Das Buch Genesis: Sakramentale Welt (1. Teil)

Bild: „Die Schlange war schlauer als alle 
Tiere des Feldes“ (Gen 3,1) und verführt den
homo sapiens zum von Gott verbotenen
Essen vom „Baum der Erkenntnis von Gut
und Böse“; der Engel im Feuergewand und
mit loderndem Flammenschwert verwehrt
dem mit Tierfellen ‚dürftig’ bekleideten
Menschen den Zugang zum „Baum des
(ewigen) Lebens“ – Fensterbild der
Kirche La Portiuncula in Palma de Mallorca.
 

Das erste biblische Buch Genesis legt das Grundverständnis, die Grundbegriffe und die Hauptziele der ganzen Bibel fest. Deshalb ist es für die jüdische, aber auch die christliche Theologie schlechterdings fundamental, insbesondere die ersten drei Kapitel (Schöpfung, Paradies, Sündenfall). Kann der neue Genesis-Kommentar von Georg Fischer (Herder 2018) helfen, diese Grundlagen neu zu erschließen?

 

Nach dem Maßstab der historisch-kritischen Exegese ist der akribisch und kenntnisreiche erstellte, stattliche 750-Seiten-Kommentar des Innsbrucker Jesuiten und Alttestamentlers Fischer zu den ersten elf Kapiteln der Genesis zweifellos eine gediegene und gelungene Arbeit. Im Hinblick auf den geistigen Sinn der Schrift, den göttlichen Sinn (sensus divinus) im menschlichen Sinn (sensus humanus), ist sie freilich - erwartungsgemäß eher enttäuschend, auch wenn sich bei ihm mehr Anknüpfungspunkte bieten als bei anderen Exegeten.

 

In der Bibelwissenschaft ist es leider immer noch alles andere als geläufig, was die Offenbarungskonstitution Dei Verbum des Zweiten Vatikanischen Konzils ihr ins Stammbuch geschrieben hat, dass nämlich „die Heilige Schrift in dem Geist gelesen und ausgelegt werden muss, in dem sie geschrieben wurde“ (DV 12; zu den zwei Schriftsinnen, körperlich – geistig, letzterer dreifach entfaltet, s. Katechismus der Katholischen Kirche = KKK, 101-141).

 

Historisch-kritische Methode hat nur relative Gültigkeit

Das Konzil hat zwar die historisch-kritische Methode der Schriftauslegung legitimiert, aber keineswegs absolut, sondern nur relativ. Zu berücksichtigen hat die Exegese auch weiterhin die bisher gültigen Prinzipien: „das Achten auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift, auf die gesamtkirchliche Tradition und auf die ‚Analogie des Glaubens’, der die zahllosen Einzelaussagen der Schrift miteinander verbindet und als vielstimmige Symphonie zu hören vermag“, so der Bibelwissenschaftler Otto Schwankl mit Bezug auf DV 12. Mit Aloys Grillmeier könne man sagen, „dass Dei Verbum als Ziel der exegetischen Methodik und Hermeneutik ‚die Erhebung des sensus divinus aus dem sensus humanus“ angibt (vgl. Schwankl, Fundamentum et anmia Theologiae, Biblische Zeitschrift 2/2016, 161-181, hier 170).

 

Dei Verbum 11 und 12 hat allerdings keine näheren Angaben über den ‚tieferen’ (geistigen) Sinn der Schrift gemacht. Die Leerstelle des Konzilstexts hat erst das Apostolische Schreiben Verbum Domini (2010) ausgefüllt. In der Hebräischen Bibel ist der heilige, nicht ausgesprochene Gottesname mit den vier Buchstaben, drei verschiedenen (JHWH), das mit Abstand am meisten gebrauchte Wort (über 6800 Belege). Gemeint ist damit eine Konjugation des Begriffs Sein (er war, ist, wird sein) oder eine Gegenwart, die nicht der vergänglichen Zeit unterliegt (vgl. das „Ich bin“: Ex 3,14; Joh 18,8).

 

Der Gottesname wird von Fischer nicht erklärt, auch nicht der Gegenbegriff der Zeit und des Werdens der ‚Welt’ aus dem ‚Mutterstoff’ der Materie (von lat. mater). Die „in Geburtswehen“ liegende, dem Werden und der Vergänglichkeit unterworfene Schöpfung (Röm 8,20-22) hat von daher gegenüber dem ‚männlichen’ Schöpfer einen weiblichen Charakter: Christus ist „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (Kol 1,16). Gott ist hingegen als „verzehrendes Feuer“ (Dtn 4,24; Hebr 12,29) männlich konnotiert (vgl. die feurige Sonne/Sol als „Bräutigam“ in Ps 19,6, auch Jes 62,4f; altägyptisch gebiert die Himmelsgöttin Nut jungfräulich den ithyphallischen Sonnengott = Schöpfergott Re).

 

Menorah: Die zwei polar gegensätzlichen Seiten der Schöpfung

Was will der Schöpfer mit der Erschaffung seiner Welt in sechs Tagen erreichen? Die Sechs (lat. sex) gilt als Zahl ‚Hochzeit’, weil sie Produkt der ‚männlichen’ Drei und der ‚weiblichen’ Zwei ist (vgl. Karl Staehle, Die Zahlyenmystik bei Philo von Alexandreia, 24, vgl. 10). Die aus den zwei Prinzipien Geist und Materie gebaute Schöpfung hat als Zweiheit einen ‚weiblichen’ Charakter, sie soll aber ‚Wohnstatt’ des einen Gottes sein. Tatsächlich läuft das Sechs-Tage-Werk (Gen 1) auf den siebten Tag der „Ruhe“ hinaus, der dann in Israel als Sabbat zum wöchentlichen, zu heiligenden Ruhe- und Feiertag für den Gottesdienst im Heiligtum und die Pflege der innigen Gemeinschaft mit Gott wird. Im Tempel in Jerusalem erinnern die Flammen des siebenarmigen Leuchters (Menorah) „aus purem Gold“ (Ex 15,31) in monumentaler Ausführung an die sieben Schöpfungstage, die zugleich die (damals so genannten) sieben ‚Planeten’ (Wandelsterne einschließlich Sonne und Mond) versinnbilden.

 

Von diesen Planeten haben die Wochentage ihre Namen: Sonn-tag, Mond-tag, Dienstag (franz. mardi), Mittwoch (mercredi), Donnarstag (jeudi), Freyatag (vendredi) und Samstag (engl. saturday). Fischer ordnet die zweimal drei Schöpfungstage bloß parallel nebeneinander an (1. Tag: Licht, 4. Tag: Lichter usw.) mit dem siebten Tag (ruhen und heiligen) als Zielpunkt (vgl. das Schema S.121). Gott will aber in seiner geliebten Schöpfung ruhen und ihr innerlich nahe sein im Sinn des ‚hochzeiteitlichen’ Ein- und Beiwohnens.

 

Deshalb hat ja alles in der Schöpfung zwei polar gegensätzliche Seiten, weil es aus Liebe auf das hochzeitliche Einssein in Liebe hin geschaffen ist: Die rechte Seite ist die von Tag, Sonne, Licht, Feuer, das heißt übertragen die Seite des Verborgenen (Geist, Vernunft, Unwandelbares, Unvergängliches), die linke Seite ist die von Nacht, Mond, Finsternis, Wasser, übertragen: des Manifesten (Materie, Sinnlichkeit, Wandelbares, Vergängliches). Die rechte Seite steht auch für das Männliche, die linke Seite für das Weibliche (in geosteten Kirchen war früher die rechte Südseite die der Männer, die linke Nordseite die der Frauen). In der heiligen Mitte (Altarraum) wird beides hochzeitlich verbunden im „Hochzeistmahl des Lammes“ (Offb 19,9), das ausersehen und geschlachtet ist „schon vor der Erschaffung der Welt“ (1 Petr 1,20; Offb 13,8).

 

Der siebenarmige Leuchter (hebr. menora = Lichtträger) veranschaulicht diese hochzeitliche Polarität von (Vater-)Himmel und (Mutter-)Erde, Ewigem und Zeitlichem, Verborgenen und Manifestem, Sein (‚männlich’) und Werden (‚weiblich’), Unwandelbarem und Wandelbarem in kosmischer Symbolik. In Ex 25,32 heißt es: „Von seinen Seiten sollen sechs Arme ausgehen, drei Leuchterarme auf der einen Seite und drei auf der anderen Seite.“ Das heißt: Sonne (ganz rechts) und Mond (ganz links), in der Mitte der jeweiligen Dreiheit Mars und Venus, innen Jupiter und Merkur und in der Mitte als Vereinigung der Gegensätze Saturn, der „Stern Israels“ (vgl. Klaus Gamber, Das Geheimnis der sieben Sterne. Zur Symbolik der Apokalypse, 1987, 31f).

 

Der Mittelstamm hat als Zahl auch die Dreieinhalb oder 3,5 (die Anzahl der Wörter in Gen 2,1-4, die sich auf den sieben Tag beziehen, ist 35). Die ganze Thora hat 3,5 x 1671 Verse, die Erzählung von den sechs Tagen hat 1671 Buchstaben. Das heißt, jeder der 1671 Buchstaben steht an der Stelle von 3,5 Versen in der Thora. Die erste Erzählung ist so der Kopf des Ganzen. Das Metall des siebten Tages oder des Saturn ist das schwarze Blei (hebr. oferet), das mit der schwarzen Erde und ihrem Staub (hebr. afar) verwandt ist. Wenn am achten Tag das verborgene Urlicht des ersten Tages durchbricht, entsteht aus dem Blei (Materie) das Gold des Geistes.

 

Davidstern: Das Hochzeitliche als Weltprinzip

Wie beim siebenarmigen Leuchter stehen sich die 2 x 3 Tage polar auch in den zwei Dreiecken beim Davidstern gegenüber mit dem einen siebten Tag in der heiligen Mitte. Dritter Tag/ Marstag und sechster Tag/ Venustag sind die sich entsprechenden extremen Spitzen oben und unten: Mars ist der männliche Kriegsgott, Venus die weibliche Liebesgöttin. Mit dem Verlust der „Mitte“ (im Sündenfall) entartet die Tugend der Hoffnung zur Vermessenheit (Turmbau zu Babel) und Verzweiflung, die Herrschaft der ‚männlichen’ Vernunft wird zur gewalttätigen Macht der Unterwerfung von ‚weiblicher’ Natur und Materie, die Empfänglichkeit des Weiblichen wiederum wird zur Haltung der Unterwürfigkeit, die das Gegenteil von wahrer Demut (lat. humilitas, von humus) ist, die Tugend der Liebe wird zur falschen Selbst- und Weltliebe der irdischen Begierde; Gewalt und Begierde sind die Begründung für das Strafgericht Gottes über die Schöpfung in der Sintflut (Gen 6,1-5.11-13).

 

Die Verbindung von ‚männlichem’ Dreieck nach oben und ‚weiblichem’ Dreieck nach unten drückt die kosmische Polarität in allen Dingen aus. Die Schöpfung ist zwar eine, aber polar in der Zweiheit von Gegensätzen gebaut. Dieses ‚Urgesetz der Polarität’ als Baugesetz der Schöpfung versteht der Moraltheologe Alfons Auer (1915-2005) als ‚hochzeitliches Weltprinzip’: „Das Hochzeitliche ist ein Weltprinzip. Die ganze Schöpfung ist in Ordnung und Harmonie zur Einheit geschaffen. Das schließt aber die Zweiheit als Baugesetz alles Kreatürlichen nicht aus, sondern ein. (...) Der ganze Bereich der natürlichen Ordnung ist durch diesen hochzeitlichen Charakter geprägt“ (Weltoffener Christ, 1960, 256).

 

Zur Zweiheit als ‚Urgesetz der Polarität’ verweist Auer (113) auf Sir 33,15 und besonders Sir 42,24: „Alles ist zweifach, eines gegen das andere.“ Als Weltprinzip gilt das Hochzeitliche „nicht nur im Menschlichen, sondern auch im Kosmischen“; es ist vorgegeben „in der kosmischen Polarität, im ‚kosmischen Eros‘“, und drängt „auf die bewusste und freie Ausprägung im Menschlichen“ hin (ders., Art. Ehe, in: Handbuch theologischer Grundbegriffe I, 1970, 273).

 

Für Klemens von Alexandrien war der Leuchter ein Vorausbild des Kreuzes, das ja ebenfalls in seiner Symbolik (vertikal – horizontal) die Gegensätze ‚hochzeitlich’ vereint. Weil Jesus am sechsten Tag (Karfreitag) um 15 Uhr stirbt, an dem auch der Mensch erschaffen wird (vormittags die Landtiere: Gen 1,24), sahen Kirchenväter wie Irenäus oder Mystiker wie Bonaventura einen engen Bezug zwischen Erschaffung und Erlösung.

 

Kreuz: Die Versöhnung von Himmel und Erde

Der Kolosserhymnus sagt, alles „im Himmel und auf Erde, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne, Herrschaften, Mächte und Gewalten“, sind durch Christus und „auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand. Er ist das Haupt des [kosmischen] Leibes, der Leib aber ist die Kirche. (…) Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“ (Kol 1,16-20; vgl. Eph 2,15f).

 

Die endliche Schöpfung besteht demnach aus einer Zweiheit von gegensätzlichen Seinsweisen (geistig – materiell, unsichtbar – sichtbar), die in Christi Erlösungswerk am Kreuz („Es ist vollbracht“: Joh 19,30) in seinem „Blut des Bundes“ (Mt 26,28; Ex 24,8) wieder versöhnt wird. Das heißt, die ursprüngliche Synthese wird als harmonische Einheit und „Frieden“ wiederhergestellt und „vollendet“ (vgl. Eph 1,10f). Dadurch kann die Schöpfung wieder das sein, wozu sie von Anfang an bestimmt ist: Heiligtum zum Lob der Herrlichkeit Gottes (Eph 1,12), Tempel, Wohnstätte, Haus Gottes (Bet-El, vgl. Gen 28,17), heilige Kirche (mit der neuen Eva Maria als Urbild) als Ort der Einwohnung des heiligen Gottes, der sich dem Mose im ‚brennenden Dornbusch’ (Ex 3) und dem Volk auf dem Berg Sinai „am dritten Tag“ im „Feuer“ herabsteigend offenbart (Ex 19,16-18).

 

Wie der Tempel in Jerusalem sind auch viele Kirchenbauten eine Abbreviatur des Kosmos. So lassen sich mit den sieben Schöpfungstagen in ihrem polaren Gegensatz auch die sieben Sakramente der Kirche vergleichen: Auf der rechten (himmlischen) Seite von außen nach innen Taufe, Firmung/Stärkung und Priesterweihe, auf der linken (irdischen) Seite Buße, Krankensalbung und Ehe, in der Mitte als Vereinigung von Weg und Ziel (Communio mit Gott) die „kosmische Eucharistie“ (Benedikt XVI.) als „Hochzeitsmahl des Lammes“ (Offb 19,9), in dem das ‚Urgesetz der Polarität’ – Christus als ‚Sonnen’-Bräutigam (Ps 19,6) und die Kirche als ‚Mond’-Braut (Maria Ekklesia auf dem Mond stehend, Offb 12,1) – ganz verwirklicht und die Schöpfung vollendet ist. Besonders die orthodoxe Theologie hat in diesem Sinn eine ausgesprochen eucharistische Weltschau entwickelt.

 

Der Mensch als „Bild Gottes“

Fischer übersetzt mit anderen „Bild Gottes“ für den Menschen als „Statue“ Gottes; dadurch rückt der Mensch in die Nähe von Göttern (Ps 8,6: „Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott…“; Ps 82,6: „Wohl habe ich gesagt: Ihr seid Götter, ihr alle seid Söhne des Höchsten“; vgl. Joh 10,34). Statue klingt im Deutschen aber sehr statisch. Gemeint ist, dass der Mensch gemeinsam mit den heiligen Engeln engelgleich (vgl. den Chorgesang der Mönche) im Himmel die kosmische Liturgie feiern soll. In der Eucharistie gibt sich Gott dem Menschen unter den Schöpfungsgaben Brot und Wein in höchster Intimität als wahre „Speise“ des Paradieses (Gen 2,9; Offb 2,7).

 

Nach Fischer zeichnet den gottbildlichen Menschen die „Nähe zu Gott“ aus, die aber mit dem „Vertrauensbruch“ in der Ursünde einer Entfremdung weicht. Weitgehend erhalten bleibt die Gottesnähe aber bei den Hauptakteuren der Genesis: Noah, Abraham, Jakob und Josef, nämlich als „Frömmigkeit und damit verknüpfte sittliche Korrektheit“ (669). Gemeint ist aber wohl eher „Heiligkeit und Gerechtigkeit“ (Eph 4,24; Weish 9,3). Der Weltkatechismus erklärt: „Diese Gnade der ursprünglichen Heiligkeit war eine ‚Teilhabe am göttlichen Leben’ LG 2“ (KKK 375). Sie ermöglicht das Halten der Gebote der Liebe (Weish 6,18; Joh 14,23): „Erfüllen der Gebote sichert Unvergänglichkeit, und Unvergänglichkeit bringt in Gottes Nähe“ (Weish 6,18f).

 

In diesem Sinn hat Gott „den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines Wesens gemacht“, während der Tod erst „durch den Neid des Teufels“ in die Welt kam (Weish 2,23f; Fischer erwähnt diese „eigene Deutung“, lehnt sie aber ohne Begründung ab: 271). Im Neuen Testament heißt es: Christus kommt in die Welt und stirbt am Kreuz, „um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel“ (Hebr 2,14), das heißt, „um die Werke des Teufels zu zerstören“ (1 Joh 3,8), der nicht weniger als der „Gott dieser Weltzeit“ ist (2 Kor 4,4) und der „Mörder von Anfang an“ (Joh 8,44; vgl. Gen 4,8).

 

Anders gesagt: Christus kommt in die Welt, um den (in seinem Herzen verfinsterten) Menschen zu „erleuchten“ (Joh 1,9), zu heiligen und gerecht zu machen und ihn so (nach seinem eigenen Urbild) in seiner ursprünglichen Gottbildlichkeit zu erneuern (Eph 4,24), also ‚unvergänglich’ zu machen in der Teilhabe an seiner Auferstehung; denn „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben; das Vergängliche erbt nicht das Unvergängliche“ (1 Kor 15,50). Nach dem Weltkatechismus besagt die Gottbildlichkeit des Menschen: „In seiner Natur vereint er die geistige mit der materiellen Welt“ (355). Seine unsichtbare Geistseele ist „unmittelbar von Gott geschaffen“, was symbolisch durch die Vertikalität ausgedruckt wird, während der sichtbare Körper, der „von den Eltern ‚hervorgebracht‘“ wird, als horizontal zu verstehen ist (366)

 

Der Mensch als sterbliches „Fleisch“

Die horizontale Dimension des Menschen als irdisch-sterbliches „Fleisch“ wird von Paulus nicht nur auf die Ursünde Adams zurückgeführt (Röm 5,12; 6,6), sondern auch auf seine Herkunft aus dem „Staub“ der Erde (Gen 2,7; 1 Kor 15,45-49). Mit dem Sündenfall wird nicht nur die (zur horizontalen Bewegung verurteilte) Schlange von Gott verflucht, sondern auch die Erde (Gen 3,14-18; 5,29). Sie ist nicht mehr dieselbe wie zuvor als „jungfräuliche“ Paradieserde (Irenäus). „Die Erde aber war in Gottes Augen verdorben, sie war voller Gewalttat. Gott sah sich die Erde an: Sie war verdorben; denn alle Wesen aus Fleisch auf der Erde lebten verdorben. Da sprach Gott zu Noach: Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist da; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat. Nun will ich sie zugleich mit der Erde verderben“ (Gen 6,11-13).

 

Die Exegeten diskutieren von daher, ob der biblische Gott ein aggressiver, strafend- überreagierender, unbeherrschter Gott ist, der willkürlich handelt. Hat er nicht auch Abels Opfer (hebr. korban = sich Gott nähern) angenommen und das des älteren Bruders Kain offenbar grundlos verworfen (Gen 4,4-7)? Hat er nicht einen unverständlichen „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ in die Mitte des Paradiesgartens gestellt, damit der erste Mensch daran scheitert und mit ihm die ganze Menschheit zugrunde geht (Gen 3)? Hat er nicht Abraham den Befehl gegeben, seinen ‚geliebten Sohn’ auf dem Berg Morijah ihm zu opfern (Gen 22)? Ist Gott also eigentlich ein böser Sadist, der Freude hat am Leiden und Untergang von Mensch und Welt? Sollte man dann nicht, wie schon Markion im 2. Jahrhundert gefordert hat und was heute wieder bekräftigt wird (Notger Slenczka u. a.), das ganze Alte Testament aus der christlichen Bibel verbannen, es gleichsam dekanonisieren?

 

Fischer vertritt als Alttestamentler diese Auffassung natürlich nicht. Er versucht vielmehr, die schärfste Kritik am Gottesbild der Genesis zu entkräften und bestimmte ‚missverständliche’ Aussagen zu ‚retten’, so etwa wenn er Gottes Bevorzugung von Abels Opfer dadurch rechtfertigt, dass im Blick auf Gottes ganzes Verhalten Kain gegenüber „von einseitiger Bevorzugung keinesfalls die Rede sein“ kann (325-327). Das ist aber wenig überzeugend, weil Fischer die Grundunterscheidung der Bibel zwischen unsterblicher Seele (innerer Mensch) und sterblichem Körper oder „Fleisch“ (äußerer Mensch) so wenig mit vollzieht wie die zwischen unsichtbarer Welt (Himmel) und sichtbarer Welt (Erde).

 

Neuschöpfung durch Sintflut und Taufe

Für Fischer sind „Himmel und Erde“ (Gen 1,1) der eine sichtbare Kosmos, nicht eine männlich-weibliche Zweiheit als Grundpolarität, die auf die ‚hochzeitliche’ Einheit jenseits der sichtbaren Welt hin gebaut ist, nämlich den „achten Tag“ (Sonntag nach dem Sabbat als siebten Tag) der Auferstehung. Deshalb beachtet er auch nicht, dass die (wegen der Ursünde notwendige) christliche Taufe auf Tod und Auferstehung Christi ihr Vorausbild in der ‚Sintflut’ hat mit der Rettung von „acht Menschen durch das Wasser … Dem entspricht die Taufe, die jetzt euch rettet“ (1 Petr 3,21f). Gott hat „nur Noach, den Verkünder der Gerechtigkeit, … zusammen mit sieben anderen als achten bewahrt“ (2 Petr 2,5).

 

Offenbar hat die Zahl acht hier eine besondere Bedeutung, wie sich ja auch an den oktogonalen Taufbecken, Baptisterien, Kirchbauten (San Vitale Ravenna, Pfalzkapelle Aachen) und Kirchtürmen zeigt. Fischer sieht zwar, dass die Zahlen für die Genesis wichtig sind („überdurchschnittliches Vorkommen von Zahlen“, 673); die Bedeutung der Zahlen 8 und dann auch analog 50 (= 7 x 7 + 1) als Symbol der Auferstehung und Neuschöpfung als ewige Vollendung kennt er aber nicht (zur 50 vgl. das ‚Jobeljahr’ alle 50 Jahre, ‚Pfingsten’ als ‚50. Tag’ und den Namen Noach, 50-8, der in den Zahlenwerten der Buchstabenkomponenten seines Namens die lunare sieben zweimal auf die solare acht übersteigt). So sind für Fischer Noach, seine drei Söhne und ihre vier Frauen in der rettenden Arche bloß die „Großfamilie“ Noachs, deren Mitkommen Gott gestattet (426) – zusammen mit den sieben Paaren von allem reinen Vieh und einem Paar von den nicht-reinen Tieren.

 

Ein weiteres Vorausbild der Taufe ist die Knabenbeschneidung am „achten Tag“ (Gen 17,12; 21,4). Dabei wird ein Stück der Vorhaut des (weiblich umhüllenden) ‚Fleisches’ entfernt, damit so der ‚männliche Kern’ hervortritt. Denn die Ursache für die Sintflut als Gottesgericht ist der Unglaube als fehlende Verbindung zum göttlichen Ursprung, obwohl Gott doch den „siebten Tag“ (Sabbat) ‚geheiligt’ hatte, der so schon auf den ‚achten Tag’ vorausweist. „Am achten Tag beginnt die Neuschöpfung. So gipfelt das Schöpfungswerk im noch größeren Werk der Erlösung. Die erste Schöpfung findet ihren Sinn und Höhepunkt in der Neuschöpfung in Christus, welche die erste an Glanz übertrifft“ (KKK 349).

 

Benedikt XVI. führt dazu in seinem nachsynodalen Apostolischen Schreiben zum Sakrament der Liebe (2007, Nr. 92) näher aus: „In der Beziehung zwischen der Eucharistie und dem Kosmos entdecken wir nämlich die Einheit des Planes Gottes und werden dazu geführt, die tiefe Verbindung zwischen der Schöpfung und der ‚neuen Schöpfung‘ zu begreifen, die in der Auferstehung Christi, des neuen Adam, ihren Anfang genommen hat.“

 

Wer getauft ist, der ist eine „neue Schöpfung“, deshalb braucht es die äußere Beschneidung nicht mehr (Gal, 6,15; 2 Kor 5,17), wohl aber die innere Herzensbeschneidung: In Christus „habt ihr eine Beschneidung empfangen, die man nicht mit Händen vornimmt, nämlich die Beschneidung, die Christus gegeben hat. Wer sie empfängt, der sagt sich los von seinem vergänglichen Körper“ (Kol 2,11).

 

Leben nach dem Geist, nicht nach dem Fleisch

Dieses Lossagen entspricht dem Absagen an den Teufel, dem Urheber des Bösen, am Beginn der Taufe. Paulus sagt: „Alle, die zu Christus Jesus gehören, habe das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt. Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen“ (Gal 5,24f). Auch nach dem Buch Genesis soll der Mensch nach dem Geist leben, den Gott im Ursprung in seine Nase eingehaucht hat (Gen 2,7; vgl. Joh 20,22f). Doch mit dem Sündenfall ist der Mensch fleischlich und irdisch geworden, sterblich und von einer dreifachen Begierde beherrscht: der Begierde des Fleisches, der Augen und des Prahlens mit dem Besitz. „Welt und ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1 Joh 2,16f; gegen die dreifach Begierde richten sich die drei ‚evangelischen Räte’ des Ordenslebens: Gehorsam, Keuschheit und Armut).

 

Dem gefallenen Menschen zieht Gott das animalische „Tierfell“ an (Gen 3,21), das die Taufbewerber in der alten Kirche als „alten Adam“ vor ihrer Taufe ausgezogen haben (und darauf regelrecht herumgetrampelt sind), um wieder das „erste Kleid“ (Lk 15,22) anzuziehen: Christus als weißes, himmlisches oder engelgleiches Lichtkleid (Taufkleid) und „Bild Gottes“ (Kol 3,10; Eph 4,24). Nach Fischer bedeutet die nach dem Fall von „Gott angefertigte Kleidung“ des Tierfells hingegen, dass Gott „dem ersten Paar sein Würde wieder“ gibt (259, mit Verweis auf Lk 15,22!). Doch diese ursprüngliche Würde der königlichen Gottbildlichkeit ist mit dem Fall ja gerade verloren und verspielt, „der Erde Kleid“ (Gotteslob Nr. 552.4) ist in Wahrheit nur ein „ärmlicher Notbehelf“, was Fischer nur auf die „Feigenblätter“ (Gen 3,7) bezieht als „erste Kleidung“ (239). Der Sinn der Feige selbst wird nicht geklärt, sie ist in der Zählung der Früchte die vierte (Dtn 8,8; zur Vier s. u.).

 

‚Licht’ und ‚Haut’ (Fell) ist im Hebräischen beide Mal or, doch einmal mit Aleph (= 1) am Anfang des Wortes, zum anderen mit Ajin (= 70). So wie die eine Schöpfung in die Vielheit der sieben Tage ‚absteigt’, so auch steigt der eine Mensch mit seinem Fall in die Vielheit des Sehens (das ‚Vielwissen’ der curiositas; Ajin = 70 ist das ‚Auge’) und in die Vielheit der ‚70 Völker’ ab, die erst wieder in dem einen neuen Adam Christus zu dem einen „vollkommenen Menschen“ in der „einen“ heiligen Kirche zu „einem Geist“ und „einem Leib“ gleichsam neu ‚gesammelt’ werden müssen (Eph 1,23; 4,4.13; Gal 3,28; Mt 24,31).

 

Schon mit Noach, der zehnten Generation nach Adam (10 ≈ 1), macht Gott einen neuen Anfang, um die in Adam ursprünglich avisiert Einheit des Menschengeschlechts wiederherzustellen. Weil aber der Mensch als (weiblich-umhüllendes) „Fleisch“ in der Vielheit der sexuellen Vermehrung existiert, bleibt Gottes Geist als Lebensprinzip „nicht für immer im Menschen“ (Gen 6,3). Das Lebensalter des „Fleisches“ wird entsprechend drastisch gegenüber dem sehr hohen Alter der ersten zehn Generationen auf „120 Jahre“ begrenzt (ebd.), was Mose am Ende der Tora als einziger genau einhält (Dtn 34,7).

 

Die Bedeutung der Zahlen 120 und 130

Die Exegeten rätseln wieder mit gegensätzlichen Vorschlägen (vgl. Fischer 377), kommen aber nicht auf den Gedanken, dass „120 Jahre“ analog zu den 12 Monaten die innerweltliche Zeit meint, die nicht mehr in der Kraft des göttlichen Geistes überstiegen wird auf die kommende ewige ‚Gott-Welt’ des achten Tages (analog zum ‚Gott-Menschen’ Christus) oder auch der Zahl „130“ (13 Uhr = 1 Uhr; Christus ist der Dreizehnte im Kreis der Zwölf Apostel; eins/einer, hebr. echad, 1-8-4 = 13; Gott hat 13 Eigenschaften der Barmherzigkeit: Ex 34,6f).

 

„Fleisch“ ist das, was Adam nach der Entnahme der „Rippe“ zur Bildung der Frau erhält (Gen 2,21). Das stellt schon eine Vorwegnahme des Sündenfalls dar, weil alles von der Frau ohne Kraft des Geistes Geborene sterblich ist (auch das Bilden des Körpers „mit Staub vom Erdboden“ in Gen 2,7 ist ein solche Vorwegnahme). Das ‚Weibliche’ ist das Umhüllende, Innerweltliche, ‚Schwache’ und Sterbliche, der ‚männliche Überstieg’ erfolgt in der Zahl 13 oder 130 (vgl. Jakobs ‚Leiter’ zum Himmel, sulam, 60-30-40 = 130, ebenso Sinai, 60-10-50-10 = 130; Adam zeugt nach Abels Erschlagung den Set/Scheth, der Abels Linie weiterführt, mit „130“ Jahren: Gen 5,3). Die Tochter wird im Judentum mit 12 Jahren Bet-Mizwa, der Junge erst mit 13 Jahren Bar-Mizwa.

 

Mose führt bis an die Grenze des Gelobten Landes als „Bild der Ewigkeit“ (KKK 1222; vgl. 1221 und 1094). Aber erst „Josua, der Sohn des Nun“ (= 50), vom „Geist der Weisheit erfüllt“, führt hinüber (Dtn 34,9). Der männliche ‚Kern’ ist die vom Geist Gottes getragene vertikale ‚Er-innerung’ (vgl. Joh 14,26), die den Menschen zurück nach Innen und Oben zum ‚väterlichen’ Himmel oder Ursprung bringt und so wirklich ‚Kind Gottes’ sein lässt (hebr. sachar ist ‚männlich’ und ‚erinnern’).

 

Die Bedeutung der Zahlen 400 und 500

Noach (= Ruhe), der im Glauben auf Gott hört und nach göttlicher Anweisung die Arche baut, zeugt im Alter von „500 Jahren“ seine drei Söhne (Gen 5,32). Die Zahl 500 übersteigt den Zahlenwert des Taw (= 400), des letzten, ursprünglich kreuzförmig geschriebenen Buchstabens des hebräischen Alphabets, mit dem Gott nach jüdischen Anschauung die Welt erschafft (die Zahlenwerte der Anfangsbuchstaben der sieben Worte von Gen 1,1 ergeben 22 = Zahl der Buchstaben des Alphabets).

 

Die „500“ symbolisiert deshalb die kommende Welt der Auferstehung (vgl. die „500“ Brüder als Zeugen der Auferstehung Jesu in 1 Kor 15,6 und die Maße 500 x 500 Ellen des neuen Tempels in Ex 42,20). Hierher gehört auch der Exodus aus Ägypten 500 Jahre nach der Geburt Abrahams (100 Jahre bis zur Geburt Isaaks, dann „400 Jahre“ in Ägypten, Gen 15,13; das entspricht der Bundesstruktur 1 zu 4, dazu s. u.).

 

Auch das neunte Wort des Schöpfers „Seid fruchtbar und mehret euch“ von Gen 1,28 (hebr. pru urebu, 80-200-6 6-200-2-6) hat in der Summe der Zahlenwerte der Buchstaben die 500. Das heißt, die von Gott verlangte Fruchtbarkeit ist letztlich nicht als irdische Vermehrung zur Vielheit gemeint, sondern als eine überirdische „Kraft des Geistes“ (Gal 4,29), die auf die Einheit und den Himmel zielt.

 

In diesem Sinn ist die natürliche Unfruchtbarkeit der Gottes Segen tragenden Stamm-Mütter zu verstehen (Gen 11,30 Sarai; 25,21 Rebekka; 29,31 Rahel). Fischer sieht darin einen „Test für Abrahams Glauben“ an Gott, der mit ihm „seine besondere Geschichte“ beginnt (662; 665). Aber diese Geschichte will den Glauben an die „Auferstehung“ begründen, denn Abraham glaubte Gott, dass er „die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft“ (Röm 4,17; vgl. Hebr 11,19).

 

Die Bedeutung der Zahlen 8 und 50

Der Bau der Arche nimmt (wie schon das Paradies) die kommende ewige Gott-Welt im Symbol der Zahlen 8, 50 und 500 vorweg – jenseits der zeitlichen Sieben-Tage-Schöpfung. Fischer liest aus den Maßen der Arche – 300 Ellen lang, 50 breit, 30 hoch (Gen 6,15) – eine Analogie des Kastens zum Heiligtum (30 hoch) und seinem Vorhof (50 breit; 421). Der jüdische Thora-Gelehrte Friedrich Weinreb hat in seinem Grundlagenwerk zur Bibel Schöpfung im Wort (³2012) hingegen gezeigt, dass die Arche, die das Wasser um 19 Ellen überragt (11 sind unter Wasser), beim höchsten Wasserstand (der höchsten Not) von 15 Ellen über den höchsten Bergen (Gen 7,20), die ebenfalls 15 Ellen hoch sind, 49 Ellen erreicht (15 + 15 + 19; vgl. 464). „Da gedachte Gott des Noach“ (Gen 8,1) und führt die Wende vom Tod zum Leben herbei. Mit der einen Elle der Dachluke oder des „Fensters“ an der Spitze der pyramidenartigen Konstruktion (Gen 6,16; 8,6), die Noach nach der Flut öffnet, wird die innerweltliche Sieben (bzw. 49) auf die 50 in Analogie zur ewigen Acht hin überschritten (465-467).

 

Weinreb versteht die Maßangaben der Arche als Buchstaben: 30 = Lamed, 300 = Schin, 50 = Nun, in der Summe l-sch-n oder laschon: Zunge, Sprache, wie ja auch „Teba“ (Kasten) „Wort“ bedeutet: „Der Sinn ist, dass dasjenige, was Leben von der einen Welt zur anderen hinüberträgt, das Wort und die Sprache ist. Ist das nicht schon die Bibel selbst? Denn sie ist doch ‚Wort’ und ‚Sprache’“ (445f). Allerdings kann die Bibel nur dann das Leben hinübertragen, wenn sie als göttliche Weisheit oder als „Baum des Lebens“ (Spr 3,18) verstanden wird:

 

„Die Bibel ist Ausdruck des Wesentlichen in dieser Welt des siebten Tages. (…) Der achte Tag ist in der Bibel eine ebenso klare Realität wie der sechste und siebte. Wäre es nicht so, würde der Tod am Ende des siebten Tages eine zur Verzweiflung führende Tatsache sein müssen. (…) Dann ist der Tod offenkundig, solange es diesen siebten Tag noch gibt, der Übergang in den achten Tag. Dann ist also die kommende Welt nicht mehr nur eine Sache der Hoffnung, sondern zugleich auch eine der Gewissheit. Diese Gewissheit ist es auch, welche die Bibel zum Baum des Lebens macht, dem Baum mit den Maßen der ‚Fünfhundert’, dem Baum, der ‚Eins’ gegenüber der Vielheit ist. Wer die Bibel als solch eine Einheit kennt…, kennt den Baum des Lebens“ (881f).

 

In der christlichen Tradition spielt der Baum des Lebens als Sinnbild für Christus, sein die Welt erlösendes Kreuz und die heilige Eucharistie als Frucht des Kreuzesopfers die größte Rolle. Denn eben daraus resultiert die Hoffnung auf die kommende Welt und den im Kreuzmysterium eröffneten ‚Übergang’ vom Tod zum Leben. Sehr schön zeigt dies der orthodoxe Theologe Pjotr Hendrix (1896-1979):

 

„Alles ist in der Kirche Parusie, alles ist zeit- und raumlose verhüllte Wirklichkeit in Symbolen, alles ist in den Mysterien der Kirche ewiges Jetzt. (…) Jetzt feiert die Kirche mit ihrem Herrn Pesach oder Übergang vom Tode zum Leben (…) All diese langen alttestamentlichen Lesungen in der Osternacht heißen denn auch (jetzt erfüllte) ‚Prophezeiungen’. Die Zeit [fließendes Wasser!] ist hier zunichte gemacht. Die Zeit ist durch die mystische Feier der Kirche durchbrochen. (…) Wir sind gegenwärtig beim Sündenfall, beim Opfer des Abraham, wir schlachten das Lamm und ziehen trockenen Fußes durch das Rote Meer; wir werden errettet in der Arche Noahs und im Haus der Rahab. Wir sind Zeugen des Wunders in der Knochenwüste des Ezechiel und singen das Loblied mit den drei Jünglingen im Feuerofen. (…) Alles in der Heiligen Schrift (diese θάλασσα μυστηρίων nach der Auffassung des großen Origenes) hat, so wie in der Kirche, seine mystische Bedeutung.“ „Jetzt stehen wir am Ende des siebenten Tages, an der Schwelle des göttlichen achten und ewigen Tages“ (‚Garten’ und ‚Morgen’ als Ort und Zeit für das Mysterium paschale in der orthodoxen Kirche, in: Eranos-Jahrbuch 1963, 147-171, hier 155; 164f; 160).

 

Die Schöpfung als Schattenriss und Verhüllung

Weil Fischer diese eschatologische Perspektive nicht auf das Buch Genesis anwendet, muss vieles in seiner Auslegung unklar und falsch werden. Zu Recht stellt er heraus, dass der biblische Text gerade am grundlegenden Anfang äußerst verdichtet und knapp ist. Das ursprüngliche Ziel und die Absicht Gottes mit der Welt sind dadurch eher verhüllt. Deshalb braucht es ja auch die von Gottes Geist inspirierten biblischen „Propheten“ und Hagiographen, um Gottes Willen zu enthüllen oder zu offenbaren.

 

Die Theologie kennt von daher den Dreischritt „Schatten“ (Vergangenheit, Schöpfung, sechster Tag), „Bild“ (Gegenwart, Heilsgeschichte, siebter Tag) und „Wahrheit“ (Zukunft, Vollendung, achter Tag, vgl. den österlichen Dreitag, das Triduum paschale: Freitag, Samstag, Sonntag = 6., 7. und 8. Tag).

 

Der Glaube Israels und dann der Kirche rückt den göttlichen Erlöser in der Geschichte, das heißt im „Heute“ (siebter Tag), ins Zentrum: Er befreit das Gottesvolk aus dem „400“-jährigen Aufenthalt im „Sklavenhaus“ Ägypten, und er befreit (potentiell) die ganze Menschheit aus der „Sklaverei“ der ‚Weltherrschaft’ von Sünde, Tod und Teufel durch Kreuzestod (Sklaventod) und Auferstehung. Die Erlösung von der „Sünde der Welt“ (Joh 1,29) im „Heute“ (Hebr 3,15; 4,7) würde aber in der Luft hängen, hätte sie kein Fundament in der Vergangenheit, das heißt im Heilshandeln des Schöpfers.

 

Die Schöpfung „im Anfang“ zeigt erst den Grund- oder Schattenriss der erlösten künftigen „Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21). Martin Buber und Franz Rosenzweig haben deshalb erwogen, das „Bild-Gottes-sein“ des Menschen zu übersetzen mit „Im Schattenriss Gottes“ (Bild, hebr. zelem, hat als Grundlage zel = Schatten, vgl. zela = Rippe). Abgeschattet wird das „Licht“, das Gott ist (1 Joh 1,5), also das ewige Sein, durch das endliche, zeitliche Werden und Vergehen der sichtbar-materiellen Erscheinungswelt („Erde“), unterschieden vom unsichtbar bleibenden Wesen der Welt („Himmel“, in Platons Timaios die Weltseele).

 

Die Zweiheit der polaren Aufbau-Prinzipien der Welt Geist und Materie bedingt ihre Endlichkeit. Der unendliche „Gott“ (Elohim in Gen 1) beziehungsweise „JHWH-Gott“ (in Gen 2/3) ist hingegen absolut eins beziehungsweise drei-eins. Die Welt ist nicht selbst Gott, nicht „Gott von Gott“ und „Licht von Licht“ wie Gottes Sohn, sondern wohl „Licht“ (Gen 1,3), das aber wie ein „Kleid“ Gott als Ursprung verhüllt (Ps 104,2). Gottes Präsenz in der Welt ist so abgeschattet, abgeschwächt und vor allem bedrängt durch die nicht geschaffene „Finsternis“ (Gen 1,2) bis hin zu der erschütternden Aussage: „Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse. Jeder, der Böses tut, hasst das Licht…“ (Joh 3,19f; vgl. 1 Joh 2,8f) und will nicht, dass das göttliche Licht „in sein Eigentum“ (die Welt) kommt (Joh 1,5.9.11).

 

Das Böse in der guten Schöpfung

Gott, der (absoluter) „Geist“ ist (Joh 4,24), will von Anfang an die Vollendung der Welt in der ewigen Gemeinschaft mit ihm im Himmel. Auch nach Fischer lädt Gott den Menschen zur „Gemeinschaft“ mit sich ein: Er hat die Welt „gut“ geschaffen, so dass sie Anlass zum „Lob“ des Schöpfers ist (170). Das Böse existiert nicht als irgendwie eigenständige Gegenmacht zum guten Gott, schon gar nicht erschafft Gott das „Licht“ als eine „Kampfansage“ an die „Finsternis“ des Bösen, wie die Alttestamentlerin Renate Brandscheidt das „Es werde Licht“ interpretiert.

 

Aber handelt die Erzählung von der Schöpfung nicht auch vom Kampf Gottes mit Teufel, Tod, Sünde, Welt, irdisches „Fleisch“, wie man anderen Bibelstellen entnehmen kann (vgl. Jes 51,9f; Ps 74,13f; Ijob 26,12f; Jer 5,22; Ps 104,7-9; Joh 1,5; Eph 5,8; 6,12; Gal 5,24; 1 Joh 2,11; Offb 12,7-12)? Der Judaist Daniel Krochmalnik schreibt; „Schöpfung bedeutet in der Bibel geradezu den Sieg Gottes über das Meerungeheuer.“ „Erst der Sieg über das chaotische Urelement schuf Raum für die Weltordnung und den Menschen“ (Im Garten der Schrift. Wie Juden die Bibel lesen, 2006, 38).

 

Bei Fischer erscheint die Schöpfung entdramatisiert, auch ‚entmythologisiert’. „Nachdem mit dem Licht des ersten Tages die Finsternis überwunden ist und damit gute Voraussetzungen für weiteres Schaffen gegeben sind, geht Gott als nächste Aufgabe die Eindämmung des Gefahrenpotentials ungeordneter Wasserfluten an“ (131). Doch wie mit der ‚Sintflut’ das Wasserchaos wieder ausbricht, so auch bleibt mit jeder ‚Nacht’ immer auch die Gefahr des Einbruchs der nicht geschaffenen „Finsternis“, des Chaos und des Bösen präsent. Die Aussagen des jüngsten Buches des Alten Testaments, des Buches der Weisheit (ca. 50 v. Chr.), Gott hat den Menschen „zur Unvergänglichkeit erschaffen“ (2,23) und „den Tod nicht gemacht und (hat) keine Freude am Untergang der Lebenden“ (1,13), werden nicht eingeholt.

 

Das ist umso erstaunlicher, als Fischer ja das Buch Genesis relativ spät auf das 6. bis 4. Jh. v. Chr. datiert (persische Zeit mit dem Tempel in Jerusalem), wobei die „späte Weisheit“ auf die Endredaktion durchaus Einfluss hatte. „Eine große Zahl von mit Gen 1–11 gemeinsamen Motiven ist auch über das Buch der Weisheit verstreut“ (707). Das führt aber nicht dazu, beide Bücher zusammen zu sehen. Schwerwiegender ist, dass das, was im kirchlichen Credo die ersterschaffene „unsichtbare Welt“ heißt, also der ‚Himmel’ der lichtvoll-unsterblichen Engel, ausgeblendet wird, ebenso natürlich der Sündenfall der Engel (Gen 6,1-3).

 

Sündenfall der Engel und ewige Hochzeit

Die kurzen Bemerkungen zu der ‚Engelehe’ oder Götterehe in Gen 6,1-8, die die Sintflut auslöst, gehören Fischer zufolge zu den „umstrittensten Versen der Bibel“ (368). Sie stehen aber in Kap. 1–11 „im Zentrum“ (390) und sind von daher höchst wichtig. Mit anderen verweist Fischer auf das religionsgeschichtlich bedeutsame Motiv der „Heiligen Hochzeit“ (370, Anm. 1), das auch für die Bibel in der Tat zentral ist, allerdings nicht als ‚innerweltliche’ Hochzeit (die eine Art Perversion des Urgedankens darstellt), sondern als ‚ewige Hochzeit’ zwischen Schöpfer und Schöpfung als Bild der Weltvollendung (das Hohelied der Liebe ist nach Rabbi Akiba nicht weniger als das „Allerheiligste“ der Bibel).

 

Recht verstanden bildet dieses Motiv den eigentlichen Kern der ganzen biblischen Darstellung des göttlichen Heilsplans. Benedikt XVI. unterstreicht in seinem genannten Schreiben zur Eucharistie „Sacramentum caritatis“ den engen Zusammenhang zwischen dem Heilswerk Christi und dem Heiligen Geist sowie zwischen dem Kreuzesopfer und der eucharistischen Lebensform der Kirche, wobei er das Kreuzesgeschehen explizit als „Hochzeit“ bezeichnet:

 

„Tatsächlich ist in der paulinischen Theologie die eheliche Liebe ein sakramentales Zeichen der Liebe Christi zu seiner Kirche – einer Liebe, die ihren Höhepunkt im Kreuz erreicht, das der Ausdruck seiner ‚Hochzeit‘ mit der Menschheit und zugleich der Ursprung und das Zentrum der Eucharistie ist“ (27). In der Feier der Eucharistie als „Sakrament des Bräutigams und der Braut“ (27) und „Lebensmitte“ der Kirche (12) wird „ein Vorgeschmack der eschatologischen Erfüllung gewährt …, zu der jeder Mensch und die ganze Schöpfung unterwegs ist“ (30).

 

Einheit von Mondwelt und Sonnenwelt

Für die historisch-kritische Exegese rätselhaft sind wiederum die Maß-Angaben für die Dauer der Sintflut und für das Ansteigen der Flut. Wenn diese vom 600. bis 601. Jahr Noachs dauert – vom 17. des 2. Monats bis zum 27. des 2. Monats (Gen 7,13; 8,14) –, dann wird damit das Mondjahr von 355 Tagen (so üblicherweise in der Kalenderberechnung) um 10 Tage auf das Sonnenjahr von 365 Tagen ‚überstiegen’ und der 6. Tag der Erschaffung über den 7. Tag der Gottesverehrung zum 8. Tag der Erlösung (= Auszug aus der Arche).

 

Fischer erwähnt, dass der Exeget J. M. Hamilton hier „ein Mondjahr (zu 354 Tagen) ergänzt mit elf Tagen (sieht), sodass sich ein Sonnenjahr (mit 365 Tagen) ergäbe“ (475, Anm. 19). Sinnvoll wird die Beobachtung jedoch erst, wenn man die Verbindung sieht zwischen Mond-Wasser-Frau-Fleisch-Erde-Welt einerseits und Sonne-Feuer-Mann-Geist-Himmel-kommende Welt andererseits, das heißt letztlich zwischen Geist und Materie oder Seele und Leib. Der frühchristliche Apologet Theophilus von Antiochien sagt zur Auslegung der Erschaffung von Sonne und Mond am 4. Schöpfungstag (Ad Autolykus II, 15):

 

„Die Sonne ist das Bild Gottes, der Mond das des Menschen; und wie die Sonne an Kraft und Glanz den Mond bei weitem übertrifft, so übertrifft Gott bei weitem den Menschen. Und wie die Sonne fortwährend ihre volle Scheibe behält, ohne kleiner zu werden, so bleibt Gott stets vollkommen …, der Mond aber verschwindet allmonatlich und stirbt sozusagen – ein Sinnbild des Menschen; dann wird er (der Mond) wiedergeboren und wächst wieder – ein Vorbild unserer künftigen Auferstehung.“ Bekanntlich feiert die Christenheit Ostern ja am ersten Sonn-tag nach dem Frühlings-Vollmond. „Nach Ambrosius weist das Leiden der Luna auf das große Geheimnis Christi hin, das ist das Mysterium des hl. Pascha“ (Dorothea Forstner, Die Welt der christlichen Symbole, 1982, 99-103 [Mond], hier 102). Die negative Seite dieser Wandelbarkeit des Mondes thematisiert Sir 17,11:  „Die Rede des Frommen ist allezeit Weisheit, der Tor aber ändert sich wie der Mond“ (zur Torheit des Gottlosen vgl. Ps 14,1-3).

 

Sündenfall des Menschen und Adams „Rippe“

Hierher gehört, dass die alten Rabbiner den Sündenfall nicht mit Eva in Verbindung bringen, sondern mit Luna, die von Gott beim vierten Schöpfungstag verkleinert wird (anfänglich sind Sonne und Mond ja „die beiden großen Lichter“; Gen 1,16). Verkleinert wird aber der Mond, wenn und weil er „selbstherrlich vergisst, dass er sein Licht der Sonne verdankt“, so der Benediktiner Gerhard Voss über die ‚Sünde des Mondes‘ in der christlichen Tradition (Musik des Weltalls wiederentdecken, 1996, 62). Wird damit etwas völlig anderes als in der Sündenfall-Erzählung von Gen 3 gesagt?

 

Das hängt von der Interpretation des Symbols der „Rippe“ Adams ab. Denn nach dem Alttestamentler Othmar Schilling steht die gekrümmte Rippe für die Mondsichel, wie er schon 1963 durch ikonographische Vergleiche zeigte (Das Mysterium lunae und die Erschaffung der Frau nach Gn 2,21f, Vortrag beim Antritt des Rektorats). Luna ihrerseits gilt in den alten Kulturen und auch in der Bibel als kosmischer „Urgrund aller Geburt“ (Joh. Lydos), dessen Monatszyklus mit dem weiblichen Zyklus korrespondiert (der Zahlenwert von Eva, chawah, 8-6-5, ist 19, der von Rippe, zela, 90-30-70, ist 190; in 19 [12 + 7] Jahren kommen Sonnen- und Mondzyklus wieder zusammen, vgl. Metonischer Zyklus).

 

Bei dem jüdischen Exegeten Philo von Alexandrien (1. Jh.), in dessen Denken die Genesis ganz zentral ist, wird Eva mit der „Sinnlichkeit“ und Adam mit der „Vernunft“ identifiziert (vgl. Fischer 712). Das „Sklavenhaus „Ägypten“ bedeutet für Philo die unerlöste Körperlichkeit in der ‚Sklaverei’ der irdischen Begierden und Leidenschaften (vgl. Tit 3,3). Besonders gelegen ist Philo an der Harmonie zwischen der Schöpfung (Zehn Worte „und Gott sprach“) und dem „Gesetz“ (Zehn Gebote = Worte, vgl. Psalm 19). Generell versteht er die Hauptakteure der Genesis als Typen für menschliche Grundhaltungen: Henoch (der Siebte nach Adam) steht für die Umkehr (vgl. Sir 44,16), Noach (der Zehnte nach Adam) für die Vollkommenheit.

 

Wird Eva als (lunare) „Sinnlichkeit“ verstanden, dann ist auch klar, warum sich die „Schlange“ als Symbol der menschlichen Triebnatur (das Sich-häuten der Schlange verweist auf die Wandelbarkeit des Mondes) im ersten biblischen Dialog an sie wendet und nicht an Adam (noch Martin Luther führt in seinem Genesiskommentar aus, dass Adam, den er mit der Sonne und der Vernunft assoziiert, über die Versuchung der Schlange gesiegt haben würde, während Eva, assoziiert mit Sinnlichkeit und Mond, ihr als die Schwächere erlegen sei). Die Frage, warum in Gen 3,1-6 Eva die Wortführerin ist und nicht Adam, oder warum der Verfasser überhaupt Mann und Frau in den Garten setzt und nicht zwei Männer, wenn er doch einer ‚patriarchalen’ Sichtweise anhängt (s. u.), wird von Fischer nicht diskutiert.

 

Sakramentale Einheit von Geist und Materie

Für den Hebräerbrief ist wichtig, dass Christus auch der Herr der Engel ist (1,1-14). Im Johannesevangelium (1,51) verheißt Jesus: „Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn.“ Das knüpft an den Traum Jakobs von der Öffnung des Himmelstors an: Er sieht eine „Treppe“ oder „Leiter“, auf der „Engel Gottes“ die Verbindung der Erde mit dem himmlischen Ursprung wieder herstellen (Gen 28,13).

 

Sein „Kopf“ (= Anfang) ruht dabei auf einem Stein, den er dann mit Öl übergießt und zum Grundstein für das Gotteshaus (Bet-El) macht. Denn wo sich der Himmel öffnet, da ist auch die Erde wieder ein „ehrfurchtgebietender“  heiliger Ort: „Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels“ (Gen 28,17f). Dieser Vers stand früher oft über dem Eingang von Kirchen als heiligen Gotteshäusern.

 

Der Grundstein wird im Judentum als „Schethi-jah“ identifiziert: Schin (= 300) und Taw (= 400) und die Kurzform des Gottesnamens JHWH. Die Zahlen 300 und 400 stehen für Geist und Materie oder auch für Himmel und Erde (Adams dritter Sohn Set/Scheth wird zur „Grundlage der Generationen“ nach ihm). Von diesem Stein, der die Schöpfung als eine sakramentale Welt („Gotteshaus“) für das priesterliche Gotteslob begründet, heißt es im Midrasch: „Das Land Israel liegt in der Mitte der Welt und Jerusalem in der Mitte des Landes Israel und das Heiligtum in der Mitte Jerusalems und das Allerheiligste in der Mitte des Heiligtums und die Lade in der Mitte des Allerheiligsten und der Stein Shethiah vor der Lade, denn von ihm aus ist die Welt gegründet worden“ (Hermann L. Strack/ Paul Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 1922/1956, 3, 183).

 

Der Grundstein hält die Urflut zurück, lässt aber auch die Bewässerung der Erde zu; so ermöglicht er „sowohl die Entstehung als auch die Erhaltung der Welt“ (Peter Schäfer, Tempel und Schöpfung. Zur Interpretation einiger Heiligtumstraditionen in der rabbinischen Literatur, in: Kairos NF 16. Jg. 1974, 122-133, hier 128). Diesem Welt-Grundstein Schethijah (300 + 400 = 700) gleicht das erste Wort der Bibel Bereschith („im Anfang“), gleichsam als Grundstein der Bibel.

 

Darin steckt das Wort resch (Kopf, Anfang), aber auch durch Buchstabenumstellung berith-esch: Bund des Feuers. Gott erschafft die Welt als Heiligtum oder Tempel, um ihr im Innersten (der „Mitte“ des Ganzen) in heiliger Liebe als ‚Feuer’ ganz einzuwohnen, ihr ‚immanent’ zu sein. Entsprechend kommt Jesus in die Welt, „um Feuer (vom Himmel) auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen“ (Lk 12,49; vgl. Apg 2,1-4). Beim „ersten Zeichen“ im Johannesevangelium, der Verwandlung von Wasser in den sechs Krügen (= sechs Schöpfungstagen) in den eucharistischen „besseren“ Wein des neuen und ewigen Bundes, geschieht dieselbe Vermählung von Feuer (Hl. Geist) und Wasser (Welt) als Vorwegnahme der österlichen Auferstehung Jesu am ewigen 8. Tag als Vollendung der zwei Seiten der Schöpfung in der höheren Einheit des Himmels (hebr. schamajim, was gelesen wird als esch-majim: Feuer-Wasser, vgl. Em-pyreum = Feuerhimmel).

Klaus W. Hälbig

(Fortsetzung zweiter Teil)

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