Dialog: Arabischer Atheist trifft evangelische Christin

Zum Bild: Verschleierte Frauen in Ägypten beim Besuch eines altägyptischen Tempels.

Die pietistische geprägte Christin, Religionswissenschaftlerin und Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff (64) und der irakisch-deutsche Atheist, Moralist und „Freigeist“ Najem Wali (61) haben nach einem Treffen im Sommer 2015 drei Jahre später gemeinsam ein Buch verfasst: „Abraham trifft Ibrahim. Streifzüge durch Bibel und Koran:

http://www.suhrkamp.de/buecher/abraham_trifft_ibrahim_streifzuege_durch_bibel_und_koran-sibylle_lewitscharoff_42791.html  

Im „Spiegel“-Interview (5. Mai 2018, 126-130) sprechen die beiden Autoren über ihre unterschiedlichen bis gegensätzlichen Vorstellungen von Christentum und Islam – eine spannender interreligiöser Dialog, den ich nachfolgend referiere und aus katholischer Sicht auch etwas kommentiere.

 

Gegen einen maskulinen Gott der Offenbarung

Wali versteht sich „als Atheist, aber ohne die intellektuelle Überheblichkeit, die militanten Gottesleugnern oft eigen ist“. Lewitscharoff hat einen „schütteren Glauben“ mit „Glaubensresten“ aus ihrer Kindheit bewahrt, wobei es für sie „im Gottesverständnis gerade um die Unterscheidung von Gut und Böse geht. Das ist der Kern.“

Für Wali stimmen alle monotheistischen Weltreligionen in einem Punkt überein: „Gott ist maskulin. In der arabischen Sprache ist das Wort ‚Allah’ männlich. Das ist ein entscheidender Wandel, der mit den Offenbarungsreligionen eintrat. In den polytheistischen Religionen gab es Göttinnen …“ Als „Gottvater“ (der Allah nicht ist!) sei Gott „das herrschende und strafende Element“: „Der alleinige Gott ist ein Tyrann, und das macht tyrannische Herrschaft in seinem Namen politisch möglich.“

 

Lewitscharoff widerspricht nachvollziehbar: „Die Vorstellung Gottes als männliches Wesen hat auch plausible Gründe. Das Weibliche ist bei praktisch allen Völkern und Kulturen stärker erdgebunden, einfach dadurch, dass die Frauen Kinder austragen und gebären. Die Männlichkeit steht demgegenüber für den abstrakten Weltzusammenhang. Wenn die göttliche Figur nicht mehr wie in der Mythologie menschenähnlich und geschlechtsspezifisch auftreten darf, dann leuchtet es ein, dass die männliche Form als die allgemeinere gewählt wird.“

 

Zu ergänzen wäre: „Kinder Gottes“ sind die Menschen nicht durch einen naturhaften Bezug zu Gott als „Mutter“, sondern durch einen bündnishaften (rechtskräftigen) Glaubensbezug (christlich im Sakrament der Taufe) zu Gott als „Vater“. Neben dem „himmlischen Vater“ gibt es zumindest für katholische und orthodoxe Christen allerdings wesentlich auch eine „irdische Mutter“, nicht im Sinn der „Mutter Erde“, sondern im Sinn der geisterfüllten „Mutter Kirche“ kraft der geistigen „Wiedergeburt“ in der Taufe.

 

Wären die Menschen vor allem „Kinder der Erde“ wie in vielen (Natur-)Religionen, dann würden sie gerade das Irdische, Tierisch-Animalische und auch das Weltliche nicht übersteigen. Doch auf diesen „Überstieg“ kommt es christlich gerade an: „Wie der von der Erde (= der erste Adam) irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren. Und wie der (neue Adam) vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren“ (1 Kor 15,48). Christen sind durch die Taufe „nach dem Bild des Himmlischen gestaltet“ (V. 49), nicht (mehr nur) nach dem Bild des Irdischen.

 

Was Wali und Lewitscharoff in diesem Zusammenhang über Maria sagen, führt schlicht in die Irre. Maria ist nur aus dem Zusammenhang mit der Kirche als „Mutter Gottes“ beziehungsweise Mutter der Gotteskinder verständlich und hat nichts mit der in der Koran-Sure 19 genannten „Maria“ zu tun. Denn diese „wurde auf Gottes Befehl hin mit Jesus schwanger“, nach muslimisch-volkstümlichen Glauben hat sie gar Jesus „aus ihrem Oberschenkel geboren“, weil sie sonst nicht hätte Jungfrau sein und bleiben können, wie Wali mit Bezug auf seinen Großvater darlegt.

 

Für die biblische Maria ist dagegen entscheidend, dass der Engel ihr („hochzeitliches“) Ja-Wort zur Fleischwerdung des Schöpfer-Wortes erbittet (Lk 1,34-38). Diese Bitte wird als „Heirats-Antrag“ (Benedikt XVI.) verstanden und nicht als göttlicher Befehl. Entsprechend ist der katholische und orthodoxe Glaube ganz und gar ein bräutlich-dialogisches Liebesgeschehen und so von Grund auf marianisch geprägt, nicht freilich der evangelische Glaube in seinen verschiedenen Spielarten (obwohl auch Luther eine gewisse Brautmystik kannte).

 

Gegen individuelle Unsterblichkeit

Wali weiß natürlich nichts von geistlicher Gottesbrautschaft, „Heiliger Hochzeit“ und Gotteskindschaft. Entsprechend hält er auch nichts von einem ewigen Leben in Gemeinschaft mit dem ewigen Gott: „Der Tod ist das Ende. In der Natur (!) setzt sich der Kreislauf des Lebens in einer Art Recycling fort. Aber das Individuum wird ausgelöscht.“ Die (Geist-)Seele lasse sich nicht vom Körper lösen: „Mein Selbst verschwindet mit dem Tod.“ Eine Zeit lang blieben allenfalls noch „Erinnerungen anderer Menschen“ an den Verstorbenen.

 

Für Lewitscharoff hingegen kann das Sterben nicht gut gehen „ohne eine Art Funken der Hoffnung darauf, dass es etwas anderes gibt. Man stirbt niemals als Atheist, warte es ab.“ Das Nichts könne sich der Mensch nicht vorstellen und es auch nicht denken. Spätestens auf dem Totenbett kehre „eine arme, aus Gottes Obhut entwichene Seele … zur kindlichen Wunschvorstellung der Geborgenheit zurück“. Zudem sei entscheidend wichtig, dass das, „was ich im Leben getan habe, auch an Bösem getan habe, vor ein Gericht gehört“, dass es eine göttliche „Gewichtung“ gibt: „Wozu war man auf der Welt? Was hat man Schönes [= Gutes] getan, wo ist man fehlgegangen? Zum Glauben gehöre „so etwas wie eine Bilanz“.

 

Wali verweist solche Gerichtsvorstellungen in das Reich der Wunschfantasien und Legenden ohne Wahrheitswert, wie sie sich auch in den „heiligen Schriften“ der beiden Weltreligionen finden. Diese würden politisch ausgebeutet, und zwar auf beiden Seiten, weshalb sich das Schreiben eines gemeinsamen Buches angeboten habe. Dabei begegneten sich nach Ansicht von Lewitscharoff beide Religionen von Anfang konfliktgeladen als Rivalen: „Es ist wie ein Bruderstreit um das väterliche Erbe, in dem der jeweils Nachgeborene das Vorrecht vor dem Älteren verlangt.“

 

Gegen die Verbindung von Religion und Politik

Den „Keim des Übels“ im Islam sieht Wali in der Verbindung von Religion und Politik wie im Wahabismus Saudi-Arabiens, wodurch Religion „zur Waffe wird“. Durch die Säkularisierung habe sich das Christentum Lewitscharoff zufolge auf „die wesentliche Kernbotschaft aller großen Religionen“ konzentrieren können: „das Gebot der Nächstenliebe und der Hilfe für die Bedürftigen“. Das Kreuz dürfe „kein Zeichen des Staates sein, mit dem man gewinnen wird“.

 

Zwar sei man „im Hinblick auf die Humanisierung dem jüdisch-christlichen Erbe in Westeuropa durchaus verpflichtet“, das so begründete Humanum sei „ein wirkliches großartiges Erbe, das man nicht verschleudern sollte“. Aber überall das Kreuz als „kulturelles Symbol“ aufzuhängen, sei absurd. Auch schon deshalb, weil – worauf Wali hinweist – es „die Muslime an erlittene Aggressionen“ erinnert. Generell erscheine Gott überhaupt überwiegend „nicht als der Liebende, sondern als der Grimmige“.

 

Der Gefahr des politischen Missbrauchs der Religion begegnet man im Zeichen des Kreuzes als Zeichen der Liebeshingabe des Sohnes Gottes für das Heil der Welt (Joh 3,16) freilich anders als im Zeichen des Halbmondes. Wali plädiert dafür, den Glauben (nur) als „etwas Intimes und Privates“ zu sehen und Staat und Religion entsprechend voneinander zu trennen, was im Christentum im Grunde von Anfang an gilt: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört“ (Mt 22,21). Damit ist aber keiner Privatisierung des Glaubens gemeint, denn der Mensch ist immer auch ein soziales und politisches Wesen. Vielmehr ist damit der Staat von allen „letzten Wahrheiten“ entlastet und kann demokratisch nach dem Mehrheitsprinzip konzipiert werden – religionsneutral, nicht: religionslos.

 

Gegen die Vollverschleierung der Frau

Religiöse Toleranz wird damit ebenfalls möglich, was aber Religionskritik nicht ausschließt. Lewitscharoff: „Die gebotene Toleranz gegenüber Anhängern anderer Religionen hat eine Grenze, wenn diese massiv gegen unsere Grundrechte verstoßen. Ich finde es absolut empörend, dass man in Deutschland eine Burka anziehen darf. Das Kopftuch ist mir egal. Aber die Vollverschleierung nimmt dem Menschen das Antlitz. Gesichtslosigkeit ist die absolute Aggression, sie beseitigt die Tötungshemmung.“ Lewitscharoff zufolge „geht von den Scharfmachern des Islam eine ganz andere Stufe der Bedrohung aus“ als vom ‚entwaffneten’ Christentum, das „seine Zähne verloren“ habe.

 

Wali sieht auch hier in Saudi-Arabien den Urheber des muslimischen Fanatismus und der Missachtung der Frau. Im Koran sei es auch nicht die Frau, die „den Einflüsterungen des Teufels nachgibt“, sondern der Mann. Lewitscharoff sieht die erste Frau Eva hingegen positiv: Sie sei „eine unerschrockene Heldin des Fortschritts“, bedeute doch der Biss in die verbotene Frucht „den Austritt des Menschen aus der kindlichen Unmündigkeit im Paradies“, womit nur die Sicht bestimmter Aufklärer (wie Kant, Herder und Schiller) wiederholt wird.

 

Biblisch ist mit der Gestalt der Eva die „Mutter der Leidenschaften“ (Philo von Alexandrien) und damit eine ungeistige Sinnlichkeit gemeint, die in Maria als „neuer Eva“ gerade überwunden wird: In ihr gewinnt Gott und damit auch der christliche Glaube wesentlich eine sinnliche Gestalt (heilige Sakramente und Ikonen!).

 

Das ‚Zulassen des Sündenfalls’ lässt für Wali die Gerechtigkeit Gottes „als pure Willkür“ erscheinen, „wie die eines Diktators“. Freilich erscheint Gott in der Bibel gerade nicht als jemand, der seinen Willen einfach diktatorisch durchsetzt, sondern umgekehrt als derjenige, der den Menschen in seine gottähnliche Freiheit einsetzt und sie ihm als Verantwortung zumutet. Damit wird auch die Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Bösen unerlässlich, was biblisch etwa an der Gestalt des Hiob durchgespielt wird.

 

Gegen das religiös aufgeladene Geld

Der Schluss des Interviews mit den Vertretern der beiden Weltreligionen mündet in das Verhältnis zwischen Gott und dem ‚religiös aufgeladenen’ Geld, das nach Lewitscharoff „eine riesige Dynamik“ entfaltet, dem „etwas Gottgleiches und zugleich Todbringendes anhängt“, weil es „sich nicht an ethische Gesetze hält“. Nach Wali könnte man „sagen, der Teufel habe die Gestalt des universellen korrupten Kapitalisten angenommen. Gott hat sich mit diesem Teufel auf einen Wettstreit um die Menschheit eingelassen“ – und „ihn schon verloren“: „Mord, Zerstörung, Not und Elend“ auf der einen, „Reichtum, Gier und Gleichgültigkeit“ auf der anderen Seite. „Und leider kein Frieden in Sicht.“

 

Schon Heinrich Heine weiß von der „Geldwerdung Gottes“ in unserer Gesellschaft, ja von der „Gottwerdung des Geldes“. Oder mit Goethes Faust: „Nach Golde drängt. Am Golde hängt / Doch alles.“ Die Gleichung Geld = Gold = Sonne = Gott besteht seit jeher. Der biblische Gott aber schenkt seine unbedingte Liebe umsonst und „lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten“ (Mt 5,45). So schafft Er Entfeindung, Versöhnung und Befriedung unter „den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14).

Klaus W. Hälbig

 

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