(K)Ein Segen für die „Homo-Ehe“?

Bild: „Love Parade“ beim „Christopher Street Day“ in Hamburg im August 2018, begrüßt von der evangelische Hauptkirche St. Petri im Zeichen des Regensbogens.

 

In der katholischen Kirche hängt – jedenfalls im deutschsprachigen Raum – der Haussegen schief. Die römische Glaubenskongregation hat Mitte März 2021 das „Nein“ zum Segen für homosexuelle Paare bekräftigt. Das ist nicht nur auf den Widerspruch eines Großteils der katholischen Professorenschaft und von tausenden von Seelsorgern gestoßen, sondern hat auch zur offenen Rebellion geführt: Für den 10. Mai wurde bundesweit zu einem „Segensgottesdiensten für Liebende“ (in 110 Kirchen) aufgerufen.

 

Der Bund im Zeichen des Regenbogens und der Bundesbruch

In dem Aufruf unter den Leitworten #mutwilligSegnen und #liebegewinnt heißt es: „Paare, die hieran teilnehmen, sollen den Segen bekommen, den Gott ihnen schenken will – ganz ohne Heimlichkeit.“ „Angesichts der Absage der Glaubenskongregation, homosexuelle Partnerschaften zu segnen, erheben wir unsere Stimme und sagen: Wir werden Menschen, die sich auf eine verbindliche Partnerschaft einlassen, auch in Zukunft begleiten und ihre Beziehung segnen. Wir verweigern eine Segensfeier nicht.“ Unterzeichnet wurde die Aktion von mehr als 2500 Priestern, Diakonen, Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten sowie von Ordensleuten.

An vielen Kirchen wurde die für die Schwulen-Bewegung stehende Regenbogenfahne gehisst. Der 10. Mai nimmt darauf Bezug, denn an diesem Tag wird in der orthodoxen Kirche an den Gottesbund mit Noah im Zeichen des Regenbogens erinnert (Gen 9,1-17). Wie es im Paradies als Bundesschluss zum Sündenfall als Bundesbruch kommt, so auch bei Noah: Nach der Flut liegt er als ‚erster Weinbauer’ betrunken und entblößt in seinem Zelt, wo der zweite Sohn Ham die Blöße seines Vaters sieht und seinen Brüdern Sem und Haphet davon erzählt. Diese gehen rückwärts hinein und „bedeckten die Blöße ihres Vaters“ mit abgewandtem Gesicht (Gen 9,21-24). Als Noah aus seinem Rausch erwacht, verflucht er Ham und erniedrigt ihn unter seine zwei Brüder, die allein seinen Segen erhalten, das heißt die Verbindung von Unten mit Oben oder mit dem göttlichen Ursprung (Gen 9,25ff).

Wie Adam hat auch Israel die Wahl zwischen Segen und Fluch: „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den Herrn, deinen Gott, hör auf seine Stimme und halte dich an ihm fest; denn er ist dein Leben“ (Dtn 30,19f). Der Bruch des Bundes ist der Grund für Gottes Fluch und Tod, das ‚Gefallensein‘ der Welt. Das wird von der heutigen Theologie gern unterschlagen, die nur noch vom ‚Gutsein‘ der Schöpfung (und der Sexualität) spricht, aber nicht mehr davon, dass die Bibel und Jesus zur ‚Umkehr‘ aufrufen und zum Glauben als „Sieg“ über die (gefallene) „Welt“ (1 Joh 5,4f.19; vgl. auch meinen Impuls: Warum ist die Welt mit Noahs Bundesschluss nicht gerettet, Archiv Nr. 8).

 

Homosexuelle Verbindungen entsprechen nicht dem „Heilsplan“

Die Initiatoren der Segensfeiern berufen sich auf Papst Franziksus, doch der hatte gerade sein "Einverständnis" zur Erklärung der Glaubenskongregation vom 15. März gegeben: der Antwort auf einen vorgelegten Zweifel (Responsum ad dubium), dass die Kirche nicht die Befugnis hat, gleichgeschlechtlichen Verbindungen den Segen zu erteilen. Eine Segnung homosexueller Paare, die um eine Art religiöse Anerkennung ihrer Vereinigung bitten, sei Priestern nicht erlaubt, weil die Kirche dazu „keine Vollmacht“ hat. Wenn die an den Segensfeiern beteiligten Priester dennoch einen Segen spenden, dann offenbar ihren eigenen in eigener Vollmacht.

Der Segen als liturgische Handlung der Kirche (bene-dicere = gut-heißen) erfordert, dass das, was gesegnet wird, „objektiv darauf hingeordnet ist, die Gnade zu empfangen und auszudrücken, und zwar im Dienst der Pläne Gottes, die in die Schöpfung eingeschrieben sind“, heißt es in der vom Präfekten und vom Sekretär der Glaubenskongregation, Kardinal Luis Ladaria und Erzbischof Giacomo Morandi, unterzeichneten Erklärung. Beziehungen, auch dauerhafte, die „eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe einschließen“, das heißt einer „unauflöslichen Verbindung eines Mannes und einer Frau, die an sich für die Lebensweitergabe offen ist“, entsprechen nicht diesen „Plänen Gottes“. Daran ändert auch nicht, dass in solchen Beziehungen „positive Elemente“ (wie Liebe und Treue) vorhanden sind. Betroffen davon sind nicht nur homosexuelle Paare, sondern alle Vereinigungen, die die Ausübung der Sexualität außerhalb der Ehe beinhalten. Zudem bestehe die Gefahr einer Gleichstellung der Segnung von gleichgeschlechtlichen Verbindungen mit dem Sakrament der Ehe.

Mit der negativen Antwort hinsichtlich der Segnung der Verbindung von homosexuellen Paaren sei aber kein Urteil über die einzelnen betroffenen Personen gefällt; ihnen sei „mit Achtung, Mitgefühl und Takt“ zu begegnen, „jedes Zeichen ungerechter Diskriminierung“ sei zu vermeiden. Homosexuellen Personen sollen vielmehr die „notwendigen Hilfen“ angeboten werden, „um den Willen Gottes in ihrem Leben zu begreifen und ganz zu erfüllen“. Wesentlich ist somit die Unterscheidung zwischen Personen und Verbindungen.

 

Diözese Rottenburg-Stuttgart: Segen „ist kein ‚Ja‘ der Kirche zur Homo-Ehe“

Während sich die Erzdiözese Freiburg an das „Nein“ aus Rom halten will, erklärte die Diözese Rottenburg-Stuttgart, eine scheinbare Gleichsetzung von kirchlicher Trauung und Segnung werde vermieden, auch wenn homosexuelle Paare weiter gesegnet werden – trotz des Verbots aus Rom. Weihbischof Matthäus Karrer sagte der „Schwäbischen Zeitung“: „Segnungen gehören in der Seelsorge zum pastoralen Alltag.“ Sie würden auch nicht von der Diözese sanktioniert. Das Verbot stelle „zentrale Fundamente im pastoralen Handeln infrage, wie zum Beispiel die vorbehaltlose Annahme von Menschen mit ihrer je eigenen Lebensgeschichte“. Segnungen für homosexuelle Paare seien aber „kein ‚Ja‘ der Kirche zur Homo-Ehe“. Vielmehr gehe es um die Bitte, dass Gottes Segen Gottes für sich liebende Menschen wirken möge: „Nicht weniger, aber auch nicht mehr.“

Der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, sprach sich „entschieden gegen jegliche Diskriminierung“ aus, was auch schon die Glaubenskongregation getan hat. Er wolle eine „versöhnliche Lösung“ und kündigte an, demnächst „in diesem sensiblen seelsorgerischen Bereich“ eine eigene diözesane Stelle einzurichten. Wenn aber homosexuelle Beziehungen dem Willen Gottes entsprechen und deshalb gesegnet werden können, dann muss ihnen auch die sakramentale Ehe offenstehen; ansonsten wäre das gerade die Diskriminierung, die man vermeiden will.

 

Kardinal Reinhard Marx: Sekretariat in Rom ist eine Zumutung

Für zusätzliche Irritation sorgte eine Äußerung des Münchner Kardinals Reinhard Marx auf der Versammlung des Landeskomitees der Katholiken in Bayern (17. April 2021) zum „Nein“ der Glaubenskongregation: „Dass hier ein Sekretariat in Rom existiert, das weiß, was Gott will“, sei für viele Katholiken „eine Zumutung“ (zit. nach Christoph Renzikowski, KNA). Eine Zumutung wäre es vielmehr, wenn das „Sekretariat“ (immerhin die oberste Glaubensinstanz der katholischen Kirche) nicht wüsste, was Gott will, dann könnte es den Laden dicht machen.

Marx hatte schon im März 2018 im „Interview der Woche“ (B5 aktuell) in der Frage, ob auch homosexuelle Beziehungen den Segen der Kirche bekommen sollten, dafür plädiert, mehr die Bedeutung der Seelsorge in den Vordergrund zu stellen und neue Lebensumstände und neue Erkenntnisse zu berücksichtigen. „Da muss man auch ermutigen dazu, dass die Priester und Seelsorger den Menschen in den konkreten Situationen auch einen Zuspruch geben“; er sehe „da eigentlich keine Probleme“.

In einem „Stern“-Interview (23. Dez. 2019) meinte Marx, homosexuelle Paare könnten in der katholischen Kirche einen Segen „im Sinne einer seelsorglichen Begleitung“ bekommen; damit werde aber keine eheähnliche Beziehung gesegnet. Auch eine Eheschließung sei nicht möglich. Offensichtlich kennt Marx diesbezüglich doch den Willen Gottes.

 

Innsbrucker Bischof Glettler: Verlagerung des Segens ins Private

Um dem offensichtlichen Widerspruch zwischen Segens-Bejahung und Ehe-Verneinung zu entgehen, hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler vorgeschlagen, einen möglichen Segensritus ins Private zu verlagern. In einem Interview der Austria Presse Agentur (APA)sagte Glettler, anstelle eines Priesters könnten die Herkunftsfamilien den Segen für gleichgeschlechtliche Paare aussprechen. Dies könnte auch im Rahmen eines Wortgottesdienstes im Kreis der Familie geschehen.

Eine Segenshandlung der Kirche ist aber nie privat, sondern immer öffentlich. Die Befürworter müssen sich der entscheidenden Frage stellen, ob homosexuelle Beziehungen von Gott gewollt sind oder nicht. Kardinal Gerhard Ludwig Müller erklärte im „Spiegel“-Gespräch (Anfang 2019), „dass kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird“. Das kritisierte der Mainzer Moraltheologen Stephan Goertz: Gemeint sei, dass „es zur gottgewollten Männlichkeit des Mannes und zur gottgewollten Weiblichkeit der Frau gehört, heterosexuell orientiert zu sein“. Aber: „Woher weiß der Kardinal das?“ (19. Febr. 2021). Umgekehrt weiß die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), dass Homosexualität „Teil der gewollten Schöpfung Gottes“ ist (12. April 2019).

In der Debatte darüber wurde immer wieder behauptet, Homosexualität sei „naturgewollt“ und daher „gottgewollt“. Aber abgesehen davon, dass die Natur keinen Willen hat und vom ‚Sein‘ nicht auf ein ‚Sollen‘ geschlossen werden kann, so steht doch fest, dass es kein Gen gibt, wodurch Homosexualität angeboren wäre. Sie ist vielmehr durch eine bestimmte psychosoziale Konstellation in der frühen Kindheit erworben. Außerdem gibt es ja Menschen, die erst viele Jahre heterosexuell in einer Ehe leben und dann ihre Homosexualität „entdecken“, von weiteren „Spielarten“ (divers, unbestimmt, queer usw.) gar nicht zu reden.

 

Der Sohn kennt den Willen des Vaters und offenbart ihn

Im Neuen Testament werden Handlungen von homosexuellen Menschen als Ausdruck der „Begierden ihres Herzens“ gebrandmarkt, die – von Gott „der Unreinheit“ ausgeliefert –, „ihren Leib durch ihr eigenes Tun entehrten“. „Darum lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung“ (Röm 1,24-27).

Der Leib soll vom Schöpferwillen her „rein“ sein als „Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,19). Weil Christen geisterfüllte Menschen sind und „das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt“ haben (Gal 5,24), indem sie mit dem Gekreuzigten in der Taufe mitgekreuzigt und mitbegraben wurden, können sie auch – „frei geworden von der Sünde“ – „für Gott leben in Christus Jesus. Daher soll die Sünde euren sterblichen Leib nicht mehr beherrschen, und seinen Begierden sollt ihr nicht gehorchen“ (Röm 6,6-12). Für Paulus und das ganze Neue Testament gibt es einen existentiellen Kampf zwischen der Sünde als „Ungerechtigkeit“ (Widerspruch zum Willen Gottes) und der Reinheit und Heiligkeit als „Gerechtigkeit“ (Entsprechung zum Willen Gottes).

Das ist auch für Jesus so, der – obwohl ohne Sünde – die Wasser-Taufe des Johannes auf sich nimmt, um die von Gott geforderte „Gerechtigkeit“ ganz zu erfüllen (Mt 3,15). Jesus hat als ewiges Schöpferwort sterbliches Fleisch angenommen, um „den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat“ (Joh 4,34). „Der Sohn kann nichts von sich aus tun“ (Joh 5,19). „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und nieman kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“  (Mt 11,27). Jesus ist dem Willen des Vaters „gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8; vgl. Hebr 5,8). Im Garten Getsemani („Ölpresse“) ringt er mit diesem Willen des Vaters; aber er weiß doch auch, dass nur in der vollkommenen Hingabe als ‚Opfer‘, „um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,7), der Tod besiegt und die bleibende reiche Frucht des ewigen Lebens erbracht werden kann (Joh 12,24).

 

Gottes Wille ist nicht der Wille des Menschen

Dass der Wille Gottes und der Wille des Menschen in der ‚gefallenen‘ Welt im Gegensatz zueinander stehen, zeigt die Szene, in der Petrus seinen Meister vom angekündigten Kreuz-Weg abhalten will und deshalb als „Satan“ zurechtgewiesen wird: „Du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mt 16,23). Das Kreuz ist der Ausdruck des Willens Gottes, weshalb die Kirche alles mit dem Zeichen des Kreuzes segnet. Wer den Segen Gottes jenseits des Kreuzes spendet, will nicht, was Gott will, sondern was die Menschen wollen. Er ist dann ein Epigone Friedrich Nietzsches, der forderte: „Aus Betenden müssen wir Segnende werden“ – aus eigener Vollmacht.

Dass die katholische (und orthodoxe) Kirche keine Vollmacht zum Segnen von homosexuellen Verbindungen hat, macht deutlich, dass sie im Gebet nach dem Willen Gottes fragt und sucht: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf der Erde“, betet sie mit dem Gebet, das Jesus zu beten gelehrt hat (Mt 6,10). An diesen Willen hat sich die Kirche zweitausend Jahre gehalten und zuvor das Judentum, das homosexuelle Beziehungen ebenfalls immer als „Gräuel“ abgelehnt hat (vgl. Lev 20,13), ebenso der Buddhismus und Islam. Nach den Befürwortern des Segens habe es vor dem 19. Jahrhundert das Konzept einer „liebevollen“ Beziehung zwischen Personen des gleichen Geschlechts nicht gegeben, sie sei vielmehr immer von „Gewalt“ geprägt gewesen. Die Bibel spricht aber nicht von Gewalt, sondern von „unreinen Begierden“ und „bösen Gedanken“, wozu an erster Stelle die „Unzucht“ steht (Mk 7,21).

Die katholische Kirche hat sich (im Gegensatz zur evangelischen) auch gegen die Einführung der „Ehe für alle“ gewendet, das heißt gegen ein Recht auf Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare seitens des Staates, was als erstes Land die Niederlande 2001 ermöglichten. Derzeit ist sie weltweit in 28 Ländern möglich, in der großen Mehrheit der Länder also nicht. Wenn gleichgeschlechtliche Menschen heiraten dürfen, dann spricht auch nichts gegen eine „Vielehe“ (wie im Islam) oder gegen eine Poly-Amorie (viele in wechselnden Partnerschaften).

Nach katholischem Verständnis ist die im ‚Paradies‘ vom Schöpfer gestiftete Ein-Ehe von Mann und Frau die einzige Form für das sexuelle Zusammenleben („Ein-Fleisch-Sein“: Gen 2,24); zugleich ist es das einzige Vorausbild für das ‚übergeschlechtliche‘ Ein-Geist-und-ein-Fleisch-Sein von Christus und der Kirche im neuen und ewigen „Bund des Blutes“ Christi, der so mit dem Ehebund im Willen des Schöpfers im „Anfang“ gründet (Mt 19,4-8; 26,28; Eph 5,31f).

 

Der Geist der Keuschheit als Weisheit des Ganzen

Der Gegensatz zur Unzucht und zur ‚ungeordneten‘ Liebe ist die Tugend der ‚Keuschheit‘, auf Russisch celo-mudrije, von celyi (ganz) und mudryj (weise). Um den „Geist der Keuschheit“ wird in der Orthodoxie in der siebenwöchigen Großen Fastenzeit vor Ostern täglich mit einem kurzen Gebet des Diakons Ephräm (um 306–373) gebetet, was der russisch-orthodoxe Theologe Alexander Schemann so kommentiert:

„Jede Sünde, alles Böse ist immer Verengung, Abfall, Abstieg. Ein Mensch, der von der Leidenschaft beherrscht wird…, ist ein Mensch, der sich selbst als Ganzheit verloren hat, der sein gesamtes Ganzes irgendeinem Teil unterworfen hat. Und wenn ein Teil sich mit dem Ganzen verwechselt, wird der Mensch krank, geschädigt, verelendet. In der Verletzung der Ganzheit, in der Unterwerfung seiner selbst unter etwas Partielles sieht das Christentum den Fall des Menschen, seine Sünde. Und Christi Einladung ist dann eine Einladung an den Menschen, seine Ganzheit wiederherzustellen, zum vollen Menschsein zurückzukehren. Ganzheit aber führt zur Weisheit. (…) Weisheit ist möglich nur dort, wo Ganzheit herrscht, wo weder das Auge noch das Herz noch das Gewissen noch das Bewusstsein vom Eigensinn des Partiellen vergiftet ist. Keuschheit, celo-mudrije, das heißt die ganzheitliche Weisheit und die Weisheit des Ganzen, ist die Grundlage, ist die tiefe Inspiration der christlichen Auffassung vom Menschen. Und diese Grundlage, der Geist der Keuschheit ist das wichtigste Anliegen des Gebets der Großen Fastenzeit…“ (Das Gebet Ephräms des Syrers, Einsiedeln 2019, 49-54: Über die Keuschheit, 51ff).

Inbild dieser heiligen, ganzheitlichen Keuschheit ist im katholischen (und orthodoxen) Glauben die ohne ‚Erbsünde‘ empfangene Jungfrau und Gottesmutter als ‚Sitz der Weisheit‘ und neue Eva. Sie ist der Gegensatz zu aller ichbezogenen Verengung und Verletzung der Ganzheit, da Gott ihren Mutterschoß „weiter gemacht hat als die Himmel, denn dieser hat seinen eigenen Schöpfer aufgenommen“ (Madonna Platytera, von platys = weit).

 

Orthodoxe Kirche: Homosexuelle Beziehungen sind sündhaft

Nach dem Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion Alfejew, ist die Segnung homosexueller Partnerschaften nicht möglich (Website des Außenamtes des Moskauer Patriarchats). In diesem Punkt stimmten die offizielle Lehre der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche überein. „Unter keiner Bedingung können wir die gleichgeschlechtliche Partnerschaft für das Ehebündnis mit allen daraus folgenden Konsequenzen halten.“

Ein Segen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften sei aus diesem Grund nicht möglich.  Homosexuelle Beziehungen sind dem Metropoliten zufolge zudem auch eine „sündhafte Lebensweise“. Hilarion wörtlich: „Die gleichgeschlechtliche Partnerschaft ist unzulässig, sie ist vom Gesichtspunkt der Kirche die Sünde.“

Damit sei aber nicht ausgeschlossen, dass homosexuelle Menschen einzeln einen Segen empfingen: „Wir segnen nicht ihre sündhafte Lebensweise, wir segnen den Menschen“, erklärte der Metropolit. „Wir sagen ihm: Wenn du dich retten möchtest, musst du auf die sündhafte Lebensweise verzichten.” Wenn Homosexuelle den Priester jedoch bitten würden, den Segen zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft zu geben, „sagt der Priester natürlich nein“ (DT, 30. März 20021).

 

Evangelische Kirche: Nach langem Ringen „Ja“ zur Trauung

In der Württembergischen Landeskirche gab es ein langes Ringen zwischen den entgegengesetzten Lagern der „offenen Kirche“ und der „Pietisten“. Das erste gleichgeschlechtliche Paar profitierte im Mai 2020 von einem hart umkämpften Kompromiss: Es gab einen so genannten Segnungsgottesdienst, aber „Worte wie Ehe oder Trauung werden in diesen Fällen vermieden“, so Pfarrer Christoph Doll, der sich „für die bisher sehr hartherzige Linie in unserer Landeskirche oft geschämt hat“.

Allerdings bieten nach Angaben der Landeskirche bislang nur 23 der rund 1300 württembergischen Gemeinden Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare an, das sind keine zwei Prozent. Dazu müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein: Die jeweilige Gemeinde braucht die Zustimmung des Oberkirchenrats, der Kirchengemeinderat muss sich mit einer Dreiviertelmehrheit für die Segnung aussprechen, alle Pfarrer einer Gemeinde müssen zustimmen, und auch die Gemeindeglieder müssen durch Veranstaltungen über die Pläne informiert werden.

Gefeiert wurde der erste Segnungsgottesdienst in der Leonhardskirche, der zweitältesten Kirche in Stuttgart (erbaut 1463–66). Lange vor der offiziellen Einführung der Reformation wurde dort 1520 die erste evangelische Predigt gehalten. Die gottesdienstliche Begleitung von Paaren gleichen Geschlechts hat allerdings die Evangelische Kirche im Rheinland schon im Jahr 2000 eingeführt, also vor der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft und lange vor der vom Bundestag 2017 beschlossenen „Ehe für alle“. In der badischen Landeskirche gibt es die Trauung für gleichgeschlechtliche Paare seit 2016, ihr Anteil liegt bei unter einem Prozent (jährlich zwischen 20 und 30 Paare).

 

Evangelische Kirche bittet um Vergebung für angetanes „Unrecht“

Anfang Juli 2019 bat der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Otfried July, vor dem Kirchenparlament um Vergebung für das „Unrecht“, das seine Landeskirche gleichgeschlechtlich orientierten Menschen angetan habe: „Für viele schmerzhafte Erfahrungen, die homosexuelle Menschen im Rahmen der Kirchen machen mussten, bitten wir um Vergebung. Wir bedauern zutiefst, dass es Lieblosigkeit und Ausgrenzung in Gemeinden gibt und gruppenbezogene Vorurteile, die die christliche Annahme verstellen.“

Diese Vergebungsbitte wurde mit den Worten kommentiert: „Endlich ist auch in unseren evangelischen Kirchen erkannt worden: ‚Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm/in ihr‘ (1 Joh 4, 16). Und Liebe ist nun einmal vielfältig und begegnet in ganz unterschiedlichen Konstellationen. Gerade diese noch recht junge Erkenntnis verpflichtet dazu, sich der eigenen Schuldgeschichte zu stellen und die Opfer um Vergebung zu bitten“, so der Berliner Pfarrer Alexander Brodt-Zabka (Newsdesk, 8. August 2019).

Auch für schwule Pfarrer und Pfarrerinnen hat sich die evangelische Kirche geöffnet. Bis weit in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden sie noch aus dem Amt entfernt unter Verlust ihrer Versorgungsbezüge. Ins katholische Priesterseminar dürfen homosexuell veranlagte Männer dagegen nicht aufgenommen werden.

 

Homosexuell veranlagte Männer von Priesterweihe ausgeschlossen

In der entsprechenden Instruktion von Papst Benedikt XVI. vom 4. November 2005 heißt es zur Begründung: „Im Sakrament der Weihe wird der Kandidat durch den Heiligen Geist in neuer und spezifischer Weise Jesus Christus gleichgestaltet: In der Tat verkörpert der Priester sakramental Christus, das Haupt, den Hirten und den Bräutigam der Kirche. Auf Grund dieser Gleichgestaltung mit Christus muss das ganze Leben des geweihten Dieners von der Hingabe seiner ganzen Person an die Kirche und von einer authentischen Hirtenliebe durchdrungen sein.“

Daraus folgt, dass der Kandidat für das Weiheamt „zur affektiven Reife“ gelangt sein müsse, die dazu befähigt, „eine korrekte Beziehung zu Männern und zu Frauen zu pflegen, und in ihm einen wahren Sinn für die geistliche Vaterschaft gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft, die ihm anvertraut wird, zu entwickeln“. Der Katechismus der Katholische Kirche (1992) lehre bezüglich der homosexuellen Handlungen, „dass sie in der Heiligen Schrift als schwere Sünden bezeichnet werden. Die Überlieferung hat sie stets als in sich unsittlich und als Verstoß gegen das natürliche Gesetz betrachtet. Sie können daher in keinem Fall gebilligt werden.“

„Die tief sitzenden homosexuellen Tendenzen, die bei einer gewissen Anzahl von Männern und Frauen vorkommen, sind ebenfalls objektiv ungeordnet und stellen oft auch für die betroffenen Personen selbst eine Prüfung dar. Diesen Personen ist mit Achtung und Takt zu begegnen; man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen. Sie sind berufen, den Willen Gottes in ihrem Leben zu erfüllen und die Schwierigkeiten, die ihnen erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen.“

Und weiter: „Die Berufung ist ein Geschenk der göttlichen Gnade, das durch die Kirche, in der Kirche und zum Dienst an der Kirche empfangen wird. Der Mensch schenkt sich Gott freiwillig, indem er in Liebe auf seinen Ruf antwortet. Der bloße Wunsch, Priester zu werden, reicht nicht aus, und es besteht kein Recht darauf, die heilige Weihe zu empfangen. In ihrer Verantwortung, die notwendigen Voraussetzungen für den Empfang der von Christus eingesetzten Sakramente zu bestimmen, steht es der Kirche zu, die Eignung dessen festzustellen, der in das Priesterseminar eintreten will, ihn während der Jahre der Ausbildung zu begleiten und ihn zu den heiligen Weihen zu rufen, wenn erwiesen ist, dass er über die erforderlichen Eigenschaften verfügt.“ Die vier Ausbildungsdimensionen – menschlich, geistlich, wissenschaftlich und pastoral – müssten sich dabei gegenseitig ergänzen, wobei die menschliche mit der Erlangung der affektiven Reife das „unverzichtbares Fundament der ganzen Ausbildung“.

 

Deutsche katholische Kirche „riecht in Rom evangelisch“

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing (Limburg), hat am 28. April die für den 10. Mai geplante bundesweite öffentliche Segensaktion für homosexuelle Paare als nicht hilfreich kritisiert, sie sei kein „weiterführender Weg“. Segnungsgottesdienste hätten ihre eigene theologische Würde und pastorale Bedeutung und „sind nicht als Instrument für kirchenpolitische Manifestationen oder Protestaktionen geeignet“.

Eine Woche zuvor hat Bätzing eingeräumt, dass es in Rom Vorbehalte gegenüber der Kirche in Deutschland gebe: „Die deutsche katholische Kirche riecht für viele der Offizialen in Rom evangelisch“, dies wohl „nicht auf der obersten Ebene der Präfekten“, aber bei den Offizialen: „Da sträuben sich in Rom die Nackenhaare oder man kriegt Gänsehaut.“

Ungeachtet des „Nein“ der Glaubenskongregation zur Einladung zu einem gemeinsamen Abendmahl beziehungsweise zu einer gemeinsamen Eucharistiefeier von evangelischen und katholischen Christen beim Ökumenischen Kirchentag (ÖKT) in Frankfurt/Main Mitte Mai bekräftigte Bätzing erneut seinen Willen zu einer Annäherung an die evangelische Kirche. „Wer im Gewissen glaubt, was gefeiert wird in der anderen Konfession, der wird auch hinzutreten können und nicht abgewiesen.“ Das sei „eine Praxis, wie sie landauf, landab gepflegt wird“ und eigentlich „nichts Neues“. Neu sei vielleicht aber, dass darüber gesprochen werde. Er rechne hier jedoch „nicht mit einem Einspruch Roms“; die für den ÖKT geplanten Schritte zur konfessionsübergreifenden Gastfreundschaft am Altar habe er auch schriftlich nach Rom kommuniziert.

 

Im Geist Martin Luthers: Reformation oder Reform?

Im September 2020 war das Theologen-Votum „Gemeinsam am Tisch des Herrn“, dem sich Bätzing angeschlossen hat, von Rom ausdrücklich als unzureichend verworfen worden. Die Theologin Barbara Hallensleben (Freiburg/CH) kritisierte, dass in dem Votum die Differenz zwischen Theologie und Kirche, wissenschaftlicher Rationalität und gläubiger Kirchengemeinschaft „nicht hinreichend wahrgenommen“ werde: „Die theologische Reflexion lässt nicht erkennen, dass sie dem Urteil der Kirche beratend zur Seite steht und sich ihm insofern unterwirft…, dass ihr Gegenstand das Subjekt Kirche ist, das sich als Bekenntnisgemeinschaft im Glauben eigenständig artikuliert“ (Nach uns die Sintflut, HerKorr 4/2021, 36-39, 36f).

Mit anderen Worten: Die heutige wissenschaftliche Theologie versteht sich nicht als Dienerin der Kirche, sondern als ihre Herrin („die besseren Argumente“ der jeweils aktuellsten „Wissenschaft“). Sie befindet sich damit ebenso im „Modus“ der Rebellion wie die segensbereiten Seelsorger und Bischof Bätzing sowie – vor 500 Jahren auf dem Wormser Reichstag – der bereits exkommunizierte Martin Luther als „Wegbereiter der Gewissensfreiheit“, der keine seiner inkriminierten Schriften widerrief, er sei denn, er wäre überzeugt worden durch „die besseren Argumente“ (wer stellt die fest?). Das Ergebnis dieses „Bauernaufstands des Geistes“ war die Zerstörung des „Begriffs“ Kirche, so Nietzsche im Aphorismus n. 358 (Die Fröhliche Wissenschaft).

Die „skeptische“ beziehungsweis „historisch-kritische“ Exegese hat den Glauben etwa des ehemals katholischen Philosophiehistorikers Kurt Flasch ebenfalls nachhaltig zerstört; denn sie habe „die Einheitlichkeit [der Bibel] zersetzt“; und wegen der Reformation gebe „es auch die einheitliche Kirche nicht mehr; sie hat sich gerade darüber zerstritten, welches die Grundwahrheit der Schrift sei“: „Die ‚Kirche‘, die dem Kanon Autorität verliehen und einzelne altchristliche Texte zum Gotteswort erhoben und andere ausgeschieden hat, ist heute eine partikulare Vereinigung. Sie hat das Privileg der Schriftauslegung verloren, die sie immer noch beansprucht“ (Warum ich kein Christ bin? Bericht und Argumentationen, München ³2013, 1254; 63; 56f).

 

Katholische Kirche in Treue zur Bibel und zur Tradition

Die katholische (universale) Kirche beansprucht auch 2021, die wahre Kirche Christi zu sein und deshalb bei der Auslegung der Heiligen Schrift als Wort Gottes und „Offenbarung“ seines Willens das „letzte Wort“ zu haben (Dei Verbum 9 – 12). Luther hat dies 1521 auch beansprucht: Er wollte die Kirche nach dem Willen Gottes, wie er meinte, ihn verstanden zu haben, umbauen (‚reformieren‘). Herausgekommen ist heute die totale Anpassung der sich auf ihn berufenden Kirche an die ‚Welt‘, wovor das Neue Testament gerade warnt (Röm 12,2; 1 Joh 2,15-17); denn mit dieser Selbstsäkularisierung macht sich die Kirche überflüssig, wohin heute auch die ‚reformorientierten‘ Teile der katholischen Kirche im deutschsprachigen Raum tendieren.

Die Kunst, weltoffen zu sein ohne falsche Verweltlichung kann nur gelingen im Erfülltsein vom Heiligen Geist, wenn der Körper (in der ‚Körperschaft‘ der Kirche) als ganzer heiliger „Tempel des Heiligen Geistes“ ist (1 Kor 6,19). Eva wird aus Adam „gebaut“ (Gen 2,21) wie der Tempel, aber sie ist vom Schlangengeist der ‚Welt-Klugheit‘ erfüllt (Gen 3,1-6; 2 Kor 11,2f). Davor vrsucht das römische Lehramt die (deutsche) Kirche in Treue zu Bibel und Tradition zu bewahren. Inzwischen mehren sich die Stimmen, wonach Warnungen vor einem Schisma nicht unbegründet seien.

Diese Gefahr bestehe nach Ansicht des 90-jährige Kardinals Camillo Ruini, langjähriger Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz, durchaus. Der australische Kardinal George Pell mahnte die deutschen Bischöfe die Lehren der Schrift und die Lehren der Kirche aufrechtzuerhalten. Ein Teil der Kirche in Deutschland gehe in die entschieden falsche Richtung. Der Dogmatiker Manfred Hauke (Lugano) wurde noch deutlicher:„Nach der klaren Lehre der Heiligen Schrift und der kirchlichen Tradition, die damit der antiken ,Lebenswirklichkeit des Hellenismus widersprechen, ist der geschlechtliche Umgang von Personen des gleichen Geschlechtes eine schwere Sünde, die von der Teilnahme am ewigen Leben ausschließt. Das segnen zu wollen, was den göttlichen Fluch auf sich herabzieht, ist ein geistliches Verbrechen. Es beinhaltet von der Sache her einen Abfall von der göttlichen Offenbarung und von der verbindlichen Lehre der Kirche. (…) Wer eine Sünde segnen will, spaltet sich ab von der Kirche“ (vgl. Regina Einig, DT, 13. Mai, 2021).

 

Klaus W. Hälbig

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Kommentare: 1
  • #1

    Karlheinz Heiss (Freitag, 29 Dezember 2023 11:56)

    Papst erlaubt Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren...
    Und nun, Herr Hälbig?