Volksverdummung: Arche Noah in „Terra X“

Noah empfängt nach dem Rückgang der Flut die Taube mit dem Ölzweig, darunter im Wasser der schwarze Rabe und Menschenleichen, im Boot seine drei Söhne und die vier Frauen. Fresko Dom Monreale bei Palermo.

 

„Terra X“, die Wissenschaftssendereihe des ZDF, hat am 2. Adventssonntag (5. Dezember 2021) die bekannte Geschichte des Untergangs von Menschheit, Landtieren und Vögeln in der Sintflut und der Rettung eines kleinen Rests in der Arche Noah behandelt. Die biblische Erzählung wurde einerseits als „Mythos“ präsentiert, andererseits soll sie einen möglichen „historischen Kern“ haben, dem dann in verschiedenen Forschungsrichtungen auf den Grund gegangen wurde. Was herauskam war eine Volksverdummung.

 

Aufgeboten wurden die Ergebnisse von Archäologie und Assyriologie, von Klima-, Meeres- und Tropfsteinhöhlenforschung, um allen möglichen Spekulationen über die ‚Historizität‘ der Sintflut als vorzeitlicher Natur- und Klimakatastrophe nachzugehen, während Kontext und Systematik der Erzählung in der Bibel selbst unbeachtet blieben. Behauptet wurde, dass Gott unmittelbar nach der Weltschöpfung die Welt schon wieder untergehen lässt, beziehungsweise dass kein Zeitpunkt des Untergangs genannt werde; das ist falsch: Die Bibel nennt sehr präzise über die zehn „Stammbäume“ von Adam bis Noah den Zeitpunkt, nämlich im Jahr 1656 seit der ‚Gründung der Welt‘ in ‚sieben Tagen‘ (s. u.).

 

Noahs Alter beim Eintritt in die Arche wird verschwiegen

Behauptet wurde, Noah sei eine Art Landwirt gewesen, die Bibel nennt ihn aber den ersten (dann auch trunkenen) Weinbauern, wobei Wein biblisch für die Liebe steht (s. u.). Relativ breit werden das Atrahasis- und das Gilgamesch-Epos als außerbiblische Parallel-Erzählungen (18. und 16. Jh. v. Chr.) herangezogen, ohne auch die großen Unterschiede herauszuarbeiten (s. u.). Völlig weggelassen wird dagegen das Alter Noahs beim Eintritt in die Arche („600 Jahre“: Gen 7,6) und die Frage nach dem Sinn dieser Angabe, ebenso die Zahl der Geretteten, nämlich acht (Noah, seine drei Söhne und ihre vier Frauen) und die Frage nach dem Sinn dieser Zahl Acht im Kontext einer Sieben-Tage-Schöpfung, nämlich als Hinweis auf die kommende jenseitige ewige Welt. Unterschlagen wird auch, dass in der Erzählung genau achtmal das zentrale Stichwort „Bund“ genannt wird (Gen 6,18 und siebenmal in Gen 9,8-17).

Spekuliert wird stattdessen darüber, ob es wissenschaftlich denkbar sei, dass eine vorzeitliche Flutkatastrophe die ganzeErde überschwemmt, was als natürlicherweise unmöglich bezeichnet wird. Einige Wissenschaftler hätten die Sintflut am Schwarzen Meer lokalisiert (wegen des im Text genannten Berges Ararat): Durch die Zufuhr großer Wassermassen aufgrund der Eisschmelze habe sich der Wasserspiegel des Schwarzen Meeres sintflutartig erhöht, und weite Gebiete um das Meer herum seien überschwemmt worden, was andere Wissenschaftler dann wiederum widerlegen: Es sei genau umgekehrt gewesen, nicht das Schwarze Meer habe sich ins Mittelmeer ergossen, sondern dieses ins Schwarze Meer, es sei ein langer Prozess des Austauschs der Wassermassen über mehrere Jahrtausende gewesen.

 

Spekulationen über die Sintflut am Ende der Eiszeit  

Ins Spiel der Deutungen gebracht wird auch das Ende der Eiszeit mit einem Anstieg des Meeresspiegels um 120 Metern, was das „Gesicht der Erde“ dauerhaft verändert habe. Am Ende der Sendung kommt auch die gegenwärtige Erderwärmung zur Sprache: Würde sich der vom Menschen gemachte Klimawandel ungebremst fortsetzen, käme es zu einem Anstieg um weitere 65 Meter und damit zu einer „Megaüberschwemmung“ mit noch weit verheerenderen Folgen als damals. Das Fazit: Noah steht für die Summe aller menschheitlichen Erfahrungen mit der unbändigen Kraft des Wassers. Was das Wasser in der Bibel und in den alten Kulturen symbolisch bedeutet, nämlich die alles vernichtende Zeit, kommt hingegen nicht zur Sprache.

Eher nebenbei erwähnt wird, dass nach der Kultreform von König Joschija (639-609) von Juda im Jahre 622 und der damit verbundenen Einführung des Eingott-Glaubens in Israel die Erzählung Noah wohl als Repräsentanten dieses (neuen) Glaubens verstehe, so dass alle in der Flut untergehen müssen, die ihn nicht teilen. Mehrfach wird festgestellt, dass ein wörtliches Verständnis – etwa was die Aufnahme aller Landtiere und Vögel in der rettenden Arche betrifft – wissenschaftlich ausgeschlossen werden kann. Eine Theologin kommt mit der Aussage zu Wort: Die Arche sei „wie eine Scholle der Rettung in eine andere Welt“.

Dieser Satz hätte an sich die Möglichkeit geboten, zum wirklichen Sinn der Erzählung vorzustoßen (die andere Welt ist die kommende Welt der Ewigkeit im Symbol der ‚Acht‘ jenseits der Sieben-Tage-Schöpfung), doch er bleibt isoliert und unkommentiert stehen und geht schließlich im Meer der ‚wissenschaftlichen Meinungen‘ ebenso unter wie die ganze Menschheit außer der nicht weiter bezifferten „Sippe“ von Noah. Ohne dass sich die Produzenten der Sendung wirklich um den Sinn der Erzählung in ihrem Kontext sowie in der jüdischen und christlichen Tradition bemühen, ist ein populistisches Machwerk herausgekommen, dem ein uninformiertes Millionenpublikum hilflos ausgeliefert ist und nun sich einmal mehr darüber wundern kann, welche ‚Märchen‘ die Bibel auftischt.

 

Die Wiederherstellung des Bundes durch Noah als neuen Adam

Von der biblischen Systematik her geht es in der Erzählung um etwas ganz anderes, als dargestellt wurde, nämlich um nicht weniger als die Wiederherstellung des Bundes der Menschheit mit dem Schöpfer, der in der Ursünde Adams im Garten Eden gebrochenen wurde und in dem allein der Mensch Gottes Leben und Segen hat. Außerhalb des Bundes (erwähnt wird er achtmal) ist die Menschheit nur sterbliches „Fleisch“, das durch Bosheit und Gewalt ‚verdorben‘ ist und deshalb von Gott dem Untergang geweiht wird (Gen 6,11-13). Nur Noah („Ruhe“, „Tröster“) ist in den Augen Gottes als einziger „unter deinen Zeitgenossen vor mir (Gott) gerecht“: „Nur Noah fand Gnade in den Augen des Herrn“ (Gen 6,3.8.11-13; 7,1).

Das Atraḫasis-Epos und das davon abhängige Gilgamesch-Epos kennen ebenfalls eine Sintflut. Atraḫasis („Der überaus Weise“) wird von Enki, dem Gott der Menschen, vor der Flut gewarnt, mit der die Götter die ungehemmte Vermehrung der Menschen eindämmen wollen, nachdem drei Plagen nicht zur Minderung geführt haben. Das von ihm für seine Familie sowie „für alles, was atmet“, gebaute Schiff ist würfelförmig, ebenso im Gilgamesch-Epos (60 m × 60 m × 60 m = 216.000 Kubikmeter, „mehr als fünfmal so groß wie die Arche Noah“; vgl. Wikipedia).

Dieser fensterlose ‚Kasten‘ hat sieben Etagen, während die Arche Noah nur drei Stockwerke hat (die drei Zeitdimensionen) und ein Dach (Gen 6,16). Sie ist als Heiligtum zu verstehen in der Mitte der Welt analog zum Garten Eden und zum heiligen Tempel als Wohnort Gottes, christlich zur heiligen Kirche als „Schifflein Petri“ (s. u.). Die einzige Ortsangabe ist das Gebirge Ararat, an dem die Arche nach dem Rückgang der Flut am 17. Tag des siebten Monats aufsetzt (Gen 8,4).

 

Die Arche: Symbol für Gottes Wort in der hebräischen Sprache

Der Kasten der ‚Arche‘ (hebr. teba = Sprache, Zunge, Wort) erinnert an das mit Pech und Teer abgedichtete „Binsenkästchen“ (hebr. teba), in das Mose „aus einer levitischen Familie“ drei Monate nach seiner Geburt gelegt und am Nilufer ausgesetzt wird, um ihn vor dem Knabenmord-Befehl des Pharao zu retten (Ex 1,22; 2,1-4). Das „schöne“ Kind wird von der Tochter des Pharao entdeckt, einer Hebräerin zum Stillen übergeben und dann von ihr als Sohn angenommen, dem sie den Namen Mose gibt: „Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen“ (Ex 2,5-10). Mose, dessen Mund und Zunge „schwerfällig“ ist, so dass er nicht gut reden kann (sondern stottert), wird dennoch zum Empfänger des Wortes Gottes berufen und so ein ‚Mann des Wortes‘; Friedrich Weinreb schreibt:

„Wieder sehen wir also, dass ein Leben bewahrt wird, wo sonst alles ertrinkt, und zwar dadurch, dass es ins ‚Wort‘ gelegt wird. Das heißt also, dass der Mensch in einer Zeit der Verflachung und des Untergangs am Leben bleibt, wenn er alles mit dem Wort und dadurch mit dem Wesen verbindet. Und er bleibt nicht nur am Leben, sondern er wird dann sogar von der Tochter des Pharao gefunden und in den Palast des Königs gebracht, wo er nun aufwächst. Plötzlich zeigt sich also, dass eine ganz andere, merkwürdige Kausalität durchbricht. Pharao, der solche Angst vor dem Kommen eines Erlösers hatte, welcher diese Welt der Zweiheit, seiner Welt, ein Ende machen würde, der alle Maßregeln traf, um das Kommen dieses Erlösers zu verhindern, wurde ohne es zu merken dazu genötigt, diesen Erlöser bei sich aufwachsen zu lassen, und das nur deshalb, weil Mose in der ‚teba‘ in den Fluss kam, weil er im ‚Wort‘ in die Zeit kam und weil er dadurch an das Wesen der Dinge gebunden war. (…) Was der Name Mose auch im Ägyptischen bedeuten mag – in der Sprache der Bibel bedeutet er ‚der aus dem Wasser Geholte‘; und die Sprache der Bibel ist die einzige, die Bild und Wesen miteinander verbindet. Für die anderen Sprachen ist der Weg zurück zum Wesen unauffindbar geworden, als Folge der ‚Spaltung‘, der Zweimachung bei der ‚haflaga‘“ (Schöpfung im Wort, 697-699).

 

Die innerbiblische Parallele: Mabul (Sintflut) und Babel

‚Haflaga‘ bezeichnet die ‚Spaltung‘ der einen Sprache der Menschheit beim Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9) analog zu ‚mabul‘ = Sintflut im Sinn von ‚Vermengung‘, ‚Durcheinanderwerfen‘; die ‚mabul‘ hebt die am 2. Schöpfungstag von Gott vorgenommene ‚Scheidung‘ „zwischen den Wassern unten, die die Erde wurden, und den Wassern oben, die der Himmel wurden“, wieder auf, „und damit wird das individuelle Leben, so wie es sich [vorher] äußern konnte, ebenfalls vernichtet“ (447f). Die ‚haflaga‘, die ‚Spaltung‘ oder Sprachverwirrung, findet im Jahr 1996 nach der ‚Gründung der Welt‘ statt:

„1996 stirbt Peleg [= Teilung], halb so alt wie die vorhergehenden Generationen, also ‚gespalten‘. In diesem Jahr sind 340 Jahre nach der Flut vergangen. Es drückt sich hier die Bedeutung des Wortes Schem [= Name] unter anderem auch in den Jahren aus, denn Schem wird Schin-Men, also 300-40, geschrieben. Schem bedeutet ‚Name‘ und will eigentlich sagen: Kenntnis des Wesens, des wirklichen Namens. (…) Schem [der erste Sohn Noahs] wird von dieser ‚haflaga‘ nicht berührt. (…) Schem kennt den Namen Gottes, also die Bedeutung und den Sinn des Lebens, und Eber als vierte Generation [nach Schem] stellt die Verbindung mit der ‚anderen Welt‘, mit dem ‚Jenseits dieses Lebens‘ her“ (515).

 

Noah als Zehnter nach Adam und der Gottesname JHWH

Noah ist die 10. Generation nach Adam und damit der Erste in der Reihe der Zehner, also ein neuer Adam. Die 5. Generation nach Schem ist Peleg (Gen 10,25), 10 und 5 oder Jod und He (= Jah) ist die Kurzform des Gottesnamens JHWH (10-5-6-5 = 26). Mose, der 26. Generation nach Adam, wird der volle Name im brennenden Dornbusch offenbart (Ex 3), wobei vier ‚Stammbäume‘ zu ihm hinführen in der Struktur 10-5-6-5: „Der Name ‚Herr‘ erweist sich also als das Muster für die Einteilung der 26 Geschlechter. (…) Sie (die Bibel) erzählt, dass das Leben in der Zeit auf eine ganz bestimmte Weise gebildet ist, dass es den Stempel Gottes trägt“ (147).

Der eine Gott geht mit dem Menschen in der Vielheit der Zeit mit, er bleibt aber als der Eine und Ewige der bestimmende ‚Herr der Zeit‘. JH und WH werden gelesen als die Verbindung zwischen zwei Zuständen, „einem vorhergehenden und einem kommende“, der ungeteilten 10 und der Verbindung von „5 + 5“ zur 10: „Es ist also wiederum das, was wir als Prinzip der Schöpfung kennengelernt haben, nämlich die 2-machung. Doch hier ist es eine 2-machung, die zugleich als Prinzip enthält, dass die 2 gleich wieder zur 1 verbunden wird“ (151). Dabei wurde die Vielheit „ja gerade geschaffen, um den Menschen das Glück der Einswerdung erleben zu lassen“ im Bund von Gott und Mensch sowie von Mann und Frau (160). Ohne den Glauben an den Namen Gottes und sein ewiges Wort (Logos) geht der Mensch in der Vielheit der Zeit notwendig unter.

 

Das Fehlen des ‚Männlichen‘ und der göttlichen ‚Er-innerung‘

Was dann fehlt, ist das ‚Männliche‘ (hebr. sachar) im Sinn der vertikalen Er-innerung des göttlichen Ursprungs durch den Geist Gottes. Die am Ende der Flut von Noah dreimal ausgesandte weiße Taube, die beim zweiten Mal mit einem frischen Olivenzweig zu ihm zurückkommt (Gen 8,8-12), symbolisiert diese Erinnerung des Glaubens. Die er-innernde Rückkehr im Bild der zum Heimatschlag zurückfindenden Brieftaube (als ‚Heimfinde-Genie‘ unter den Vögeln) ist eine Rückkehr in der Wieder-holung des Ursprungs nach vorn, zur Acht. Die Acht als 2³ oder Erhebung der Zweiheit der Schöpfung in die 3. Geistpotenz ist „das Ziel der Zweiheit“ (Michael Stelzner, Die Weltformel der Unsterblichkeit. Vom Sinn der Zahlen – Die Einheit von Naturwissenschaft und Religion, 1996, 93).

Diese ‚männliche‘ Er-innerung fehlt den zum (äußerlichen) „Fleisch“ gewordenen Menschen vor der Flut, weshalb ihnen nur noch „Töchter“, das heißt das entkernte Äußere oder Umhüllende, geboren werden, die sich dann mit den (gefallenen) „Gottessöhnen“ (Engel) sexuell vermischen (Gen 6,1-4). Pharao lässt in Ägypten nur die ‚männlichen‘ Kinder der Hebräer töten, die ‚weiblichen‘ lässt er am Leben (Ex 1,22). Weil Gottes Geist „nicht für immer im Menschen bleiben“ soll, wird die Lebenszeit des „Fleisches“ auf „120 Jahre“ begrenzt (Gen 6,3) – Mose stirbt mit „120 Jahren“ an der Grenze zum Gelobten Land (Dtn 34,7). „Würde der Mensch länger leben als diese 120 Jahre, die ihm als wesentliches Maß zugemessen sind, so würde er sich zu stark den irdischen Kräften, dem irdischen Leib in seiner Entwicklung zuwenden. Das ‚Böse‘, die Entwicklung vom Ursprung weg, würde den Menschen zu sehr anziehen und ihn seiner Bestimmung entziehen“ (Weinreb, Schöpfung im Wort, 444f).

 

Die Rettung aus der Zeit: Übergang vom Mond zur Sonne

Noah ist bei der Zeugung seiner drei Söhne „500 Jahre“ alt (Gen 5,32), wobei das Schöpfungs-Alphabet mit dem 22. Buchstaben Taw = 400 endet, „die äußerste Ausdrucksmöglichkeit in der Welt des Materiellen“ (150). Noah ist „600 Jahre“ alt, wenn die Flut kommt und er, seine drei Söhne und ihre vier Frauen in die Arche hineingehen, zusammen also acht (Gen 7,6f). Nach der jüdischen Überlieferung beginnt Noah mit dem Bau der Arche 120 Jahre vor der Flut, das heißt, 480 (= 4 x 120) Jahre lang hat er nicht an der Arche gebaut; das Verhältnis von 120 zu 480 ist 1 zu 4, was dem Verhältnis von Gott (1) und Welt (4) entspricht. Die von Gott für den Bau genannten Maße sind 30, 300 und 50 Ellen (Gen 6,15) sind die Zahlenwerte der hebräischen Buchstaben Lamed-Schin-Nun, das heißt Laschon (Zunge, Sprache): „Es sind demnach die Maße der Arche, welche selbst ‚Wort‘ bedeutet, die den Ausdruck ‚Sprache‘ bilden“ (446).

Die Flut dauert vom 17. Tag des 2. Monats im 600. Lebensjahr Noahs bis zum 27. Tag des 2. Monats im 601. Lebensjahr (Gen 7,11; 8,13f), also ein Mondjahr und zehn Tage, so dass das Mondjahr (355 Tage) in das Sonnenjahr (365 Tage) übergeht: Luna steht biblisch für den Körper, Sol für den Geist. „Für die Welt fällt dieser Übergang in das Jahr 1656, als die Flut beginnt und die alte Welt verlassen wird, und ins Jahr 1657, als die neue Welt betreten wird“, es ist ein „Übergang vom Sechsten zum Siebten im Leben Noahs“; im Jahr 1658 beginnt mit der 8 „die neue Zeitrechnung der ‚ele toldoth‘ [Stammbäume] von Schem… Das Prinzip ‚Noach‘ [50-8], die 58, drückt sich im Muster der Schöpfungszeit sehr nachdrücklich aus, es kennzeichnet den siebten Tag“ (475f).

„Dieser Übergang ist auch ein ‚Tod‘“, er „wird dann auch durch die Zahl 17 markiert, er beginnt am 17. des zweiten Monats“ im 17. Jahrhundert seit der Weltgründung (456). Die 17 ist die Gematrie von ‚gut‘, hebr. tow, 9-2-6 = 17. Wenn es von der Schöpfung am Ende des 6. Tages heißt, sie sei „sehr gut“ (Gen 1,31), liest die jüdische Überlieferung: „der Tod ist gut“ (ebd.) – nämlich als ‚Überstieg‘ vom 6. Tag zum 7. Tag. Es geht somit in der Flutgeschichte um den Übergang vom sechsten zum siebten (Arche) und vom siebten zum achten Tag (vom Sabbat zum Sonn-tag), womit die drei Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gemeint sind analog zur Erlösung in den drei Tagen des österlichen Triduum sacrum.

 

Der Eintritt in einen neuen Zyklus am Ende der Zeit

Noah lebt nach der Flut noch „350 Jahre“ (Gen 9,28). „Zu den sechs mal Hundert bis zur Flut kommen also noch einmal 3 ½ mal Hundert hinzu“ (475). Die 3 ½ (= die Hälfte der Sieben) „drückt immer die Struktur derjenigen Zeit aus, in der die Materie dieser Welt am siebten Welt-Tag erscheint, also die Zeit, in der die Einswerdung vorbereitet wird, um in einer neuen Welt, am achten Tag, Wirklichkeit zu werden“ (477). Die Vorbereitung der Einswerdung von Schöpfer und Schöpfung heißt ‚Verlobung‘, die Einswerdung selbst ‚Hochzeit‘. Die 3 ½ x 1656/1657 (dem Zeitpunkt der Flut) ergibt 5800, was der Wert des Namens Noah (58) ist. Auch der Wortstamm für ‚Jahr‘, hebr. schana, 300-50-5 (wobei die 5 nur die Endung ist), hat die 350 oder 3 ½ „als Maßstab für den Eintritt in einen neuen Zyklus“ (482).

Mit dem 5800. Vers der Tora besteigt Mose den Berg Nebo (50-2-6 = 58) und schaut das verheißene Gelobte Land (Dtn 34,1). „Nach der 58 ist man, nach dem Zeitmaß dieser Welt, jenseits des Pentateuch, ist man in einer anderen Welt“ (482). „Das Sterben des Mose ereignet sich also am Ende des siebten Welttages, was gleichzeitig dadurch ausgedrückt wird, dass er sich in den Gefilden Moabs befindet, das in seinem Zahlenwert den vollendeten siebten Tag darstellt“ (878). Moab, 40-6-1-2, hat den Wert 49 oder 7 x 7 (vgl. 862). Ruth, die Ahnfrau Davids und damit des Messias, kommt aus Moab nach Be(i)thlehem (2-10-400-30-8-40 = 490), wo sie von dem „Löser“ Boas zur Frau genommen wird (Rut 1,19-22; 4,10.13.12). Das Buch Rut, eine der ‚fünf Festrollen‘, ist Lesungstext an „Pfingsten“ (= 50. Tag):

„Dieses besondere Hervorheben der Erscheinung Davids als des Vaters des Messias an Pfingsten entspricht also dem, was auch die Systematik aufzeigt. Denn der achte Tag ist der Tag des Messias. Und der Messias kommt, weil der Mann die Frau wiedergefunden hat. Die Frau, die von weither kam, kehrte zurück und wurde mit dem Mann vereinigt“ (260).

 

Noah als Vorausbild des Erlösers Christus und der Taufe

Für das Neue Testament ist Noah der „Erbe der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt“ (Hebr 11,7). Die Sintflut mit der Rettung der ‚Acht‘ in der Arche wird typologisch als Vorausbild der christlichen Taufe verstanden (1 Petr 3,20; 2 Petr 2,5), die das „Mysterium der Achtzahl“ (Ogdoas) ist, weshalb sie mit Vorliebe in oktogonalen Taufbecken und Baptisterien gespendet wurde (und wird); Hugo Rahner schreibt:

„Christus ist am achten Tag von den Toten erstanden, am Tag des Helios, der nun für die Christen zugleich der erste Tag wird, so wie er einst der erste Tag der Weltschöpfung gewesen ist… Im uralten pythagoreischen Denken ist nun aber die Zahl Acht das Sinnbild des Vollendeten, Ewigen, Ruhigen. Acht ist die Zahl des Kubus, des nach allen Seiten hin in gleichem Abstand sich dehnenden Körpers, Acht ist die Zahl der Sphären, die sich um die Erde bewegen – ‚πάντα ̕οκτώ‘, alles ist acht, lautete ein antikes Sprichwort. Das alles war dem antiken Christen geläufig. Und nun findet er … allüberall das mystische Symbol der Achtzahl und gibt ihm einen christlichen Sinn. Am achten Tag ist der Herr erstanden; an einem Ostertag, dem liturgischen Achttag, hat der Christ die Taufe empfangen, und es ist der gleiche Tag, an dem einst der Geist über den Wassern brütete [Gen 1,2]. Acht Menschen fuhren in der Arche über das Wasser, und dieses rettende Holz ist Sinnbild des Kreuzes. Alles ist voll der geheimen Zeichen und Symbole. (…) Taufe ist also Wiedergeburt zum Ewigen Leben, Übergang in jene Unvergänglichkeit und Ruhe, die im uralten Bild der Ogdoas symbolisch angesprochen wird, Gegensatz zur irdischen Geburt. (…) ‚Wer aber von Christus wiedergeboren wird, der wird in das Leben hinüberversetzt, in die Ogdoas. Solche Menschen sterben für die Welt, aber sie leben für Gott…‘ [Klemens von Alexandrien]“ (Griechische Mythen in christlicher Deutung, 78f).

Die Taufe wurde verstanden als das „sacramentum octavi“ und als „Mysterium vom Holz im Wasser“ (ebd. 81). „Mit dem Zeichen des Kreuzes wird das Wasser des Taufquells konsekriert“ (Augustinus, ebd.). „Nur in der zeugenden Kraft des Kreuzes wird der Mutterschoß der Kirche fruchtbar“ (ebd.). Nach dem Buch der Weisheit hat die göttliche Weisheit die Erde durch die Flut hindurch gerettet „und den Gerechten auf wertlosem Holz durch die Wasser gesteuert“ (Weish 10,4). „In der Urzeit beim Untergang der übermütigen Riesen [= gefallenen Engel] (hat) die Hoffnung der Welt sich auf ein Floß geflüchtet und, durch deine Hand gesteuert, der Welt den Samen eines neuen Geschlechtes hinterlassen. Denn Segen ruht auf dem Holz, durch das Gerechtigkeit geschieht“ (Weish 14,6f).

 

Die Arche als Vorausbild des rettenden Kreuzes

Das Kreuz ist das Holz, durch das Jesus als Weisheit in Person und neuer Adam (neuer Noah) seine Gerechtigkeit dem in der Taufe erneuerten Menschengeschlecht schenkt, die Adam in der Ursünde für die Menschheit verspielt hat. Jesus verheißt die „Ankunft des Menschensohnes“ (wofür auch der Advent steht) mit Hinweis auf die Sintflut „in den Tagen des Noah“: „Wie die Menschen in den Tagen vor der Flut aßen und tranken und heirateten, bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging, und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein“ (Mt 24,37-39).

Im Weihegebet bei der Feier der Altarweihe wird an die „vielen Bilder“ erinnert, in denen das „Geheimnis des Altares“ aufscheint, das sich im Opfer auf dem Altar des Kreuzes vollendet. Genannt wird der Altar, den Noah, der „zweite Stammvater des Menschengeschlechts“, nach der Flut errichtet, damit von dort aus die Schöpfung neuen Grund und Bestand gewinnt (Gen 8,13.20-22). Weil der „beruhigende Duft“ oder Wohlgeruch des Noah-Opfers den Gotteszorn besänftigt, will der Schöpfer „nicht noch einmal“ alles Lebendige in einer Sintflut vernichten, sondern garantiert ihren beständigen Rhythmus von „Sommer und Winter, Tag und Nacht“ im Bundes-Zeichen des Regenbogens (Gen 8,20-22). In den alten Kulturen wird die Farbenpracht des Regenbogens mit der Farbenpracht der Schlange verglichen, die als ‚Regenbogenschlange‘ das Symbol des ‚unteren‘ Wassers in Beziehung setzt zu den ‚oberen‘ Wassern des Himmels; Hans Egli bemerkt:

„Damit ist die Schlange die ‚totale, ambivalente Gottheit‘, nicht nur im Sinn von Land und Wasser, von Leben und Tod, sondern auch von Himmel und Erde. Der Begriff ‚Regenbogenschlange‘, wie er besonders für die Vorstellung der australischen Ureinwohner von der Urschlange verwendet wird, ist der Ausdruck dieser ‚Totalität in der Dualität‘ von Himmel und Erde, von unterem und oberem Wasser. Der Geltungsbereich darf jedoch nicht auf Australien eingeengt bleiben, er ist viel weiter, geradezu global“ (Das Schlangensymbol. Geschichte – Märchen – Mythos, 1982, 164).

 

Der Bund des Regenbogens und der Bund der Beschneidung

Der Ambivalenz der Schlangen-Gottheit als Ineins von Gut und Böse, wie sie der Erfahrung der Welt nach dem Fall entspricht, stellt die Bibel die Nicht-Ambivalenz Gottes entgegen: „Gott ist Licht, und keine Finsternis ist in ihm“ (1 Joh 1,5). Rabbi Moses Cordovero von Zefat (Safed), Schüler von Isaak Luria, des Erneuerers der jüdischen Mystik im 16. Jahrhundert, sieht den Bund der Beschneidung am ‚achten Tag‘ bei Abraham und den Bund des Regenbogens bei Noah zusammen und bezieht beides auf den „Gerechten“ als Verkörperung der 9. Sefira Jessod (Fundament) im Sefiroth-Baum als Symbol der göttlichen Fruchtbarkeit (Tomer Deborah – Der Palmbaum der Deborah. Eine mystische Ethik radikalen Erbarmens, 2003, 245).

Abram erhält mit dem Beschneidungsbund den Buchstaben He (= 5 und ‚Fenster‘) in seinen Namen eingefügt und wird erst so zu Abraham (Gen 17,5). Bei der Öffnung des ‚Fensters‘ oder der ‚Lichtluke‘ der Arche geht es darum, alles „genau um eine Elle nach oben“ anzuheben (Gen 6,16). Die Höhe der Arche, einer abgeflachten Pyramide, wird mit 30 Ellen angegeben, davon sind nach der jüdischen Tradition 19 Ellen über und 11 Ellen unter Wasser. Mit der 40-tägigen Flut steigt das Wasser „15 Ellen über die Berge hinaus“ (Gen 7,20), die ihrerseits 15 Ellen hoch waren nach biblischen Maßen. Das Verhältnis 15 zu 11 ist das des ersten Teils des Tetragramms (J-H = 10-5 =15), der überzeitlich ist, und des zweiten Teils (W-H = 6-5 = 11), der in der Zeit ist. 15 + 15 + 19 ergibt 49 (7 x 7); Weinreb schreibt: „Wir sehen nun auf einmal, dass sich die ganze Erzählung von der Flut, der ‚mabul‘, innerhalb von 49 Ellen abspielt, so dass sie also genau den ganzen siebten Tag ausfüllt, in seiner ganzen Vollendung. Und die ‚teba‘ war ja gerade gegeben worden, um durch diesen siebten Tag hindurchzugelangen“ (Schöpfung im Wort, 464).

Mit der einen Elle beim Fenster (hebr. chalon, 8-30-50) „ist die 50 da, die die Verbindung mit der anderen Welt, dem achten Tag, herstellt. (…) Der Weg nach oben, also auch bis zur 50. Elle, ist geöffnet, die Verbindung ist endgültig“ (470). „An diesem Punkt der höchsten Not, der größten Gefahr des totalen Untergangs, auch für Noach … reicht die ‚teba’ bis zur 50. Elle, berührt das Wort sozusagen die andere Welt. Und in diesem Augenblick, wo die ‚teba’ Noachs, sein Wort, bis zur Grenze der anderen Welt reicht, als er sich Gott in seinem Wort bis aufs äußerste genähert hat, kommt dieses ‚Da gedachte Gott des Noach’ (Gen 8,1)“ (466).

 

Die Öffnung der Seite der Arche und des Gekreuzigten

Wie für e Kirchenväter das ‚Holz‘ der Arche Symbol des Kreuzes ist, so sieht Augustinus in der Seitentür der Arche ein Bild für die geöffnete Seitenwunde des Gekreuzigten, aus der mit dem ‚überlieferten‘ Geist (Joh 19,30) die Zeichen des Heils, „Blut“ (Eucharistie) und „Wasser“ (Taufe) hervorströmen (V.34), die die Kirche konstituieren: Der Evangelist sagt

„‘öffnete‘, damit dort gleichsam die Türe des Lebens aufgetan würde, durch die sich die Sakramente der Kirche ergossen, ohne die man zum wahren Leben nicht eingeht. (…) Vorbedeutung dessen war die Türe, die Noe an der Seite der Arche anbringen sollte (vgl. Gen 6,16) zum Einlass der Tiere, die von der Flut verschont werden sollten, die Sinnbilder der Kirche. Um dessentwillen ward das erste Weib aus der Seite aus der Seite des schlafenden Mannes gebildet (vgl. Gen 2,22) und Leben und Mutter der Lebendigen genannt (vgl. Gen 3,20). (…) Hier entschlief geneigten Hauptes am Kreuz der zweite Adam, damit ihm aus dem, was der Seite des Schlummernden entfloss, eine Gattin gebildet werde. O Tod, durch welche die Toten aufleben! Was ist reiner als dieses Blut, heilsamer als diese Wunde?“ (Kommentar zum Johannesevangelium, 310).

 

Die Arche als Symbol der Kirche und der Rausch des Weins

Die Väter sehen die Kirche nicht nur im Symbol der Arche, sondern auch als mystisches ‚Weinhaus‘, in das geführt zu werden die Braut des Hohenliedes sich sehnt (Hld 2,4). Ihre Bitte richtet sie an die ‚Freunde des Bräutigams‘ (vgl. Joh 3,29), womit nach Origenes die alttestamentlichen Propheten gemeint sind:

„Denn sie (die Braut), die schon das königliche Brautgemach gesehen hat, verlangt danach, auch zum königlichen Gastmahl einzugehen und den Wein der Freude zu genießen. Wir haben zuvor schon gesagt, dass unter den Freunden des Bräutigams die Propheten zu verstehen sind und alle, die den Logos Gottes kredenzt haben seit Anbeginn des Aions. Zu ihnen sagt die Ekklesia Christi oder die dem Gottlogos anhangende Seele mit Recht, man möge sie in das Weinhaus führen, das heißt dorthin, wo die Weisheit ihren Wein im Becher mischt. (...) Dies ist der Wein, von dem berauscht zu werden wünschenswert ist für die Gerechten und Heiligen alle. Ihn hat schon damals – glaube ich – Noe im Pneuma geschaut, und er wurde trunken, wie berichtet wird“ (vgl. Photina Rech, Inbild des Kosmos II, 1962, 455).

Photina Rech schlussfolgert: „In diesem mystischen Weinhaus durchdringen sich nach den Worten des alexandrinischen Lehrers Zeit und Ewigkeit, Irdisches und Himmlisches; im Haus des neuen Weines ist die ganze Fülle des Heilsmysteriums gesammelt und zieht die Feiernden in Gott hinein“ (456).

 

Wiederholung der Ursünde in der Aufdeckung von Noahs Blöße

Noah ist der erste Weinbauer und wird vom Wein auch gleich betrunken, so liegt er entblößt in seinem Zelt; sein zweiter Sohn Ham sah „die Blöße seines Vaters und erzählte davon draußen seinen Brüdern“, die sie schamhaft mit angewandtem Gesicht wieder zudecken (Gen 9,20-22). Die jüdische Tradition sieht darin eine Wiederholung des Sündenfalls im Paradies im Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse; denn das Aufdecken der Blöße steht für den Glauben an die nur irdische (sexuelle) und nicht himmlische Herkunft des Menschen als Bild Gottes, der Weinberg symbolisiert Israel und der Wein die göttliche Liebe, die auch für die ‚Lüsternheit‘ (vgl. Gen 3,6) missbraucht werden kann.

Die Väter erkannten in Noah dennoch den „Typus des weinspendenden Erlösers“ (vgl. ebd. 433). Irenäus, Cyprian und Ambrosius sehen in Noah „das prophetische Bild des göttlichen Weinbringers Christus, des Stammvaters der neuen Menschheit und Herrn der neuen Weltzeit, der als wahrer ‚Tröster‘ und ‚Löser‘ des Adamsgeschlechtes einer neuen Schöpfung die göttliche Trunkenheit schenkt“ (459).

 

Weiße Taube und schwarzer Rabe: Geist Gottes und dunkler Humus

Noah ist als 10. Generation nach Adam dessen Wiederholung auf höherer Ebene. Das Abfließen der Sintflut als Umwandlung des Feuchten ins ‚Trockene‘ deutet die christliche Kabbalistin Annick de Souzenelle als (alchemistisches) „Werk der Schwärzung“ (vgl. Job sur le chemin de la lumière, 1999, Kap. VI; Übers. Norbert Hofer). Es wird bewirkt von dem in Noah verkörperten Sohn Gottes als die rettende innere Einheit in der Vielheit der Materie, der das Feuchte ins Trockene umwandelt (wie auch das Wasser in den Wein). Die ‚Nacktheit‘ des ‚weintrunkenen‘ Noah versteht sie als Vollzug der Heiligen Hochzeit Noahs mit Gott (Kap. I). Auf der Suche nach dem ‚Trockenen’ jenseits des Wassers der Zeit lässt Noach aus dem Fenster im Dach der Arche eine weiße Taube und einen schwarzen Raben (hebr. oreb) ausfliegen (Gen 8,6-12):

„Er symbolisiert den Aspekt des Heiligen Geistes, der das Werk des göttlichen Bräutigams zur Vollendung bringt, insofern als Er den Menschen seinen dunklen Tiefen zuführt (`Ereb heißt Abend), um sich dort mit Ishah, seiner [Erd-]Mutter-Adamah, zu vermählen. Der Rabe repräsentiert einen Aspekt des Eros, der die Menschen in Kontakt mit ihrem dunklen Humus bringt und somit der Taube ermöglicht, ihren Eros zum Tragen zu bringen. Sie vollzieht dies, indem sie den Menschen dem Licht des Elohim-Vaters zuführt, damit die mystische Hochzeit zwischen Gott und Mensch stattfinden kann. Die beiden Vögel, der Rabe und die Taube, stellen die ganze Spannweite der göttlichen Liebe dar, die im Beitrag des Adlers am Ende aufgehoben ist. Als Künder der Hölle ist der Rabe in erster Linie mit dem Vorgang der ‚Schwärzung‘, wie die Alchemisten ihn nennen, verbunden. Schwärzung deutet auf den Wandlungs-, Wachstums- und Keimungsprozess, der im Dunklen des Menschen in seiner Feuertaufe vor sich geht“ (Job sur le chemin de la lumière, 1999, Kap. IX; Übers. Norbert Hofer).

 

Der Regenbogen als Leitmotiv beim jüdischen Maler Marc Chagall

Wenn die vom Geist erleuchtete Sinne zum Glauben gehören, dann auch das Bild als Ikone, das heißt als ‚Fenster zum Ewigen‘. Für die drei Chorfenstern der geosteten Stephanskirche in Mainz hat der jüdische Maler Marc Chagall als 90-Jähriger Entwürfe mit Szenen der biblischen Heilsgeschichte angefertigt mit dem Regenbogen als Leitmotiv. In der Szene der Erschaffung des Adam (im unteren Bild des südöstlichen Fensters), dessen noch lebloser Leib von einem Engel in den Garten Eden getragen wird, erscheint der Bogen ebenso wie im abschließenden Dreipass des nordöstlichen Bildes als Kreis. Dort erscheinen auch wieder Hahn und Henne als Symboltiere des Männlichen und des Weiblichen: Der Hahn ist feuerrot und die Henne blaugrün wie das Wasser (vgl. Marc Chagall/ Klaus Mayer, Ich stelle meinen Bogen in die Wolken, Bd. 2: Die flankierenden Mittelfenster, 1990, 15 und 22/25). Klaus Mayer bezeichnet den Hahn als „solares Symbol männlicher geistiger Lebenskraft“, die Henne als „tellurisches Sinnbild des Weiblichen auf dem Erdboden. Die Henne sitzt auf der Erde, weil die Frau von ihrem Wesen her inniger mit der Mutter Erde verwandt ist als der Mann“ (22/25).

Die Gesamtkomposition der Mainzer Fenster ist von der Zuordnung des Männlichen und Weiblichen bestimmt, konkret des Fensters des Mannes und des Fensters der Frau. Die Beschneidung des jüdischen Mannes als Vorausbild der Taufe zielt auf die Beschneidung des Herzens; denn wer in seinem Herzen unbeschnitten ist, so Weinreb, „kennt den achten Tag im Prinzip nicht. (...) Er urteilt nur nach dem Erscheinenden, sucht dort Macht und Wichtigkeit. Die ‚mila‘, die Beschneidung, ist also das Öffnen eines Fensters, vielleicht eines Tores, das die Sicht auf den achten Tag erlaubt, erst ermöglicht, dass man selbst, in seinem Inneren, schon den achten Tag erlebt. Erst hier wird dann auch der Name des Männlichen ausgesprochen [mit der Namensgebung bei der Beschneidung; vgl. Lk 2,21], auch wenn man ihn schon vor der Geburt bei sich wusste. Am achten Tag ist das Äußere gleich dem Inneren, dann ist die neue Welt tatsächlich eingetroffen. (...) Mit dem achten Tag beginnt für ihn [den Beschnittenen] das Leben in Ewigkeit“ (Innenwelt des Wortes im Neuen Testament, 1988, 88f).

 

Ist die Sintflut ein Bild der heutigen Umweltkrise?

Dasselbe gilt für die Taufe, dessen Vorausbild die Rettung der Acht in der Arche ist. Heutige ‚Aktualisierungen‘ bringen die Arche nicht mit der Taufe, sondern mit der Umweltkrise und Schöpfungsethik in Beziehung. Für den Linzer Moraltheologen Michael Rosenberger ist Noah der einzige Mensch, der„begreift, dass die Erde als Ganze bedroht ist. Und das ist ja schon mal etwas, was zur heutigen Situation eine durchaus gute Analogie bildet. Noah sieht, wie die Flut immer weiter steigt und mit der Flut ist natürlich dort in der Geschichte gemeint die Gewalt, die Zerstörung durch die Menschen. Und sie bedroht nicht nur andere Menschen, sondern bedroht die ganze Schöpfung, alles was lebt. Und Noah reagiert, und zwar sehr schnell, baut dieses Rettungsboot und nimmt jetzt stellvertretend von allen Tier- und Pflanzenarten etwas mit hinein in seine Arche. Das heißt, er hat begriffen, er kann selber nicht überleben, ohne die Tiere, ohne die andere Schöpfung und holt alle mit in sein Boot. Und tatsächlich überleben sie dann miteinander. Und der schöne und hoffnungsvolle Schluss der Geschichte ist ja, dass Gott mit Noah, aber so heißt es ausdrücklich in der Bibel, auch mit allen Geschöpfen, die mit ihm in der Arche waren, einen Bund schließt, eine Abmachung trifft, das soll nie wieder passieren. So viel Gewalt soll nie wieder über die Erde kommen. Und darauf verpflichtet sich einerseits Gott, aber darauf verpflichten sich auch die Menschen stellvertretend für sie, Noah und seine Familie. (…) Der Bund, der von Gott geschlossen wurde, ist gleichzeitig auch eine Verpflichtung für uns alle, etwas zu tun, alles zu tun, was wir können, damit nicht so eine unheilvolle Situation kommt“ (Interview Domradio Köln, 8. Nov. 2021; vgl. Rosenberger, Eingebunden in den Beutel des Lebens. Christliche Schöpfungsethik, 2021).

 

Fehlverhalten des Menschen oder Fehlverhalten Gottes?

Die Sintflut wird hier als Umweltkatastrophe (fehl-)interpretiert und nicht als Gericht Gottes über das Fleisch; denn „wer vom Fleisch bestimmt ist, kann Gott nicht gefallen“ (Röm 8,8). Das Fehlverhalten des Menschen gegenüber den Tieren und der Natur im Ganzen hat wesentlich mit dem Unglauben und der maßlos werdenden Begierde aufgrund des Fehlens der übernatürlichen Hoffnung zu tun; nur in diesem Sinn hat die Erzählung von der Arche auch schöpfungsethische Implikationen.

Der Philosophiehistoriker Kurt Flasch, der die Bibel allein im Licht der neueren historisch-kritischen Exegese liest, nimmt die Flutgeschichte als Beleg für die angebliche Rachsucht des biblischen Gottes: „Der Bibelgott ist ein Gott der Rache, des exklusiven Bundesschlusses und des Zornes.“ „Er ersäuft sie (die Menschheit) in der Sintflut, nur Noah kommt davon“ (Warum ich kein Christ bin?, 2013, 181;183f). Eine geistig-geistliche Exegese, die die Bibel unter der Inspiration des Heiligen Geistes als Einheit versteht, lehnt er explizit ab.

Nur als diese Einheit ist sie aber das eine Wort Gottes, das im Logos Jesus der Welt ihren Sinn erschließt, indem der Sohn Gottes das ‚Fleisch‘ der Welt immer schon annimmt und in der Auferstehung (im Symbol der Acht) als Neuschöpfung zur Vollendung führt, auch durch das Sinnbild der Arche; Weinreb betont: „‚In der Bibel gibt es kein Vorher und Nachher.‘ Auch wenn die Auferstehung am Ende erzählt wird, sie gilt genauso für Adam, für Noah“ (Innenwelt des Wortes, 240).

Die österliche Auferstehung Jesu wird auch an Weihnachten in jeder Eucharistie gefeiert: Kaum geboren, heißt es: in jener Nacht, da er verraten wurde… Die Bibel hat keine historisch-lineare Vorstellung von der Zeit, sondern verbindet sie mit der Ewigkeit Gottes, in der alles ‚gleichzeitig‘ ist: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“ (Lk 2,11). „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz nicht“ (Hebr 3,7.15; 4,7 mit Bezug auf Ps 95,7f).

Klaus W. Hälbig

 

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