Priesterinnenweihe: Kann man noch dagegen sein?

Bild: Mit erhobenen Händen betende Ägypterin (Orantegestus), die sich wie die Lotusblüten vor ihr öffnet für den Empfang des (Sonnen-)Lichts von der Sonnenscheibe Aton beziehungsweise biblisch vom Urquell der oberen Weisheit oder von Christus als „Sonne der Gerechtigkeit“; das Piktogramm des lobpreisenden, empfangsoffenen Menschen ist die ursprüngliche Form des fünften hebräischen Buchstabens He, dem im lateinischen Alphabet das E entspricht (um 90° auf die Seite gedreht), das He steht für den erlösten Menschen (vgl. Gen 17,5.15) – Papyrus im Ägyptischen Museum Kairo.

 

Ein Großteil der katholischen Theologen in Deutschland ist dafür, das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken auch, die katholischen Kinder- und Jugendverbände und die großen Frauenverbände sowieso und inzwischen auch Generaloberinnen von Frauenorden – die Priesterinnenweihe in der kath. Kirche muss um der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung willen sein, mag eine 2000-jährige Tradition sagen, was sie will. Kann man da noch ernsthaft argumentativ dagegen sein? Ja, man kann – und man muss es auch.

 

Sonne und Mond: Kosmische Urbilder der Geschlechter

Wer in Mexiko auf Toilette geht, muss die Zeichen dafür lesen können: Die Sonne hat zwar im Deutschen den weiblichen Artikel, das aber erst seit der Lautverschiebung von der Sunne zu die Sonne. Das kann den deutschen Mann leicht irreführend, wenn er glaubt, er müsse sich nun bei dem Mond auf die Brille setzen. Denn in den romanischen Sprachen ist Mond (Luna) weiblich, Sonne (Sol) hingegen männlich.

Dies erleichtert das Wissen darum, dass in fast allen Kulturen und Sprachen die Geschlechtersymbolik der beiden Hauptgestirne der Erde durchaus eindeutig und klar ist. Sol und Luna, Yang und Yin, Tag und Nacht sind männlich und weiblich konnotiert, dies aber nicht zufällig als Laune (von Luna) der Sprachen, sondern weil die Alten noch wussten, dass der weibliche Menstruationszyklus dem Mondzyklus entspricht und Luna für die Fruchtbarkeit des Lebens auf der „Mutter Erde“ von entscheidender Bedeutung ist: Ohne Mond keine relative Stabilität des Klimas und der Atmosphäre, keine Vermehrung der Kleinstlebewesen im Meer als Anfang der Nahrungskette, kein Wachstum in der Nacht von vielen Pflanzen.

Natürlich braucht es zum Leben auch und zuerst das Licht der Sonne. Jesus Sirach bezieht sich auf Psalm 19,6 (die Sonne „frohlockt wie ein Held und lauft ihre Bahn“), wenn er den Schöpfer der Sonne lobt: „Sein Wort lasst seinen Held erstrahlen“ (Sir 43,5). Zuvor heißt es von der Sonne, sie sei „ein staunenswertes Gestirn, das Werk des Höchsten. Steht sie in der Mittagshöhe, versetzt sie die Welt in Glut, wer hält es aus in ihrer Hitze? Ein brennender Schmelzofen ist das Kunstwerk des Gießers…“ (Sir 43,2f ). Am Firmament erscheint die Sonne aus irdischer Sicht zweifellos als das herrlichste aller Geschöpfe (nach dem Menschen).

Dass es den die grünen Pflanzen auf der Erde gelungen ist, das Sonnenlicht, das bis zur Erde acht Minuten braucht, vom Chlorophyll in der lebenswichtigen Photosynthese zum Sauerstoff in der Atmosphäre umzuwandeln, grenzt an ein Wunder. Chlorophyll hat als Zentralatom ein Magnesium-Ion, das vier Stickstoffatome bindet. Eine ähnliche Struktur hat das rote Hämoglobin im Blut mit dem Zentralatom Eisen, das vier Sauerstoffmoleküle bindet und über die Atmung und den Herzkreislauf zu den Zellen im Körper transportiert. Mit Hilfe des im Chlorophyll gespeicherten Sonnenlichtes wird aus toter Materie lebende Substanz aufgebaut, eine Art von Ur-Auferstehung des Lebens. Gleichzeitig braucht es das vom Mond gespiegelte und abgeschwächte Sonnenlicht in der Nacht, um die Lebens- und Fortpflanzungsprozesse in Gang zu bringen und zu halten.

Obwohl der Mond 400mal kleiner ist als die Sonne, kann er sie doch bei einer Sonnenfinsternis ganz verdecken, weil er zugleich 400mal erdnäher ist (die mittlere Entfernung beträgt etwa 400 Kilometer). In den alten Religionen, nicht nur bei den Azteken in Mexiko, spielten Sonnenfinsternisse als kosmische Großereignisse eine zentrale Rolle. Der Doppeltempel Mayor in der Inselhauptstadt Tenochtitlán, die in vier große Stadtbezirke unterteilt war, ist im Jahr einer Sonnenfinsternis (1325) errichtet worden. Diese Finsternis wurde gedeutet als „Kampf“ von Sonne und Mond und war für die Mexica „ein Ereignis von höchster symbolischer Bedeutung“ (E. Matos Moctezuma, Templo Mayor, der große Tempel der Azteken, in: Azteken. Ausstellung Royal Academy of Arts. Ausstellungskatalog, 2003, 48-55, hier 55).

 

Rituelle Menschenopfer zur Stärkung der Sonne

Der menschenfreundliche Sonnengott Huitzilopochtli (der auch „Blauer Himmel“ genannt wurde) hatte die Geschöpfe durch sein Selbstopfer erzeugt; er war Schutz- und Volksgott der Mexica, der sie nach Tenochtitlán geführt hatte und den es immer vor Einbruch der Dunkelheit in seinem Kampf gegen seine Schwester, die (enthauptete und zerstückelte) Mondgöttin Coyelxanhqui beziehunsgweise die Finsternis, zu stärken galt. Täglich in der Abendstunde war so vielfach das Opfer von Menschen darzubringen in Gestalt des zuckenden Herzens und des lebensspendenden Blutes. Von daher stand das Herz „im Zentrum der aztekischen Religion“ (ebd. 50 und 438).

Auch im Reich der Chimú in Peru waren Menschen- beziehungsweise Herzopfer weit verbreitet, wie neuere archäologische Befunde belegen. In einem Hügel bei Huanchaquito-Las Llamas, einem der größten bislang bekannten Menschenopferstätten Amerikas, wurden die sterblichen Überreste von mehr als 140 Kindern ausgegraben: „Alle wurden Opfer einer rituellen Tötung. Höchstwahrscheinlich an ein und demselben Tag. Die Funde datieren auf die Zeit von 1400 bis 1450 n. Chr.“ (Georg Blüml, Blut für die Götter, in: Die Tagespost vom 5. September 2019, 16). Verantwortlich gemacht für das riesige Menschenopfer wird der Klimawandel: „Mit den Kindern habe man El Niño beruhigen wollen, jenes nach dem Chriskind benannte Wetterphänomen, welches vor mehr als fünf Jahrhunderten in der ansonsten trockenen Region verheerende Wolkenbrüche bewirkt haben soll. Geholfen hat es nicht. Keine fünfzig Jahre später wurde die Chimú-Kultur von den Inka ausgelöscht“ (ebd.).

Auch das sich über ganz Südamerika von Nord nach Süd erstreckende Inkareich konnte sich nicht lange halten: Eine Handvoll spanischer Konquistadoren unter Francisco Pizarro konnte mit Hilfe verfeindeter Stämme das Reich erobern und die brutale Praxis der Menschenopfer beenden. Zum katholischen Glauben fand die indigene Bevölkerung allerdings erst mit einem anderen „kosmischen“ Großereignis, das zunächst ganz unscheinbar und wie auf „leisen Sohlen“ daherkam. Gemeint ist die viermalige Erscheinung der Jungfrau und Gottesmutter Maria vor dem einfachen, bereits getauften 57-jährigen Witwer Juan Diego Cuauhtlatoatzin („Der wie ein Adler spricht“) auf dem für die Azteken heiligen Tepeyac-Hügel im Norden der heutigen größten Weltmetropole Mexiko-Stadt im Jahr 1531. 

 

Maria von Guadalupe: Inkulturation der biblischen Botschaft

Denn von diesem Ereignis mit der an sich schon einzigartigen Erscheinung der Maria von Guadalupe nahm die „größte Massenbekehrung der Geschichte ihren Anfang“, was für den Werdegang der Kirche in Lateinamerika und damit der Universalkirche insgesamt bis heute von größter Tragweite ist und manche es für das vielleicht „bedeutendste Ereignis der letzten tausend Jahre“ halten (Paul Badde, Maria von Guadalupe. Wie das Erscheinen der Jungfrau Weltgeschichte schrieb, ³2004, 21). „Unmittelbar nach der Begebenheit wurden plötzlich acht Millionen Indios katholisch, die sich nur zehn Jahre vorher kaum etwas Schöneres vorstellen konnten, als Spanier beziehungsweise Katholiken ‚in Kakao zu kochen und aufzuessen‘“ (ebd.). Badde betont, auch 500 Jahre nach der Entdeckung Amerikas warte die „unglaubliche Geschichte der schönen Maria von Guadalupe … noch immer auf ihre Entdeckung“ (13).

Papst Johannes Paul II. machte seine erste Auslandsreise 1979 zum geheimnisvollen Bild der Jungfrau von Mexiko, deren Heiligtum er noch drei weiter Male besuchte, zuletzt 2002 zur Heiligsprechung des Sehers Juan Diego. Damit wurden auch die indianischen Wurzeln des neuen Heiligen und seine kulturell anders- und fremdartige Rezeption des christlichen Glaubens und implizit die seines ganzen Volkes nachträglich rehabilitiert. Mit 20 Millionen Pilgern jährlich ist die alte Basilika in Mexiko-City (an der Stelle der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlán) der weltweit größte Marienwallfahrtsort.

In der Adventszeit des Jahres 1531 spricht Maria viermal zu Juan Diego in seiner Nahuatl-Sprache, der Lingua franca des mexikanischen Reichs. Bei der fünften Erscheinung im Palast von Bischof Zumárraga von Mexiko prägt sich ihr Bildnis auf wunderbare und bis heute unerklärliche Weise der Tilma, dem Übergewand Juan Diegos ein, so dass alle Umstehenden es  sehen können. Es ist das Bild einer mit einem rosafarbenen Blumengewand bekleideten himmlischen Gestalt, eines Mädchens mit gefalteten Händen auf einer schwarzen Mondsichel stehend und von goldenen Sonnenstrahlen umrahmt, das sich als „Maria, die Mutter aller Menschen“, offenbart.

Haupt und Schulter sind mit einem meergrünen Mantel von orientalischem Schnitt bedeckt, den 46 achtstrahlige Sterne zieren. Die rätselhaften Gesichtszüge sind bronzen oder olivefarben, weshalb die Mexikaner das Mädchen „Die kleine Braune“ (La Morenita) nennen. Und bis heute ist das auf unerklärliche Weise regelrecht vom Himmel „herabgekommene“ Bild in der Basilika auf dem Tepeyac-Hügel, wo es ausgestellt ist, unversehrt erhalten geblieben, obwohl der Bildträger bloß ein Gewebe von rohen Agavenfasern ist, das bei entsprechender Luftfeuchtigkeit normalerweise schon nach wenigen Jahrzehnten zerfällt. „Diesem Bild verdankt sich die Entstehung Mexikos als einer modernen Nation. In der Geschichte der Völker gibt es zu diesem Phänomen nichts Vergleichbares, weder im Altertum noch in der Neuzeit – und es gibt auch nichts Vergleichbares zu dem Bild der Jungrau von Guadalupe“ (ebd. 23).

 

Jungfräuliche Gottesmutter statt aztekische Erdmutter

Der Ein-bildung des himmlischen Bildes in die Tilma geht ein Heilungswunder an Juan Diegos Onkel und das Rosenwunder als Beweis der Echtheit der Erscheinung voraus: bei der Öffnung des Umhangs mit den gesammelten Rosen vor dem Bischof „verwandelte sich der Umhang augenblicklich in ein Zeichen. Plötzlich erschien das geliebte Bild der immerwährenden Jungfrau und heiligen Maria auf dem Tuch, das Bildnis der Mutter des heiligen Gottes, in der Form und Gestalt, wie es heute noch unter uns ist“ (42). Der brasilianische Künstler Cláudio Pastro hat die Marienerscheinung und das Wunder in einem Bilderzyklus dargestellt; in den Erläuterungen dazu wird der sterbenskranke Onkel Juan Diegos, der durch die gleiche Erscheinung geheilt wird, zu einem Symbol des aztekischen Volkes, „das krank ist, weil es von den Spaniern besiegt wurde und den alten Glauben an die Götter verlor“ (vgl. Die Botschaft von Guadalupe. Zyklus mit 12 Bildern von Cláudio Pastro, hg. von Adveniat Essen, o.J.).

Für das Verständnis des Marienbildes wichtig sind Ort und Zeit der vorangehenden viermaligen Marienerscheinung. Sie wird San Diego unmittelbar nach dem Festtag der Unbefleckten Empfängnis (8. Dezember) zuteil, und zwar auf dem Hügel, wo die aztekische Erdmutter-Göttin Coatlicue („Die mit dem Schlangenrock“) verehrt wurde. Biblische Grundlage für das Fest der Erbsündlosigkeit Mariens ist das so genannte „Urevangelium“ oder „Protevangelium“ in Gen 3,15: die Verheißung, dass ein Nachkomme der Frau der Schlange den Kopf zertreten wird, was sowohl auf den Messias als auch auf Maria bezogen wurde. Als Schlangenzertreterin und auf dem Mond stehend (Offb 12,1) ist Maria die Immaculata Conecptio. Der Name Guadalupe geht auf den Ausdruck ‚Coatlaxopeuh‘ in der Nahuatl-Sprache zurück und bedeutet ebenfalls Schlangenzertreterin („Ich habe die Schlange zertreten“; vgl. Wilhelm M. Havers, Unsere Liebe Frau von Mexiko Maria de Guadalupe, Kleine Schriftenreihe Adveniat 7, ³1992).

Die jungfräuliche Gottesmutter mit dem jugendlichen Gesicht einer dunkelhäutigen Indianerin tritt also an die Stelle der aztekischen Erdmutter (analog zur Adamah). Sie bewirkt dadurch eine identitätsstiftende Neugeburt (‚Taufe‘) des ganzen mexikanischen Volkes, nachdem Hernán Cortéz zwölf Jahre und neun Monate zuvor das Land der Azteken zwar betreten und anschließend erobert hatte, ohne aber den christlichen Glauben in dieser Zeit wirklich „einpflanzen“ zu können. Der Eroberung fielen Hunderttausende von Indios zum Opfer. Die Missionspredigten der Franziskaner erreichten nicht die  Seele des Volkes, sondern liefen ins Leere (ein historisches Religionsgespräch mit aztekischen Priestern und Adeligen 1524 ergab nicht die geringste Aussicht auf eine erfolgreiche Evangelisierung). Dagegen überzeugte auf der Stelle die Vision des Juan Diego von der Jungfrau mit dem Mantel in einem grünlichen Blau (der den Fürsten vorbehaltenen Farbe) und 46 goldenen Sternen (Zeichen der die Götter überragenden Größe Mariens), den Blumen und den Vögeln; denn das Bild sprach zu ihnen „wie ein offenes Buch“ (vgl. Badde, 66). Vor allem aber sind Blumen und Gesang „in der Nahuatl-Welt Symbole dessen, was sicher und wahr ist“ (Havers, Maria, 10, Anm. 14).

Wo Blumen und Gesang als religiös-existentieller Wahrheitsbeweis gelten, herrscht ganz offensichtlich eine andere Denkungsart als die der Theologen und Missionare, die sich ganz der neuzeitlichen ‚Ratio‘ verpflichtet fühlten. Diese Denkungsart und Einstellung vermochte bei dem Anliegen der „Fleischwerdung des Evangeliums“ im Herzen des (eroberten) Indio-Volkes und aller verwandten Völker des Subkontinents nichts auszurichten. Erst durch das sichtbare Himmelszeichen des Marienbildes und seiner breiten Aufnahme konnte auch das Evangelium von der Erlösung in Christus tiefe Wurzeln im Volk und in den Herzen schlagen. Wenn Arme gemeinhin als Menschen ohne Archive gelten, so trifft das nur in einem vordergründigen Sinn hinsichtlich des Bildungskanons der „höheren Schichten“ zu; in Wahrheit ist gerade in ihnen der jeweilige Bilder- und Erinnerungsschatz ihres Volkes lebendig, was auch ein Aspekt der „Armut im Geiste“ ist (Mt 5,3).

 

Höhere Harmonie der Gegensätze von Sonne und Mond

Der Schatz, zu dem San Diego aufgrund seiner Volkszugehörigkeit Zugang hatte, spiegelt sich jedenfalls in dem Erscheinungsbild der Maria von Guadalupe wider, das so nicht nur ein Bild des ‚Himmels‘ ist, sondern sich auch dem Tiefengedächtnis des aztekischen Volkes verdankt, das sich darin wiederentdeckt und bis ins ‚kollektive Gedächtnis‘ der Menschheit zurückreicht. Auf dem Bild befinden sich in der rosa Tunika der Jungfrau Arabesken, „die in einer den Azteken bekannten Art der Bilderschrift das Paradies darstellen. (...) Über dem gesegneten Leib Mariens ... befindet sich ein wichtiges Zeichen aztekischer Mythologie, die sogenannte ‚Flor Solar‘. Es handelt sich um eine Blumendarstellung, die in Varianten immer vier blätterartige Rundungen aufweist, die durch einen fünften zentralen Kreis zusammengehalten werden. Dieses Zentrum wird als der Kontaktpunkt von Himmel und Erde angesehen. Die blumenähnliche Sonne schenkt der toten Materie Licht und Wärme. Maria schenkt der Welt Christus, die wahre Sonne“ (Havers, Maria, 12).

Wilhelm Havers fasst die Bedeutung der Marienerscheinung in Mexiko wie folgt zusammen: „Die kosmischen Elemente, die nach Meinung der Azteken in einem ständigen Kampf miteinander standen, umgaben die Mutter Gottes von Guadalupe in vollkommener Harmonie: die Sonne, die Sterne und der schwarze Mond zu ihren Füßen. Ihre Erscheinung offenbart, dass nun für immer der blutige Kampf am Götterhimmel beendet ist. Auf der rosa Tunika der Mutter Gottes befinden sich Arabesken, die in einer den Azteken bekannten Art der Bilderschrift das Paradies darstellen“ (ebd). Dabei ist die Gottesmutter in der Erscheinung Juan Diegos von den aztekischen Göttinnen (insbesondere von der Mondgöttin) wesentlich zu unterscheiden: „Weil sie keine Maske trug, sondern ihr jugendliches Gesicht den Menschen zärtlich zuneigte, war sie ganz verschieden von den früher verehrten Göttinnen der Azteken“ (ebd. 10).

Die bisherige Menschenopferpraxis der Azteken war geprägt von der Angst um die Wiederkehr der Sonne im Kampf mit der Nacht beziehungsweise dem „Finsternisdrachen“. Geopfert wurden deshalb abertausende von Menschen, nicht nur Gefangene, sondern auch Männer, Frauen und selbst Kinder des eigenen Volkes. Mit der Erscheinung der Gottesmutter als Schlangenzertreterin wurde diese Praxis und die sie tragende Angst nicht einfach weggewischt, sondern verwandelt: Während nach Meinung der Azteken die kosmischen Elemente „in einem ständigen Kampf miteinander standen, umgaben die Mutter von Guadalupe in vollkommener Harmonie: die Sonne, die Sterne und der schwarze Mond zu ihren Füßen“ (ebd. 12).

Dabei stand der Sieg des Sonnenadlers über die Schlange steht im Zentrum der aztekischen Mythologie. Die ‚Sonnenblume‘ mit vier blätterartigen Rundungen, die durch einen fünften zentralen Kreis zusammengehalten werden, „ist zugleich Symbol für das Herz, das alle auseinanderstrebenden Kräfte vereint und belebt“ (ebd.), wie es ja auch im Deutschen die Redewendung gibt: „Hab Sonne im Herzen“. Das von der Atmung belebte Herz mit seinen vier Kammern (zwei Vor- und zwei Hauptkammern) ist das Zentrum des irdischen Körpers, das in seinem Bezug zur Lunge und Atmung der Luft (griech. pneuma = Geist) sich doch auch zum Geistigen hin öffnet, wenn es in der Sünde nicht „in sich verkrümmt“ ist (curvatum in se ipsum). Was das Bildnis im letzten sichtbar macht, ist das unsichtbare göttliche Licht, das mit dem Himmelsbild erscheint. In diesem Sinn ist gerade Maria von Guadalupe porta coeli, das „Tor des Himmels“ (Gen 28,17), um den Sohn, das lebendige Licht, sehen zu lassen, mit dem sie schwanger geht – gleich einer wahren Monstranz (vgl. Badde, 121).

 

Die Santíssima Virgen trägt die Sonne in sich: Gott

Den Bildtypus der Madonna platytera, der himmlischen Frau, die die Sonne in sich trägt, kennt schon die Antike. „Platytera“ ist der weibliche Komparativ zu platys = weit; Maria „ist die Frau, deren ‚Mutterschoß Gott weiter gemacht hat als die Himmel, denn dieser hat seinen eigenen Schöpfer aufgenommen‘“ (Adolf Weis, Die Madonna Platytera. Entwurf für ein Christentum als Bildoffenbarung anhand der Geschichte eines Madonnenthemas, hg. von E. Weis, 1985, 23). Altägyptisches Vorbild für den „Himmel, der jungfräulich die Sonne gebar“, ist die Himmelsgöttin Nut in transparenter Schwangerschaft mit dem ithyphallischen Sonnengott Re (s. ebd. Abb. 61; zur als Monstranz gestalteten Madonna s. Abb. 116: „Platytera“-Monstranz aus Augsburg, um 1651).

Die Azteken entnahmen die Schwangerschaft der im Bild erscheinenden himmlischen Frau „schon der Art und Weise, wie sie den purpurnen Gürtel um ihre Hüfte geschlungen hat. Darum ist auch ihr Gürtel über ihren gewölbten Leib hochgerutscht. (…) Für sie war dieses Bild ein einziger Kodex. Es hat in einem Wurf das ganze Evangelium in die Sprache der Indios übersetzt“; ja, mehr noch: „Das ganze Bild war für die Indios ein neuer Kalenderstein, auf dem es hieß: die Santíssima Virgen trägt die Sonne in sich: Gott!“ (so Don Mario Rojas Sánchez, zit. bei Badde, 122). Für diese Deutung entscheidend ist die kleine vierblättrige „Sonnenblume“ genau in der Mitte des Bildes: „Es ist eine Jasminblüte, doch für die Indios ist es die Sonne“ – wie in der Mitte des Kalendersteins (ebd.). Deshalb ist das Bild der Jungfrau dem Bildexperten zufolge „wirklich eine Übersetzung der Bibel in die Bilderschrift der Azteken, ohne überflüssigen Zierrat“ (zit. ebd. 127). Der aztekische Kalender wird aber durch Kreis und Kreuz symbolisiert, dessen Zentrum die Sonne bildet.

Bei der Jungfrau von Guadalupe hat das Gesicht mestizische Züge und steht so schwebend in der Mitte zwischen spanischem Vater und aztekischer Mutter – als wollte sie (wie der Gekreuzigte ‚Juden‘ und ‚Heiden‘: Eph 2,14f) beide Völker in sich vereinen. Tatsächlich sehen viele darin das eigentliche Wunder: „Die beiden Völker, die sich davor so fremd gewesen waren, vereinigten sich von da an augenblicklich wie Braut und Bräutigam. […] Diese Vermischung der Völker hat es sonst nirgendwo gegeben, noch nicht einmal unter Nachbarvölkern wie Polen und Russen“ (ebd. 146).

In Maria wird – wie im Gekreuzigten – die Spaltung und Entzweiung, die mit der Dualität der Schöpfung von Himmel und Erde, Sonne und Mond, Mann und Frau (usw.) schon in gewisser Weise angelegt ist, zur höheren Einheit der alles einenden Liebe Gottes überwunden. Eben dies ist auch der Sinn der Eucharistie als „Sakrament der Liebe“ und „Hochzeitsmahl des Lammes (Gottes)“ (Offb 19,9) als Bräutigam des himmlischen Jerusalem (Offb 21,9-27), das mit der Erhebung der konsekrierten Hostie vom Priester den Gläubigen gezeigt wird: „Seht, das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt“ (Joh 1,29).

 

Das Ritual der Herzenserhebung

Die Sünde der Welt ist die Ursünde der Spaltung des vom Schöpfung zum „Bund“ Verbundenen, also der sichtbaren (empirischen) und der unsichtbaren (transzendenten) Welt oder von (weiblicher) Wasser-Erde und (männlichem) Feuer-Himmel (Em-pyreum). Nur dann, wenn das Herz sich vom Irdischen loslöst und noch Oben hin öffnet, wozu der Priester die Gläubigen vor dem Empfang der Eucharistie auffordert mit den Worten „Erhebet die Herzen!“, worauf diese antworten „Wir haben sie beim Herrn“, nur dann ist ein fruchtbarer Empfang des himmlischen Brotes möglich. Was im aztekischen Ritus der Herzenserhebung in seiner grausam-kruden Äußerlichkeit verbleibt, wird im christlichen Ritus der Herzenserhebung zum Urquelle des göttlichen Lichts zurückgeführt auf seinen heiligen geistigen Kern.

Auch die altägyptische Religion war wie die aztekische eine Religion des Herzens, wurde doch beim Endgericht das Herz gegen die leichte Feder der Göttin Ma’at gewogen, Sinnbild der immanenten Ordnung und Gerechtigkeit der Welt. Federleicht war das Herz, wenn es eben nicht dem Irdischen und seinen Sorgen um die Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse verhaftet blieb, sondern sich nach Oben hin öffnete, christlich: zum Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit hin (vgl. Mt 6,25-32). Die altägyptischen Tempel zeigen häufig Darstellungen der Sonnenscheibe Aton, die ihre Sonnenstrahlen mit gebenden Händen und dem Anch-Kreuz (Henkelkreuz) als Hieroglyphe für „Leben“ zu ihren irdischen Kindern schickt, die sie mit erhobenen geöffneten Armen im Gebetsgestus (Orantehaltung) freudig empfingen.

Dieser Gebetsgestus liegt dem Buchstaben E zugrunde, wenn es um 90° gedreht wird; dem E wiederum entspricht im Hebräischen der fünfte Buchstabe He (ה). In seiner protosinaitischen Form war auch das He das „Piktogramm des lobpreisenden, empfangsoffenen Menschen“ (Uwe Markstahler, Das Neue Testament im Licht der jüdischen Tradition, 2019, 81, s. dort auch Abb. der Strahlenhände der Sonnenscheibe Aton). Der empfangsbereite Mensch ist „arm“, hebr. Dal, wovon der vierte Buchstaben Dalet (= 4) abgeleitet ist. Indem er von der Urquelle des Lichts den 10. Buchstaben Jud (= 10) empfängt als gleichsam kleinstes göttliches Samenkorn, wird auch 4 und 1 (≈ 10) die 5 als He im Orantegestus (vgl. ebd.). Dem Jud wiederum entspricht das Jad, 10-4, das heißt die Hand (1 Daumen, vier Finger) als „strahlende Hand Gottes“ oder „Zeichen segensreicher Lebenskraft“ (ebd.). Die Fünf als 1–4-Struktur ist auch das „Zeichen für Maria, die fruchtbare Gebärerin Jesu“ und „Braut Gottes“ (ebd. 64f), wobei Jesus (= JHWH rettet) selbst das Samenwort Gottes zur „Frucht der Gerechtigkeit“ ist (vgl. Phil 1,11; Hebr 12,11).

Wird das Wort Gottes nicht von den „Sorgen der Welt“, dem „trügerische Reichtum“ und der „Gier nach all den anderen Dingen“ erdrückt und erstickt (Mk 4,19), so dass es im Herzen keine tieferen Wurzeln schlagen kann, dann bringt es reiche und bleibende Frucht: „dreißigfach, ja sechzigfach und hundertfach“ (V. 20). Die Zahlen 30-60-100 lassen sich vom jüdischen Denken her, so der Judaist Uwe Markstahler, nach der kleinen Gematrie als 3-6-10 verstehen, die – als Buchstaben Gimel, Waw, Jud gelesen – bedeuten: „Goj mal Jud“. „Goj“ sind die erdverhafteten „natürlichen Welt-Völker“, und der kleinste Buchstabe Jud (= 10) oder „Urpunkt“ steht für das „10-Wort“ (Deka-log) und den Logos beziehungsweise die Weisheit als „männliche Urkraft zur Einung des Kosmos“ im Zeichen der Vier: „Jud (י) ist männlich, [der vierte Buchstabe] Dalet (ד) ist weiblich. Wenn Dalet (ד) das Jud (י) empfängt, wird es zu He (ה) [= dem fünften Buchstaben], welches weiblich ist“ (Daniel C. Matt, zit. ebd. 76, Anm. 225; zur Auslegung des Gleichnisses vgl. 74-80).

 

Erfüllung und Vollendung der Braut durch das Licht von Oben

Das zweite He (= 5 oder 4–1) des Gottesnamens JHWH symbolisiert auch die „arme, empfängnisbereite Braut“ (hebr. Kalah, 20-30-5 = 55): „Nachdem sie das Jud aus der oberen Urquelle der Weisheit (Chokmah) empfangen hat, vollendet sie sich zur ‚Frucht bringenden Braut’ beziehungsweise zum ‚fruchtbringendenden Feld’. Da nun ‚Braut’ (כלה) ein Attribut der Sefira Malchut [= Reich Gottes] ist, bedeutet die ‚Erfüllung der Braut’ das gleiche wie die ‚Vollendung (כלה) des Malchut Gottes’“ (ebd. 80; zu AbraHam vgl. 63). Im Unterschied zur „Fünf“ symbolisiert die „Vier“ (ohne die „Eins“) die „(geistarme) Immanenz“, das „tierische“, „erdverfallene Leben“, das „geistlose Fleisch“ sowie die „Schlange“ (vgl. ebd. 51-56). Entsprechend sagt Paulus: „Wer vom Fleisch bestimmt ist, kann Gott nicht gefallen“ (Röm 8,8). „Wer im Vertrauen auf das Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten; wer aber im Vertrauen auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten“ (Gal 6,8).

Christus sät sein Wort, das heißt sich selbst als fleischgewordenes Licht-Wort Gottes, in den Acker dieser Welt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24). Sie ist er der Gerechte, „der wie ein Baum an Wasserbächen gepflanzt ist und zur rechten Zeit seine Frucht bringt“ (Ps 1,3; vgl. Mt 7,17-20). „Die Frucht der Gerechtigkeit ist ein Lebensbaum“ (Spr 11,30). Christlich wird das Kreuz zum Baum des ewigen Lebens im Paradies, dessen Frucht die Eucharistie ist: „Wer (österlich) siegt“, sagt Jesus durch den Seher von Patmos der Gemeinde von Ephesus, „dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht“ (Offb 2,7).

Noch in der syro-antiochenischen Liturgie sagt der Priester dem Täufling bei der mit der Taufe gespendeten Erstkommunion: „Die Frucht, die Adam niemals im Paradies gekostet hat [nämlich die Frucht vom Baum des Lebens], wird heute mit Freuden in deinen Mund gelegt.“ Die beiden Bäume im Paradies, der Baum des ewigen Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, sind in der Summe der Buchstaben-Zahlen 233 und 932, verhalten sich also wie 1 zu 4 (vgl. Friedrich Weinreb, Schöpfung im Wort. Die Struktur der Bibel in jüdischer Überlieferung, ³2012, 331-401). Den Zahlenwert 233 hat auch hebr. Sachur, 7-20-6-200, das „Männliche“, das von der geisterfüllten Maria-Ekklesia geboren wird (Offb 12,13). Die „fleischlich“ gewordene Menschheit bringt vor der Sintflut hingegen nur noch „Töchter“ hervor (Gen 6,1): Das Männliche oder die „Eins“ geht in der „Vier“ des Sündenfalls, der „Erde“ (Adamah als 4. Element), die nur noch „Dornen und Disteln“ hervorbringt (Gen 3,18), verloren und kommt erst mit dem Bund (im Zeichen der „Fünf“) zurück.

 

Die Eucharistie verbindet das Sichtbare mit dem Unsichtbaren

Auch Brot und Wein als „Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit“ sind nicht wirklich das Herz sättigend und heilbringend; sie gehören noch zur empirischen, vergänglichen Welt. Erst vom Geist konsekriert werden sie „Fleisch“ und „Blut“ Christi als Zeichen des neuen und ewigen Bundes, den Gott am Baum des Kreuzes (1 Mitte, vier Ecken) mit der Menschheit in Gestalt von Maria-Ekklesia unter dem Kreuz (Joh 19,25-27) für immer unverbrüchlich geschlossen hat. So führt die Eucharistie die gläubigen Sinne über sich hinaus und verbindet wieder das Sichtbare mit dem Unsichtbaren, die Welt (4) mit Gott (1). Deshalb bedarf es zur Feier der Liturgie und besonders der Eucharistie des erleuchtenden Heiligen Geistes, der in der Wandlungsepiklese vom Priester herabgerufen wird.

Auch der Priester kann nicht aus sich heraus die Wandlung vollziehen, sondern er ist Bild des Hohepriesters Christus, der seinerseits sichtbares Bild des unsichtbaren Vaters ist, dessen (Selbst-)Verherrlichung die Liturgie gilt. Der Weg vom Sichtbaren zum Unsichtbaren kann durch das Kultbild verstellt sein, deshalb die Polemik Israels gegen die heidnische Idolatrie. Mit den orthodoxen Ikonen wird das Kultbild transparent als „Fenster“ zum Ewigen. Auch das „Wort“ statt des Bildes kann am Sinnlichen haften bleiben, das Finden des inneren oder geistigen Sinns des Wortes bedarf einer ähnlichen Verwandlung wie die der irdischen Gaben von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi.

Auch der unerlöste Mensch als „Fleisch“ ist in sich in Geist/Verstand und Sinnlichkeit gespalten (Röm 7,14-24) und bedarf der Erlösung als Wiederherstellung des Bundes. Deshalb sagt die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, in der Feier der Eucharistie vollzieht sich „das Werk unserer Erlösung“ (SC 2). Damit das liturgische Heilswerk wirklich bei den Teilnehmern ankommen kann, bedürfte es freilich der Schulung im symbolischen Denken, der Mystagogie in das Mysterium und der Einübung in die Kontemplation, was heute aber kaum mehr stattfindet.

Die Stuttgarter Pfarrei St. Maria Heimsuchung sucht seit 2017 nach Ideen, wie der kaum noch an Sonntagsmessen besuchte Sakralraum für die Menschen der Stadt irgendwie sinnvoller genutzt werden kann.  Zwischen heilig und profan wird dabei nicht mehr unterschieden. Für Jesus ist hingegen der Tempel als Haus seines himmlischen Vaters gerade in seiner Heiligkeit der Bezugspunkt seines öffentlichen Wirkens, seiner Pilgerreisen und seiner Lehre: „Der Eifer für dein Haus verzehrt mich“ (Ps 69,10; Joh 2,17). „Der leidenschaftliche Eifer des Herrn entbrennt immer dann, wenn Israel in Gefahr steht, seine Identität zu verlieren. Es ist also letztlich ein Eifer, der nicht vernichten, sondern retten will“ (Ludger Schwienhorst-Schönberger). Die katholische Kirche nicht nur in Stuttgart steht heute nicht wenige als in der Gefahr, ihre Identität zu verlieren.

 

Die Eucharistie gründet im Willen des Schöpfers

Das hängt wesentlich auch damit zusammen, dass alles in der Liturgie als veränderlich und machbar erklärt wird. Die Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, Schwester Katharina Ganz, die beim „synodalen Weg“ im Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ mitarbeitet, forderte im Interview mit dem Würzburger Katholischen Sonntagsblatt (Nr. 36 vom 8. Sept. 2019) „einschneidende Veränderungen“, weil es „in unserem Kulturkreis nicht mehr vermittelbar (sei), dass die Tür zu Weiheämtern für Frauen weiter geschlossen bleibt“. Sind denn die sonstigen Forderungen der katholischen Sexualmoral, etwa zur unauflöslichen Einehe oder zur Homosexualität, „unserem Kulturkreis vermittelbar“? Warnt nicht Paulus davor, sich dem Denken der „Welt“ anzupassen (Röm 12,2), wo doch der „irdisch gesinnte Mensch“ nichts versteht von dem, „was vom Geist Gottes kommt“ (1 Kor 2,14)?

Ganz beruft sich auf die Veränderung der Erlaubtheit der Todesstrafe, die der jetzige Papst als Verstoß gegen die Menschenwürde verwirft. Diese moraltheologische Frage liegt aber auf einer ganz anderen Ebene als die im Stiftungswillen Christi, ja im Schöpferwillen gründende Eucharistiefeier. Der Dogmatiker Karl-Heinz Menke sagte dazu im Interview mit dem Domradio Köln (11. Sept. 2019): „Jedes Dogma ist untrennbar von der Wahrheit, die der inkarnierte Logos ist. Wo es nicht um Christologie, sondern um das Verhältnis der Christen zu zeitlich bedingten Denkweisen geht, kann von Unfehlbarkeit oder von Dogmen keine Rede sein.“

Wenn die Gläubigen „durch die Opfergabe des Leibes Jesu Christi ein für allemal geheiligt“ und „für immer zur Vollendung geführt“ werden (Heb 10,10.14), weil Christus durch sein „einziges Opfer für die Sünden“ die Gläubigen „ein für allemal gereinigt“ hat (Hebr 10,2.12; vgl. 9,28), durch seinen Tod am Kreuz aber sein „Testament“ rechtskräftig wurde (Hebr 9,16f), das doch schon im weltlichen Rechtskreis als „unveränderlich“ gilt, um wieviel mehr ist auch Jesu Eucharistie, worin ja sein „Testament“ besteht, schlechterdings unveränderlich und der menschlichen Verfügungsmacht entzogen!

Schon der alttestamentliche Tempel-Symbolkomplex, den die Eucharistie als Opferfeier transformiert aufnimmt und vollendet, gründet im ewigen Heilswillen und Heilplan des Schöpfers. Der Mensch kann sich nicht selbst erlösen, sondern Schöpfung und Erlösung von Sünde und Tod nur empfangen, wobei er freilich zur „Mitwirkung“ eingeladen und aufgefordert ist: Das konziliare Grundprinzip der „Participatio actuosa“ meint ein inneres Mitvollziehen, kein bloß äußeres Beiwohnen. Das Ziel dieses Mitvollzugs hat Bonaventura in der Wiedererlangung der im Fall verlorenen geistigen Sinnlichkeit gesehen: „Hat die Seele die Sinne wieder erlangt, kann sie wie die Braut im Hohelied singen, die ihren Bräutigam sieht und hört, riecht, schmeckt und umfängt“ (vgl. 1 Joh 1,1-3).

Die Eucharistie ist als „Sakrament der Liebe“, so das Nachsynodale Apostolischen Schreiben „Sacramentum caritatis“  (2007) von Benedikt XVI., konkret das „Sakrament des Bräutigams und der Braut“ (27), also des „hochzeitlichen“ Ein-Leib-und-ein-Geist-seins (vgl. Eph 4,4-6; 5,31f). Dazu gehört wesentlich auch der Eros, aber so, dass auch er über sich hinaus geführt wird. Denn die Eucharistie ist „ein Vorgeschmack der eschatologischen Erfüllung…, zu der jeder Mensch und die ganze Schöpfung unterwegs ist“ (30). Das aber heißt: „Die Herausforderung durch den Eros (ist) dann bestanden“, „wenn Leib und Seele zu innerer Einheit finden“, so Benedikt XVI. in seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“ (2005, n. 5).

 

Die Eucharistie vereint die Schöpfung mit dem Schöpfer

Das Altarsakrament antizipiert in der Hoffnung die Vollendung als Gemeinschaft mit Gott, mit den Heiligen und mit den Engeln, „die im Licht sind“ (Kol 1,12); es ist daher „kosmische Eucharistie“, wie besonders im Gesang des „Sanctus“ deutlich wird. Ohne diese kosmische, Himmel und Erde, unsichtbare und sichtbare Welt umspannende Weite wäre die Eucharistiefeier nicht die Mitte der erlösten Schöpfung analog zum Tempel in Jerusalem. Weil der Kosmos „schön“ ist, muss auch die Liturgie alle nur denkbare Schönheit, Ordnung und Wohlgestalt durch sakrale Künste sinnlich-geistlich zur Entfaltung bringen,

Und weil die Liturgie „heilig“ ist, kann nur der fruchtbaren Zugang zu ihr haben, der durch die heilige Taufe (oder erneute Buße) von Sünde und Schuld „gereinigt“ ist (Offb 21,27) und das (verlorene) „Lichtkleid“ des Ursprungs wieder angezogen hat: Ohne „Hochzeitsgewand“ kommt niemand in den „Hochzeitssaal“ (Mt 22,11f). Papst Franziskus zitiert in seiner Enzyklika Laudato si (2015) seinen Vorgänger Benedikt XVI.: Im eucharistischen Brot „ist die Schöpfung auf die Vergöttlichung, auf die heilige Hochzeit, auf die Vereinigung mit dem Schöpfer selbst ausgerichtet“ (Nr. 236).

Das Symbol für die ewige Vollendung der Schöpfung als vollkommene „hochzeitliche“ Vereinigung mit dem Schöpfer in Liebe ist der Sonntag als „achter Tag“ (nach dem Sabbat als „siebter Tag“). Auch im Alten Bund musste der Mann am „achten Tag“ beschnitten sein, um am Paschmahl teilnehmen zu können: Beschneidungsblut und Lammblut gehören zusammen (Rabbi Eliezer, Midrasch Pirkei). Gott hat den (jüdischen) Menschen nicht schon beschnitten erschaffen, weil er an seiner (Selbst-)Vervollkommnung zum göttlichen Menschen in Freiheit mitwirken sollte (Rabbi Akiba).

Der (ewige) „achte Tag“ ist zugleich die Rückkehr zum „ersten Tag“ oder zum „Tag eins“ und dem einen (ewigen) „Licht“ (Gen 1,3), das der zeitlichen Schöpfung vorausgeht und ihr als Apriori der Gnade, hebr. Chesed, zugrunde liegt, als „Liebe, Gnade, Güte … ein Schenken ganz umsonst“ (Friedrich Weinreb, Das Opfer in der Bibel, 2010, 181f). Nicht nur setzt die Gnade die Natur voraus und vollendet sie, wie ein zentrales theologisches Axiom lautet, sondern die Natur setzt auch die Gnade des Erlöserwillens voraus, „der will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Diese Wahrheit ist keine theoretische Erkenntnis, sondern existentielle Wandlung des Seins: „Aus freiem Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit geboren, damit wir gleichsam die Erstlingsfrucht seiner (neuen) Schöpfung seien“ (Jak 1,18).

 

Der Verlust des Sonntags als „Tag des Herrn“

Wenn die EKD jüngst in der Studie „Faktoren des Kirchgangs“ empfiehlt, den kaum noch besuchten Sonntagsgottesdienst (bei den Protestanten unter drei Prozent) zugunsten von so genannten  „Zielgruppengottesdiensten“ an einem beliebigen Wochentag aufzugeben, so sind hier die biblischen Grundbezüge und tragenden Grundkoordinaten bereits völlig verloren. Denn die Eucharistiefeier findet ja deshalb immer am Sonn-tag statt, weil nur an diesem zugleich „ewigen“ Tag  Jesus von den Toten auferstehen kann und die Neuschöpfung einleiten kann, was jede sonntägliche Eucharistiefeier zu einem kleinen Ostern macht.

Der frühchristliche Barnabasbrief (vor 70 n. Chr. oder um 130) spricht von dem Sabbat, den Gott gemacht hat, als „Anfang des achten Tages“, „den Anfang einer anderen, neuen Welt. Deswegen begehen wir auch den achten Tag, den Sonntag, uns zur Freude als ersten Tag. Denn an diesem Tag ist Jesus auferstanden von den Toten und den Jüngerinnen und Jüngern erschienen und in den Himmel hinaufgestiegen“ (Kap. 15). Zugleich kann die Auferstehung nur in der Jahreszeit des Frühlings stattfinden, wenn das Leben der Natur zurückkehrt. Kyrill von Jerusalem (+ 444) schreibt: „Dahin ist der trübe Anblick des Winters… Alles wird wieder jung und steht neu in Blüte… Preiswürdiger aber als alles andere ist dies: Mit der ganzen Natur zusammen erhebt sich neu auch die Natur dessen, der alles auf Erden beherrscht, der Mensch. Denn es führt uns die Frühlingszeit die Auferstehung unseres Heilands herauf, durch die wir alle umgewandelt werden in die Neuheit des Lebens…“ (Osterhomilie 9,2).

Die Christenheit feiert Ostern am ersten Sonn-tag nach dem Frühlingsvollmond, die Judenheit am Frühlingsvollmond (14. Nissan; vgl. Ex 12,2), auch weil das geopferte Paschalamm sein kosmisches Urbild im ersten Tierkreiszeichen des Widders hat, in dem die junge männliche Frühlingssonne als „Bräutigam“ ihren Jahreslauf beginnt (Ps 19,6). Deshalb muss Israel auf den Frühling achten und in dieser Zeit das Paschafest feiern, „denn im Monat Abib (März/April) hat der Herr, dein Gott, dich nachts aus Ägypten geführt“ (Dtn 16,1). Dem entspricht christlich die Osternacht, wobei mit „Ägypten“ der „sechste Tag“ (Freitag) der Erschaffung des Menschen zusammen mit den Landtieren gemeint ist, der sich im Sündenfall dem siebten und achten Tag verschließt. Vom siebeten Tag des Sabbats in der Schöpfung her, der den „vom Menschen erfahrenen Transzendenzbezug, den Paradiesesfrieden, in ihr“ ausmacht, so Heinrich Spaemann, erscheint die Sechs „als Zahl der Welt vor ihrer Vollendung durch ihren Schöpfer, und danach die Absage an diesen als Programm, die Zahl der transzendenzlosen Diesseitswelt. Ihr sichtbarer Machthaber, ihre Repräsentation, ist schließlich der Antichrist, der Verkörperer menschlicher Hybris, der ohne Gott die Geschicke der ganzen Welt in die Hand nimmt. Zum Programm des Antichrist gehört die Abschaffung des siebten Tages“ (Erbsünde in biblischer Sicht, in: Geist und Leben 3/1992, 212-220, hier 213f).

Die Abschaffung des Sabbats beziehungsweise des Sonntags ist in der westlichen säkularisierten Welt schon weit fortgeschritten: Seit langem ist der Sonntag als „erster“ und „achter Tag zum „Wochenende“ verkommen, auch weil die Theologie seine Bedeutung nicht mehr kennt. Kardinal Karl Lehmann konnte noch in einem Beitrag zur Theologie und Kultur des Sonntags schreiben: „Der Sonntag ist immer eine Vision der neuen Schöpfung und so eng verbunden mit der Hoffnung auf die Auferstehung und das Ewige Leben. Deshalb ist der Sonntag auch Aufbruch in den Anfang einer neuen Woche (vgl. Joh 20,19.26 und Apg 10,41) und nicht nur der siebte Tag als Ende der Woche, wie die Zeitrechnung heute nahe legt“ (RU-heute, Bistum Mainz, 3/2015: Sonntag: Tag des Herrn – Tag für den Menschen, bes. 4-7, hier 6).

Papst Johannes Paul II. warb in seinem Apostolischen Schreiben Dies Domini (1998)  eindringlich für eine Wiederentdeckung der Heiligung des Sonntags. Darin wird der ‚Herrentag‘ bezeichnet als „Tag der Freude“ (55), „Tag der Sonne“ (27), „Tag des ‚Feuers‘“(28) und „Tag der christlichen Hoffnung“ (38), das heißt des „brennenden Verlangens“ des Geistes und der Braut nach der „herrlichen Wiederkehr“ des himmlischen Bräutigams (85). Mit dem Sonntag als „Ur-Feiertag“ (4) entfalte der Jahreskreis der Kirche „das ganze Mysterium Christi von der Menschwerdung und Geburt bis zur Himmelfahrt, zum Pfingsttag und zur Erwartung der seligen Hoffnung und der Wiederkunft des Herrn“ (77, vgl. Sacrosanctum Concilium 102; 106). Nach Benedikt XVI. ist der Sonntag nicht nur der ‚Tag des Herrn‘, sondern auch der „Herr der Tage“.

 

Der Verlust der Erwartung der Wiederkunft des Bräutigams

Das „brennende Verlangen“ der geisterfüllten Kirche nach der „herrlichen Wiederkehr“ ihres himmlischen Bräutigams gehört wesentlich zur Eucharistie, spielt aber heute in Theologie und Frömmigkeit so gut wie keine Rolle mehr. Dabei wird in jeder Eucharistiefeier gebetet: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Diese Ankunft in Herrlichkeit geschah für den Glauben in der Menschwerdung des Schöpferwortes als einem „hochzeitlichen“ Mysterium (Joh 1,14; 2,1-11); sie geschieht aber auch in jeder Feier der Eucharistie als Fortsetzung der Fleischwerdung des Wortes.

Das Gleichnis von den „fünf“ (!) klugen und „fünf“ törichten Jungfrauen verdeutlicht, dass die Rückkehr des Bräutigams mit einem geisterfüllten brennenden Herzen (im Symbol der Öllampen) erwartet werden will, die Verweltlichung lässt dagegen das Feuer erlöschen und die Liebe erkalten: „Die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm (dem Bräutigam) in den Hochzeitssaal, und die Tür wurde zugeschlossen“ (Mt 25,10). Für die Jungfrauen ohne Geist-Feuer gibt es keinen Zugang mehr zur (eucharistischen) Feier der Hochzeit. In der mittleren der drei Apsiden im Osten der Burgkapelle St. Katharina auf einer steilen Felswand südwestlich von Bozen in Südtirol, wo die Wehrburg Hocheppan in den Himmel aufragt, wird das Gleichnis als Fresko unterhalb Marias mit dem Kind künstlerisch wertvoll im byzantinischen Stil dargestellt (um 1200).

Die eine Gruppe der Jungfrauen mit ihren vollen Ölgefäßen und nach vorn geneigten Köpfen trägt eine einfache, klosterähnliche Tracht, die andere hingegen ist prächtig in modisch gemusterte Gewänder mit Pelzbesatz nach dem Geschmack und dem Geist ihrer Zeit gekleidet. Das Haar dieser Frauen fällt in langen geflochtenen Zöpfen herab, doch ihre Gefäße sind leer, die Tür zum Hochzeitssaal bleibt verschlossen. Bei den klugen Jungfrauen sind hingegen der Kopf und die segnende Hand von Christus erkennbar, mit dem sie sich im Feuer ihrer Liebe „hochzeitlich“ vereinen.

Die Apsis ist geostet wie seit dem 5. Jahrhundert üblich, weil vom Osten, dem Aufgang der Sonne her, die Wiederkunft Christi in Herrlichkeit erwartet wurde. Joseph Ratzinger forderte noch als Kardinal die Liturgiewissenschaft auf, den „Osten“ als Gebetsrichtung der Liturgiefeier wieder ernst zu nehmen und damit auch dem „Kosmos“ in der Theologie wieder Raum zu geben: „Ist es nicht gerade heute wichtig, mit der ganzen Schöpfung zu beten? Ist es nicht gerade heute wichtig, die Dimension der Zukunft, der Hoffnung auf den wiederkommenden Herrn Raum zu geben, die Dynamik auf die neue Schöpfung wieder als Wesensform der Liturgie zu erkennen, zu leben? (…) Die Richtung nach Osten wurde … mit dem ‚Zeichen des Menschensohnes’ [Mt 24,30] in Verbindung gebracht, mit dem Kreuz, das die Wiederkunft des Herrn ankündigt. So wurde der Osten sehr früh mit dem Kreuzzeichen verbunden. (…) Der Herr ist der Bezugspunkt. Er ist die aufgehende Sonne der Geschichte“ (Der Geist der Liturgie, 2000, 72f).

Wo Christus nicht mehr die österlich aufgehende „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,20) ist, sondern nur noch ein jüdischer Wanderprediger, der das „Reich Gottes“ ankündigte, das dann aber ausgeblieben ist (die so genannte „Parusieverzögerung“), da wird die Gestalt des Erlösers in der Bibel vollkommen verkannt. Dann nimmt es auch nicht wunder, dass die biblischen Kernaussagen und Grundkoordinaten nicht mehr verstanden werden, dass man ein weibliches Amtspriestertum einführen oder ein „gemeinsames Abendmahl“ von Katholiken und Protestanten feiern will – bei Fortbestand der beiden getrennten sichtbaren Kirchen.

Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, dass man sich bei einem unvorbereiteten, unaufrichtigen oder unwürdigen Empfang der Eucharistie „das Gericht“ dessen zuzieht, der Herz und Nieren kennt und prüft (1 Kor 11,29; Ps 7,10; Offb 2,23). Die Eucharistie wird dann zum Mittel einer Einigung missbraucht, die nicht wirklich besteht und so eine Täuschung der Gläubigen und ein Verrat an der biblischen Wahrheit ist. Diese Form einer selbstgemachten Liturgie als Folge einer Selbstsäkularisierung und Selbstprotestantisierung ist ohne wirkliche Verankerung in der biblischen Offenbarung, ohne Inspiration des Heiligen Geistes und ohne erlösende Heilswirkung. Darauf aber kann man dann auch gut und gerne ganz verzichten.

Klaus W. Hälbig 

 

 

 

 

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0