (Jes 51,4), die mit dem Messias kommt, womit aber kein neuer Textbestand gemeint ist, sondern ein tieferes, mystisches, vom Geist erleuchtetes Verständnis der Schrift. In diesem Sinn sagt Paulus, der Geist „hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstaben tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2 Kor 3,6). Der Geist enthüllt, was ohne ihn noch verhüllt an der Schrift ist, damit „wir mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn“ widerspiegeln und „so in sein eigenes Bild verwandelt“ werden (2 Kor 3,12-18), das „Bild des Himmlischen“ (1 Kor 15,49).

Ist die Kirche Gotteswerk oder Menschenwerk?

Bild: Darstellung der Ekklesia (neutestamentliche Weisheit, um 1220) an der Westwand über der Empore der Johanneskapelle an der Südwestecke des Kreuzgangs des Doms zu Brixen; hier fand wohl 1080 die Bischofssynode statt, die zur Absetzung von Papst Gregor VII. führte.


Gott liebt alles, was ist und was er gemacht hat, denn er ist der „Liebhaber des Lebens“ (Weish 11,24.26). Nicht gemacht hat er die „Finsternis“ der Gottesferne; aus ihr wird der Mensch befreit in der Taufe zum ersterschaffenen Licht der Gottesnähe (Eph 2,13; 5,8). Nicht gemacht hat er die Satan-Schlange im Paradies, „die die ganze Welt verführt“ (Offb 12,9). Sie wird von Gott verflucht und besiegt vom „Nachwuchs“ (Samen) der „Frau“, das heißt der Kirche bzw. Maria als neue Eva (Gen 3,14f; 2 Kor 11,2; Offb 12,1). Auch das sterbliche „Fleisch“, das „in Gottes Augen verdorben“ und „voller Gewalttat“ war (Gen 6,3.12), liebt Gott nicht, denn er hat den Menschen „zur Unsterblichkeit erschaffen“ (Weish 2,23). Deshalb wird es in der Sintflut vernichtet, aber der Mensch im „Kasten“ der Arche als Sinnbild des Tempels und der Kirche in Gestalt der Acht (Noah, seine drei Söhne und ihre vier Frauen) gerettet – als Sinnbild der Taufe (1 Petr 3,20f). Auch den auf „natürliche Weise“ gezeugten Ismael liebt Gott nicht, sondern nur den auf übernatürliche Weise von dem „100-jährigen“ Abraham „kraft des Geistes“ gezeugten und von der „90-jährigen“ Sarah empfangenen und am „achten Tag“ beschnittenen Isaak als „Sohn der Verheißung“ (Gal 4,29; Röm 9,8). Schließlich liebt Gott auch nicht den „roten“ und „haarigen“ Esau (Gen 25,25), sondern nur seinen jüngeren Zwillingsbruder Jakob/Israel als Inbegriff des (eigentlich erstgeborenen) inneren Menschen (Röm 9,13; Mal 1,2). Das Paradies mit dem Baum des ewigen Lebens und seiner Frucht ist Vorausbild der Kirche mit der Eucharistie als Frucht vom Baum des Kreuzes, ebenso das Schiff der Arche Noah, der Abrahams-Bund der Beschneidung am „achten Tag“ und der Sinai-Bund des Mose mit der Gabe der Thora am „fünfzigsten Tag“ (Pfingsten). Die Kirche ist als „neue Schöpfung“ (8. bzw. 50. Tag) nicht Teil der gefallenen Welt, sondern deren Rettung durch ihren göttlichen Glauben als „Werk Gottes“ (Joh 6,29; vgl. Mt 16,16-18). Mit dem „Wasser“ (Taufe) und dem „Blut“ (Eucharistie) aus der Seitenwunde Christi wird sie in dessen Sieg über Finsternis und Tod (Satan), Sünde und Fleisch im Geist geboren (1 Joh 5,4-8).

 

Warum trägt der Hohepriester Granatäpfel an seinem Gewand?

Bild: Granatäpfel und goldene Glöckchen am Gewand des Hohepriesters Ausschnitt aus dem Bild von der Aufnahme Mariens als Kind in den Tempel von Jerusalem in der Cappella della Madonna della Strada in der Jesuitenkriche Il Gesu in Rom.


Der schmackhafte, heilsame Granatapfel gilt seit jeher als Wunderfrucht und Paradiesfrucht (Koran). In der mittelalterlichen Ikonographie symbolisiert er Jesu Auferstehung und die Einheit der Kirche; zudem verweist er auf Maria als „Mutter der Kirche“ (Fest am Montag nach Pfingsten). Biblisch ist er die fünfte Frucht (mit angenommenen 613 Samenkörnern analog zu den 613 Ge- und Verboten der Thora) nach der Feige als vierter Frucht (Dtn 8,8). Wie die Zahl vier für das Irdische und den Fall aus dem himmlisch-irdischen (sakramentalen) Paradies ins bloß Irdische durch das Essen vom (Feigen-)Baum der Erkenntnis steht (vgl. die „Feigenblätter“ in Gen 3,7), so die Zahl fünf (in der Form 1–4) für den „Bund“ von Himmel (1) und Erde (4; vgl. die fünf Bücher der Thora als ‚Bundesbuch’). Beim jüdischen Hohepriester, der als ‚Einer’ einmal im Jahr das eine Allerheiligste des Tempels betrat, befinden sich am himmelblauen, bis zu den Fußknöcheln herabreichenden Mantel in stilisierter Form zweiundsiebzig Granatäpfel (hebr. rimomin) und zweiundsiebzig goldene Glöckchen (pamomin, vgl. Ex 28,33f). Denn wenn der Hohepriester das Allerheiligste verließ, musste seine Stimme erklingen, und durch sein Tun musste er die erlebte himmlische Einheit im Irdischen bezeugen. Die Zahl 72 ist der Gesamtwert des Tetragramms JHWH = 10-5-6-5, indem man den Zahlenwert der vier Buchstaben anwachsen lässt: 10 + 10-5 + 10-5-6 + 10-5-6-5 = 72. Die jüdische Mystik kennt 72 verschiedene Namen Gottes und 72 Engenamen, die aber alle in dem einen Namen JHWH enthalten sind. Das erste Buch Genesis er-zählt von Adam bis Noah 10, bis Regu 5, bis Isaak 6 und bis Mose wieder 5 Geschlechter, also in der Struktur 10-5-6-5 = 26. Mose ist die 26. Generation nach Adam, dem der Gottesname im brennenden, aber nicht verbrennenden Dornbusch offenbart wird (Ex 3). Seit dem 4. Jh. wird der brennende Dornbusch als Typus der „Immerjungfrau“ verstanden: Maria (als Heiligtum) blieb – ganz erfüllt vom Feuer des Heiligen Geistes – Jungfrau, obwohl sie gebar.

 

 

Warum erschafft Gott die Welt in sechs Tagen?

Bild: Davidstern und siebenarmiger Leuchter gehören zu den wichtigsten religiösen Symbolen des Judentums. Der baumartige Leuchter mit 2 x 3 Ästen am Mittelstamm und aufgesteckten, kelchartigen Lichtschalen sowie floralen Formen befand sich in der Stiftshütte bzw. im Tempel (1 Kön 7; Sach 4; Ex 25). „Der aus 70 Teilen bestehende Leuchter bedeutet die Zeichen, durch welche die Planeten gehen, und seine sieben Lampen die Planeten selbst“ (Flavius Josephus, Antiquitates 3.7.7).


Gott erschafft die Welt in sechs Tagen auf den siebten Tag hin, den er ‚heiligt’ (Gen 2,1-3). Er bildet als Bundeszeichen des Sabbats die „Mitte“ und „Ruhe“ Gottes im Sinn seiner Einwohnung („ruhen“) im Heiligtum als seiner Wohnstätte, womit das Werk „vollendet“ wird (V. 2). Ebenso „vollendet“ Mose sein Werk: den Bau des Heiligtums nach dem himmlischen Vorbild (Ex 40,33; 25,40). Kosmos und Heiligtum entsprechen einander. Für das Heiligtum fertigt Mose einen siebenarmigen „Leuchter aus purem Gold“: „Von seinen Seiten sollen sechs Arme ausgehe, drei Leuchterarme auf der einen Seite und drei auf der anderen Seite“ (Ex 25,31f). Die 2 x 3 Leuchten entsprechen den 2 x 3 Schöpfungstagen der ersten Schöpfungserzählung (Gen 1). Die Zahl sechs gilt als vollkommen, weil sie aus den gleichen Additoren und Divisoren 1, 2 und 3 besteht. Sie gilt aber auch als Zahl der ‚Hochzeit’, weil sechs (lat. sex) das Produkt der ‚männlichen’ Drei und der ‚weiblichen’ Zwei ist. Der Sechsstern (Davidstern) besteht aus zwei sich überlagernden Dreiecken: Das erste (männliche) mit der Spitze nach oben versinnbildet die ersten drei Schöpfungstage, das zweite (weibliche) mit der Spitze nach unten die zweiten drei. 1. Tag (Licht) und 4. Tag (Lichter = Sonne, Mond und Sterne) stehen auf der rechten (männlichen), 2. Tag (Firmament oben – Wasser unten) und 5. Tag (Vögel – Fische) auf der linken (weiblichen) Seite, die beiden Spitzen auf der Mittelachse sind 3. Tag (Erde/Pflanzen – aufrechte Bäume) und 6. Tag (Erdtiere – aufrechte Menschen männlich-weiblich). Die sieben Flammen des Leuchters symbolisieren auch die sieben ‚Planeten’ (einschließlich Sonne und Mond), nach denen die sieben Wochentage benannt sind. Je drei stehen einander polar als ‚männlich’ (Sonne, Mars, Jupiter) und ‚weiblich’ (Mond, Venus, Merkur) gegenüber; der siebte Planet Saturn (Samstag/Sabbat, engl. saturday) in der Mitte ist der „Stern Israels“. Der 3. Tag (franz. mardi/Marstag) steht dem 6. Tag (Freyatag/Venustag) gegenüber. Aber nicht die irdische Liebe (Venus) und sterbliche Fruchtbarkeit erfüllt ganz das ‚Gesetz der Urpolarität’, sondern  erst die ‚ewige Hochzeit’ von Schöpfer und Schöpfung am ewigen ‚8. Tag’ (österlicher Sonntag der Auferstehung) jenseits von Zeit und Welt.

 

 

Warum rettet  der Anblick der erhöhten Kupferschlange?

Bild: Mose (links mit Lichtstrahlen) erhöht an einer Signalstange, die christlich als Kreuz verstanden wird, auf Gottes Anweisung eine Kupferschlange, deren Anblick die von giftigen Schlangen gebissenen Israeliten auf ihrem Wüstenzug vor dem Tod rettet; oberhalb von Mose schwebt die Taube als Symbol des Heiligen Geistes, dem in christlicher Zeit die Spitäler gewidmet werden – Altar an der Nordseite der frühklassizistischen Pfarrkirche St. Verena, Klosterkirche der Prämonstratenser, in Rot an der Rot (Oberschwaben).

 


Das Zeichen der Apotheken ist der Äskulapstab, an der sich eine Schlange emporwindet. Asklepios, der ‚berühmteste Arzt der Welt’, war der griechische Gott der Heilkunst und gleichzeitig ihr Begründer. Sein Heilkult wurde noch in der Römerzeit in zahlreichen Heiligtümern ausgeübt. Allerdings scheiterte sein Heilkunst an der ‚Krankheit’ des Todes: Dagegen war kein Kraut gewachsen. Für das vielschichtige Schlangensymbol kannten die Griechen nur ein und dasselbe Wort: ‚Pharmakon’, „welches je nach Brauch oder Missbrauch ‚Heilmittel’ oder ‚Gift’ bedeutet“, so Detlef Witt, der eine enge Beziehung der Asklepios-Schlange zur aufgebäumten Kundalini-Schlange in Indien sieht, wobei der Stab, kosmisch die Weltachse, das Aufsteigen an der Wirbelsäule mittels des Atems symbolisiert als Integration der Gegensätze (Himmel und Unterwelt), was zur Erleuchtung führt: „So wird der Mensch befähigt, seine Triebe aus der alles vereinigenden Mitte im Sinne der Schöpfungsordnung zu gebrauchen. (…) Nur vertikal gebraucht, ist die Schlangenkraft heilsam“ (Die Evolution der menschlichen Gottesbeziehung, 1999, 55). In der biblischen Erzählung vom Murren der Israeliten auf ihrem Wüstenzug werden sie von Gott durch horizontale Giftschlangen bestraft, während der Aufblick zu der von Mose auf einer Stange erhöhten Kupferschlange sie vor dem Tod bewahrt (Num 21,8f). Im Hebräischen bestehen die Worte ‚Kupfer’ (nechoscheth) und ‚Schlange’ (nachasch) aus denselben Konsonanten, nur mit anderer Endung. Kupfer ist das Metall der Liebesgöttin Venus, des 6. Tages (Freyatag), der irdischen Liebe. Im Aufblick zu dem am Karfreitag am Kreuz Erhöhten erweist sich Jesus als der wahre Arzt und die rettende Heilsschlange (Joh 3,14): Die Eucharistie als Frucht vom Kreuz ist das einzig wirksame ‚Gegengift’, das auch den Tod überwindet.

 

 

Was bedeutet Gottes Dreifaltigkeit?

Bild: Maria wird vom drei-einen Gott „mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ (Ps 8,6) zur „Königin des Alls“ (II. Vatikanum, LG 59); sie ist so die wahre Krone der (neuen) Schöpfung – Ikone im Kloster Moni Agia Triade auf Kreta.

 



Im Bekenntnis zum dreifaltigen Gott (Vater, Sohn und Heiliger Geist: Mt 28,19) hat die christliche Religion ihr Alleinstellungsmerkmal. Juden und Muslime sehen darin einen Angriff auf Gottes Einheit, eine Form des Tritheismus (Drei-Götter-Lehre), wobei im Koran an die Stelle des Heiligen Geistes irrtümlich Maria tritt (was einige Theologen befürworten, um die ‚schwache’ Repräsentanz des Heiligen Geistes durch eine bloße ‚Taube’ zu verstärken). Das Judentum hat die Triade Gott, Thora (Wort) und Gemeinde Israel, das alte China die von Himmel (Vater), Mensch (Kaiser, Sohn) und Erde (Mutter). Christlich wird bei der ‚Erde’ zwischen der gefallenen Eva und Maria als neuer Eva und damit auch als neuer Erde, neuem Mond, neuer Schöpfung, neuem Tempel usw. unterschieden, was alles mit „Eva“, der „Mutter der Lebendigen“ (Gen 3,20), mitgemeint ist. In der ‚Jungfrau Israel’ wird nach rabbinischer Auffassung durch den Glauben an Gottes Wort die ‚Urschönheit’ Evas wiederhergestellt, am Sinai ist Israel wieder die Braut JHWHs. Christlich gilt die Jungfrau Maria als Verkörperung der Tochter Sion, als Urbild der Kirche und Braut des Heiligen Geistes. Dieser erscheint im Sinnbild von Feuer (Apg 2,1-4), Luft/Atem (Gen 2,7; Joh 20,22f) und Wasser (Joh 7,38f), aber nicht Erde, was Materialität, Körperlichkeit und Vergänglichkeit besagt: „Gott ist Geist“ (Joh 4,24). Aber als Schöpfergeist ist er der Schöpfung zugewandt und innerlich gegenwärtig. In der Krönung der geisterfüllt-sündlose Jungfrau und Gottesmutter Maria durch den drei-einen Gott wird die erlöste Schöpfung in das Liebesgeschehen zwischen Vater, Sohn und Geist hineingenommen als wahre Braut, an der sich ihr „Erbauer“ ewig erfreut (Jes 62,5).

 

Warum trägt Gottes Sohn den Namen Jesus?

Bild: Der hl. Ignatius von Loyola wählte für seinen Orden den Namen „Gesellschaft Jesu“ (Societas Jesu) und als Zeichen das IHS-Mogramm in der Strahlensonne mit dem Kreuz über dem griechischen Eta, oft auch noch mit drei Nägeln darunter für die drei Ordensgelübde Armut, Keuschheit und Gehorsam – die dem Namen Jesu 1584 geweihte barocke Hauptkirche des Jesuitenordens in Rom hat im Zentrum der Apsis das Signet IHS in goldenen Buchstaben auf blauem Grund.

 


Nach Klaus Berger ist „insbesondere das älteste Christentum eine ‚Religion des Namens Jesu Christi’“ (Die Bibelfälscher, 72f). Maria gibt dem von ihr empfangenen Sohn Gottes den Namen Jesus auf Anweisung des Engels hin, mit der Beschneidung am 8. Tag erhält er ihn (Lk 1,31; 2,26). Bei Matthäus (1,21) gibt Josef auf Anweisung des Engels den Namen Jesus, außerdem wird er nach der Verheißung des Jesaja „Immanuel: Gott mit uns“ genannt (Mt 1,23). Jesus bedeutet: JHWH rettet: „der Retter …, der Messias, der Herr“ (Lk 2,11). In der christlichen Mystik (schon bei Ignatius von Antiochien) wird der Name Jesu als IHS-Monogramm zum Glutkern des in Liebe entbrannten Herzens. Giovanni Pico della Mirandola gibt vom Hebräischen her dem Namen Jesu (JSW) nicht nur eine christlich-messianische, sondern auch eine trinitarische Deutung: Jod-Schin-Waw stehen für Vater, Geist und Sohn (vgl. die 900 Conclusiones von 1486). In seiner berühmten Rede über die Würde des Menschen (1486/87) forderte er dazu auf, der höchsten der drei Engel-Hierarchien des Dionysius Areopagita nachzueifern: „Es glüht der Seraph vom Feuer der Liebe…“ Sein Schüler Johannes Reuchlin versuchte mit seinem Werk De Verbo mirifico (1494) nachzuweisen, dass die biblische Theologie des Namens Gottes „im Namen Jesu kulminiert“. Denn durch Einfügung des vorletzten Buchstabens Schin, Symbol für das Feuer (hebr. esch) des Geistes, in der Mitte von JHSUH, vokalisiert Jehoschua, sei der unaussprechliche Gottesname JHWH aussprechbar geworden. Nach dem jüdischen Mystiker Abraham Abulafia (13. Jh.) ist Schin das „Zeichen des Messias“. Schin hat den Zahlenwert 300 wie Geist Gottes, hebr. Ruach Elohim (200-6-8 1-30-5-10-40 = 300). Der volle Zahlenwert von JHWH (10, 10+5, 10+5+6, 10+5+6+5) ist 72. Die drei Verse Ex 14,19-21 enthalten jeweils 72 hebräische Buchstaben, die untereinander gelesen (Vers 20 von links nach rechts) 72 Engelnamen ergeben. Der von Gott verliehene Name Jesu aber ist „größer als alle (Engel-)Namen“ (Phil 2,9; Hebr 1,4).

 

 

Warum werden Jesu Kleider weiß wie das Licht?

Bild: Die Berufung zur Vergöttlichung offenbart Jesu Verklärung auf dem Berg, „wo das makellose Licht (Phos Hilarondas Taborlicht) den Menschen umfängt, so dass er im Abglanz des göttlichen Lichtes seiner selbst entrückt, im Angesicht Gottes verklärt nur noch sich selbst ist, völlig bei sich, ins göttliche Gegenüber eingeht, in ihm aufgeht, Licht vom Licht, eins wird, … wo er erkennt, was er immer schon war, ist und sein wird: Abbild Gottes, Gottes Ebenbild, Gott ähnlich, Krone der Schöpfung“ (Maria Brun) – Apsismosaik in Sant’ Apollinare in Classe bei Ravenna (549) mit der ältesten Verklärungsdarstellung.

 


Kleider machen Leute. „Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige“ (Mt 11,8). Johannes der Täufer trägt nur ein „Gewand aus Kamelhaaren“ (Mt 3,4) ähnlich wie Elija (2 Kön 1,8), der auf dem Feuerwagen in den Himmel entrückt wird, mit seinem hinterlassenen Prophetenmantel aber seinen Nachfolger Elischa einsetzt (2 Kön 2,10-15). Jesus hinterlässt seinen Jüngern ebenfalls sein Kleid: sein weißes Lichtkleid göttlicher Herrlichkeit, das sie – in der Taufe angezogen – zu „Kindern des Lichts“ macht (Eph 4,24; 5,8). In der von den drei Synoptikern herausgestellten Szene der Verklärung/Verwandlung Jesu auf dem „hohen Berg“ leuchtet sein Gesicht schön „wie die Sonne, und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht“ (Mt 17,2; die Vulgata hat lat. nix, ‚Schnee’). Das geschieht „sechs Tage danach“ (Mt und Mk), denn ‚sechs’ (hebr. schesch, 300-300) bedeutet auch (weißes) ‚Leinen’: Der Mensch muss sündenlos weiß sein wie Schnee (Ps 51,9), nicht rot wie Esau/Edam/Adam. Zugleich erscheinen die Repräsentanten des Alten Bundes, Mose (Gesetz) und Elija (Propheten), im Bild weiß gekleidet, als Zeugen für Jesus und reden mit ihm, wie Jesus zuvor im Gebet (so Lk 9,29) mit seinem himmlischen Vater geredet hat. Die Verklärung („Dies ist mein geliebter Sohn“) verbindet die Taufe durch Johannes im Jordan („Du bist mein geliebter Sohn“) und die Kreuzigung auf dem Berg Golgota („Dieser Mensch war Gottes Sohn“) und nimmt die österliche Auferstehung vorweg (liturgische Lesung am 2. Fastensonntag). Origenes identifiziert den Berg der Verklärung als Schau (Theoria) des ungeschaffenen Lichts mit dem „Tabor“ (hebr. für Nabel, Ursprung, Mitte des Landes). Im ursprünglichen Paradies „im Osten“ (Gen 2,8) trägt der Mensch kein animalisches Fellkleid wie nach dem Sündenfall (Gen 3,21), sondern das „erste Kleid“ (Lk 15,22) seiner göttlichen Würde analog den Priestergewändern für Aharon „zur Ehre und Pracht“ (Ex 28,2). „Mit ihren Gewändern ist auch ihre Priesterschaft auf ihnen, sonst aber nicht“ (Sewachim 17a).

 

 

 

Warum wird Gottes Schöpferwort Fleisch am 25. März?

Bild: Maria, vom Heiligen Geist ganz erfüllt, gibt als die „Tochter Zion“ (Zef 3,14) und damit „Summe Israels“ dem Engel des Himmels ihr gläubig-gehorsames Ja-Wort zur Fleischwerdung des Schöpferwortes (Logos) stellvertretend für Israel, die ganze Menschheit und die (weiblich-lunare) Schöpfung, über der „im Anfang“ Gottes Geist schwebt (Gen 1,2) – Szene der „Verkündigung“ als modernes Bronzerelief, Eingangsportal des Petersdoms in Rom (linke Seite).

 


Mit dem Ungehorsam Adams und Evas im Paradies ist der Weg des Unheils begonnen und vom Gehorsam Marias und ihrem ‚Ja“ gegenüber dem Engel und seiner Heilsbotschaft ist er beendet worden (so Papst Franziskus in seiner Predigt zum Fest Mariä Verkündigung am 25. März 2014). Der 25. März ist das Datum des Frühlingsbeginns in der Tag-und-Nacht-Gleiche nach dem julianischen Kalender; neun Monate später feiert die Kirche Weihnachten, die Geburt des Schöpferwortes, des „Erstgeborenen der ganzen Schöpfung“ und „Erstgeborenen der Toten“ (Kol  1,15.18). Die Monatsnamen (‚Dezember’ = der zehnte Monat) und der Februar als Schaltmonat lassen noch erkennen, dass der März als Frühlingsbeginn auch der Jahres- und symbolisch der Schöpfungsbeginn ist, aber auch der Anfang der Erlösung. Vor der Festlegung von Ostern auf den Sonntag nach dem Frühlingsvollmond (1. Konzil von Nizäa 325) feierte die Kirche besonders in Gallien die Kreuzigung Jesu jährlich am 25. März (2016 fiel der Karfreitag auf den 25. März). Die jüdische Überlieferung datiert das Isaakopfer auch auf den 25. März. Auf diese Weise wird die ganze Schöpfung in das erlösende Heilsgeschehen einbezogen, das darin besteht, dass ihre zwei Seiten – Sein und Werden, Innenwelt und Außenwelt, Unvergängliches und Vergängliches, Seele und Körper – auf höherer Ebene (wieder) vollkommen eins werden. Isaaks ‚Aufstieg’ und Jesu ‚Auferstehung’ zielen auf den Frühlingspunkt als Schnittpunkt von Himmelsäquator (Fixsterne als Bild der Ewigkeit) und Ekliptik (Lauf der Sonne durch die zwölf Tierkreiszeichen als Bild der Zeit), markiert durch den Widder als erstes Frühlingszeichen (Gen 22,13), dem kosmischen Urbild des Paschalammes: „Als unser Osterlamm ist Christus geopfert worden“ (1 Kor 5,7), der sich „gehorsam bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8) als Lösegeld hingegeben hat. Im Johannesevangelium stirbt das „Lamm Gottes“ (1,29) in der „Stunde“ der Schlachtung der Paschlämmer für das Paschafest im Tempel; sein Auferstehungsleib wird zum Tempel der Anbetung des Schöpfers und himmlischen Vaters „im Geist und in der Wahrheit“ (2,21f; 4,23).

 

 

Entspricht Jesu Herrlichkeit auf dem Kreuzesthron der auf dem kosmischen Thronwagen Gottes?

Bild: Der kosmische Thronwagen Gottes besteht als „Räderwerk“ (Ez 10,13) aus dem Himmelsäquator mit den immer an gleicher Stelle erscheinenden Fixsternen (Bild der Ewigkeit) und der Ekilptik, dem Jahreslauf der Sonne durch die zwölf Tierkreiszeichen der zwölf Monate (Bild der Zeit). Die beiden Weltkreise drehen sich gegenläufig und schneiden sich X-förmig an den Äquinoktien im Frühling (Widder) und Herbst (Waage). Bei Platon ist das X (= Chi) Symbol für die „Weltseele“ als Bild des wohlgeordneten kreuzförmigen Kosmos. Im Apsis-Mosaik von S. Pudenziana (um 400) in Rom wird ein Gemmenkreuz von den vier geflügelten Urwesen des kosmischen Thronwagens flankiert, hier vom Stier.

 


Der Priesterprophet Ezechiel schaut in seiner Berufungsvision die menschliche „Gestalt der Herrlichkeit des Herrn“ auf einem kosmischen Thron (Ez 1,26-28), was grundlegend wurde für die jüdische Merkaba-Mystik (mit zahlreichen Merkaba-Gemeinden). Die Räder dieses Thrones Gottes sind vier geflügelte Cherubim, die in alle vier Himmelsrichtungen blicken mit dem Gesicht eines Menschen, Löwen, Stiers und Adlers: „Ihr Aussehen war wie glühende Feuerkohlen“ (Ez 1,10-13). Der Thronwagen heißt hebr. galgal (Ez 10,13): „Räderwerk“. Im Neuen Testament (Offb 4,6-8) stehen die vier Lebewesen als Assistenten um den Gottesthron und rufen ohne Ende dreimal „Heilig“ (Vers 8; Jes 6,3). Sie fallen anbetend nieder vor dem einen Gotteslamm mit den sieben Hörnern, das „wie geschlachtet“ aussieht und gewürdigt wird, das Buch der Welt mit den sieben Siegeln zu öffnen, das heißt den göttlichen Heilsplan zu erschließen (Offb 5,6-14). Der Sohar identifiziert die Herrlichkeitsgestalt auf dem viergestaltigen Thronwagen (Tetramorph) mit dem Adam Kadmon (den Zehn Sefiroth) und der Schriftlichen Thora, die vier Wesen mit den vier Paradiesflüssen (Gen 2,10).  Ephräm der Syrer sieht in ihnen den viergliedrigen Kreuzesthron, auf dem der König Messias als „Lamm Gottes“ (Joh 1,29) thront, dessen „Herrlichkeit“ schon Jesaja gesehen hat (Joh 12,41): „Den Wagen der vier Wesen verließ er [Christus] und stieg herab – und schuf sich das Kreuz als Gefährt nach den vier Weltrichtungen“, nämlich Osten/Frühling (2. Tierkreiszeichen Stier/Evangelist Lukas), Süden/Sommer (5. Zeichen Löwe/Markus), Westen/Herbst (8. Zeichen Skorpion/Geistseite Adler/Johannes) und Norden/Winter (11. Zeichen Wassermann/ Engel/Mensch/Matthäus). Dem Lamm als Zentrum oder Anfang des Gevierts entspricht das 1. Zeichen Widder; deshalb opfert Abraham anstelle seines geliebten Sohnes Isaak den Widder im Baum (Gen 22,13; Datum: 25. März). Die viergestaltigen Kerubim sind „Abbilder der Heilsordnung des Sohnes Gottes“, die selbst „viergestaltig“ ist (Irenäus von Lyon, Adv. haer. 3,11,8). So kann sich das eine viergestaltige Evangelium der Welt (= 4) mitteilen. Bei der Analogie zwischen den vier Evangelisten und den vier großen Propheten Israels entspricht Johannes dem Ezechiel.

 

 

 

Gibt es zwischen Kreuz und Thora ein Analogie?

Bild: Am 11. Oktober 2006 weihte Papst Benedikt XVI. in Rom im Beisein von jüdischen Repräsentanten eine Statue von Edith Stein mit Thora, Kreuz und Dornenkrone. Als Jüdin 1891 in Breslau geboren, trat Edith Stein als junge Philosophin am 1. Januar 1922 zum Christentum über; als Jüdin wurde sie am 9. August 1942 in Auschwitz ermordet. Als Karmelitin erhielt sie den Namen Teresia Benedicta a Cruce („die vom Kreuz Gesegnete“) – sechs Meter hohe Stein-Statue aus weißem Carrara-Marmor von Paul Nagel (†2016) in einer Außennische an der (nicht zugänglichen) Westfassade des Petersdoms in Rom.

 


Das 3. Buch Levitikus mit der Forderung, heilig zu sein wie Gott (Lev 19,2), gilt manchen als Mitte der fünf Bücher der Thora, die den Kern der Hebräischen Bibel bilden. Doch der Schöpfer (1) schließt seinen Liebensbund mit der Welt (4) schon im Buch Genesis. Allerdings empfängt erst Mose an Pfingsten (Pentecoste), dem 50. Tag nach Ostern, die Thora (Pentateuch) als Bundesbuch mit der Schlüssel-Struktur des Bundes 1–4, symbolisiert im fünften Buchstaben Heh = 5. Gen 1 hat 1671 Buchstaben; multipliziert mit der halben sieben (= 3,5) als Symbol des Zeitlichen ergibt sich 5848: die Zahl der Verse der Thora (die 3,5 als 35 ist die Zahl der Worte zum siebten Tag: Gen 2,1-3,5). Die 1671 Buchstaben ergeben sich auch, weil im letzten Vers Gen 1,31 der eine „überzählige“ Buchstabe Heh als Artikel des „sechsten Tages“ (hebr. ha-schischi) genannt wird, der bei den anderen Tagen fehlt. So ist das erste Buch Genesis (mit seinen 50 Kapiteln) die Eins gegenüber der Vier. Die Bundesstruktur 1–4 kennzeichnet den Menschen (a-d-m = 1-4-40), das Paradies (ein Strom, vier Flüsse) und die beiden Bäume, den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse; denn deren Zahlenwert 233 und 932 ist genau 1 zu 4. Auch das Kreuz und der Gekreuzigten mit den fünf Wundmalen (eine Herzwunde, vier Male an Händen und Füßen) zeigen diese Struktur. Im Blut des geschlachteten Osterlammes Christus wird der neue und ewige Bund geschlossen am „achten Tag“ (Sonntag der Auferstehung) als Vollendung des Sinai-Bundes und aller anderen Bünde (z. B. des Beschneidungsbundes am „achten Tag“). Deshalb ist die Verbindung von Kreuz und Thora bei der Statue von Edith Stein keine „unerträgliche Vermischung von Symbolen“ (Walter Homolka), sondern entspricht dem inneren Sinn der Thora. Das Kreuz erschließt wieder das Paradies im „Osten“ (Gen 2,8), hebr. kedem, 100-4-40 = Ursprung (Adam Kadmon = Mensch des Ursprungs). Die Gematrie von kedem ist 144, die 13. Fibonacci-Zahl (wo jede folgende Zahl der Reihe die Summe der beiden vorausgegangen Zahlen ist). Die 14. Zahl ist 233, der Zahlenwert von „Baum des Lebens“, dem Kreuz des „neuen Adam“ Christus „gemäß der Schrift“ (1 Kor 15,3.45-49).

 

 

Ist Jesu Kreuz präfiguriert im alttestamentlichen Taw-Kreuz?

Bild: Der Prophet Ezechiel zeichnet den Erlösten das Zeichen ihrer Rettung, den kreuzförmigen oder T-förmigen Buchstaben Taw auf die Stirn; Anfang des 5. Jahrhunderts wurde die Beziehung von T-Buchstabe oder Taw-Kreuz und Kreuz „als bereits etablierte Verbindung … angesehen“ (so Cordula Bandt, Traktat „Mysterium der Buchstaben“, 2007) – Emailarbeit aus Fulda.

 


Für die alte Kirche war das gesamte Erlösungsgeschehen in Christus im Alten Testament präfiguriert, natürlich auch das Kreuz. Friedrich Nietzsche kritisiert diese Kreuzes-Typologie als „unerhörtes philologisches Possenspiel um das Alte Testament“: „Wie sehr auch die jüdischen Gelehrten protestierten, überall sollte im Alten Testament von Christus und nur von Christus die Rede sein, überall namentlich von seinem Kreuze, und wo nur ein Holz, eine Rute, eine Leiter, ein Zweig, ein Baum, eine Weide, ein Stab genannt wird, da bedeute dies eine Prophezeiung auf das Kreuzesholz; selbst die Aufrichtung des Einhorns und der ehernen Schlange, selbst Moses, wenn er die Arme zum Gebet ausbreitet, ja selbst die Spieße, an denen das Passahlamm gebraten wird, – alles Anspielungen und gleichsam Vorspiele des Kreuzes! Hat dies jemals jemand geglaubt, der es behauptete?“ (Morgenröte I, 84). Nicht aufgezählt wird hier eines der wichtigsten Vorausbilder: das noch im 1. Jahrhundert kreuzförmig geschriebene Taw, der letzte, 22. hebräischen Buchstabe in der Bedeutung von „Zeichen“ und dem Zahlenwert 400. Im Gegenüber zum ersten Buchstaben Aleph (= Eins) in der Bedeutung von Geist und Gott steht das Taw für die Materie der erlösungsbedürftigen Welt (Israel ist deshalb „400 Jahre“ im „Sklavenhaus Ägypten“: Gen 15,13). Der Prophet Ezechiel (9,4.6) schreibt den Erlösten, die über die von Jerusalem begangenen Gräueltaten seufzen, das Taw-Kreuz als Rettungszeichen auf die Stirn (= Ort des vorletzten Buchstabens Schin als Zeichen für Feuer und Geist mit dem Zahlenwert 300). Ebenso werden in Offb 7,2f die „Knechte Gottes“ vom Engel mit dem „Siegel des lebendigen Gottes“ (= Taw) auf der Stirn signiert. Bei Paulus ist die Taufe mit der Stirn-Salbung verbunden: Gott hat „uns sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil (am verheißenen Heil) den Geist in unser Herz gegeben“ (2 Kor 1,22). Joseph Ratzinger stellt zur Kreuz-Signierung mit dem „rettenden Tau“ als „Eigentumssiegel Gottes“ die rhetorische Frage: „Wurde nun nicht erst ‚entschleiert’ (vgl. 2 Kor 3,18), was mit diesem geheimnisvollen Zeichen gemeint gewesen war?“ (Der Geist der Liturgie, 154f).

 

 

Warum zieht Jesus auf einem jungen Fohlen in Jerusalem ein?

Bild: In Adis Abeba und in anderen Städten von Äthiopien ziehen am Palmsonntag viele orthodoxe Christen mit einem Esel und Palmen (auch am Kopf) singend durch die Straßen, um so öffentlich zu zeigen, dass sie bereit sind, den Messiaskönig Jesus in ihrer Kirche und ihrem Herzen zu empfangen.

 

 

 

 


Die Passionswoche wird mit dem triumphalen Einzug Jesu in Jerusalem eingeleitet: Viele Menschen breiten ihre Kleider auf der Straße aus, schneiden Palmzweige ab („Palmsonntag“) und rufen „Hosanna dem Sohn Davids!“ (Ps 118,25; Mt 21,9). Es ist der Messiaskönig, der zur „Tochter Zion“ kommt, seiner Braut: „Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig und reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers“ (Sach 9,9; Mt 21,5; Joh 12,15). Die vorausgeschickten Jünger binden Eselin und Fohlen los und bringen beide zu Jesus, denn das ist sein „königliches Recht“. Und sie „hoben Jesus hinauf“ (Lk 19,35), so wie Salomon auf den Thron seines Vaters David erhoben wird: „Setzt meinen Sohn Salomon auf mein eigenes Maultier…“ (1 Kön 1,33f). „Was die Jünger tun, ist eine Gebärde der Inthronisation in der Tradition des davidischen Königtums“ (Joseph Ratzinger, Jesus von Nazareth II, 290). Als König kommt Jesus nicht hoch zu Ross, sondern er zieht demütig und sanftmütig in die Stadt, in der er sechs Tage später am Paschafest (Synoptiker) oder am Rüsttag zum Fest (Johannes) gekreuzigt wird, das heißt „erhöht“ (= inthronisiert) am Kreuz. Jeru-salem bedeutet: Sehen des Friedens, des Ganzen, des Vollkommenen. Unmittelbar vor dem Einzug heilt Jesus zwei Blinde bei Jericho, der tief in der Ebene gelegenen Stadt des Mondes (hebr. jareach); auch sie rufen: „Sohn Davids“, und: „Hab Erbarmen mit uns“ (Mt 20,31). Der Mond (Luna) steht für das Äußere, den Körper, die sichtbar-vergängliche Welt. Auch der tragende Esel (hebr. chamor) steht für den aus „Lehm“ (hebr. chemer) gemachten Körper. Jerusalem hingegen mit dem einen Tempel als Wohnstätte des einen Gottes bildet das eine Herz und Zentrum Israels. In diese innerste Mitte, das Allerheiligste, will Jesus als König und Bräutigam einziehen – bei seiner Kreuzigung reißt der Vorgang vor dem Allerheiligsten von oben bis unten entzwei (Mt 27,51). Wer sich im Glauben an ihn vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, vom Äußeren zum Inneren führen lässt, findet im liebenden Einssein mit dem einen Gott den vollkommenen Frieden, den die Welt nicht geben kann (Joh 14,27; 16,33).

 

Ist das bittere Leiden Jesu in Getsemani erlösend?

Bild: Die drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes, Zeugen der Verklärung Jesu auf dem Berg (Mt 17,1), versagen im Garten Getsemani, wo Jesus vor dem Kelch des Leidens, den ihm sein himmlischer Vater gibt, schwach zu werden droht; sie aber schlafen ein, statt mit ihm zu wachen und in der Versuchung zu beten – Fenster im Münster von Schwäbisch Gmünd.

 


Im Garten Getsemani bittet Jesus voll Todesangst und Trauer seinen himmlischen Vater, wenn möglich trinke er nicht den Kelch des Leidens zur Neige (Mt 26,39). Getsemani, hebr. gath schemen, heißt ‚Ölpresse’: In den drei Tagen von der Passion zur Auferstehung wird Jesus wie eine bittere Olive ‚gepresst’, bis am 3. Tag das Salböl des Geistes da ist. In diesem Geist werden alle, die an ihn glauben und ihm nachfolgen, zu ‚Christen’, das heißt zu ‚Gesalbten’ (vgl. 1 Joh 2,20.27). Doch: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Mt 26,41). Die Schwachheit rührt aus der Trennung vom göttlichen Geist im Fall des Menschen durch das Essen vom ‚Erkenntnisbaum’ (vgl. Gen 3,1-6). Der erste Mensch ist damit zum letzten Menschen geworden. Jesus stirbt am Kreuz als letzter Mensch oder als „Wurm und kein Mensch“ (Ps 22,7). In seiner Auferstehung wird er zum „neuen Adam“ und „Bild des Himmlischen“ (1 Kor 15,45-49), das „Holz“ des Kreuzes zum ‚Lebensbaum’. Der Sündenfall am 6. Tag der Erschaffung (= Freitag) hat seine Entsprechung am Kar-Freitag der Erlösung, die Olive ist die 6. Frucht (Dtn 8,8). Im vollkommenen Kreuzesgehorsam Jesu (Phil 2,8) hat die Sünde des Ungehorsam Adams, wie Caterina von Siena in ihrem Hauptwerk Der Dialog. Gespräch mit Gott über seine Vorsehung“ (1377/78, dt. 2017) sagt, ihre „köstliche, süße und bittere Medizin“ gefunden, die auch ‚bitteres Leiden‘ einschließt. Doch Jesu Liebe ist „weit größer sei als sein zeitlich begrenztes Leiden – und zum Zeichen dafür sei Blut hervorgeströmt [Joh 19,34], nachdem das Leiden überstanden war“. Das Blut ist das Zeichen der Eucharistie oder der Erlösungsgnade. Luther hatte die Ursünde Adams und die daraus resultierende Unfreiheit des Menschen so stark gemacht, dass die „Gnade allein“ (sola gratia) den Menschen erlöst. Gegen „Luthers bequemen ‚süßen Jesus‘“ forderte der zur ‚Radikalen Reformation‘ gehörende Thomas Müntzer (ca. 1490–1525), „mit dem ‚bitteren Christus‘ zu leiden“: „Wer den bitteren Christus nicht haben will, wird sich am Honig totfressen“. Bei Caterina hingegen sagt Gott: „Ich habe euch ohne euch geschaffen … Doch ich werde euch nicht ohne euch erlösen“ (Dialogus, Kap. 155). Auch bittere ‚Medizin’ erfordert die freie Mitwirkung jedes Einzelnen.