Corona und Pascha: Natur und Übernatur

Bild: Coronakrise und Klimakrise gehören zu den Zeichen der Zeit, die im Licht des Evangeliums zu deuten sind: Der Gekreuzigte als Zeiger (zur Ewigkeit) eingebunden ist das Uhrwerk unserer Zeit – auf Kacheln gemalte moderne Darstellung im Kräutergarten des ehemaligen Dominikanerinnenklosters Kirchberg bei Sulz am Neckar in Württemberg.

 

Die Coronapandemie 2020 hat die Kirchen an Ostern weltweit leer gefegt wie keine Seuche je zuvor. Tendierte die Klimakrise, die 2019 im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand, zur Vergötterung der Natur als ‚Mutter Erde’, so macht die Coronakrise deutlich, dass wir ebenso Teil der Natur sind wie die Viren und damit unausweichlich Krankheit und Tod ausgeliefert. Der medizinische Fortschritt hat bei Krankheiten und insbesondere Seuchen zwar viel erreicht; an der Abschaffung des Todes, etwa durch „Jungbrunnentherapien“, so dass der Mensch schon auf Erden eine gewisse ‚Unsterblichkeit’ erlangte, ist bisher aber noch die fortgeschrittenste Altersmedizin gescheitert.

 

Angesichts der raschen Ausbreitung der Pandemie und der damit verbundenen Schreckensbilder kollektiven Sterbens wurden viele Menschen unerwartet mit der tabuisierten Endlichkeit ihres sterblichen Lebens konfrontiert: „Für viele ist der Tod eine reale Möglichkeit geworden – längst nicht nur für Alte und so genannte Risikogruppen. Jeder kann sich infizieren. Jeder kann sterben“ (Andreas R. Batlogg). Einmal mehr macht die Natur deutlich, dass sie nicht einfach vom Menschen beherrschbar ist. Und die Pandemie macht deutlich, dass die Natur nicht einfach gut ist, sondern aus biblische Sicht erlösungsbedürftig.

 

 

Tod und Leben: Eva und Maria

Der theologische Begriff für die allgemeine Erlösungsbedürftigkeit heißt ‚Erbsünde’, die christlich auf die ‚Ursünde’ durch den ‚Sündenfall’ im ‚Paradies’ zurückgeführt wird (Gen 3,1-6). „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten“ (Röm 5,12). Einige biblische Stellen machen direkt Eva und damit die ‚Frau’ für den Tod verantwortlich: „Von einem Weibe nahm die Sünde ihren Anfang, und ihretwegen müssen wir alle sterben“ (Sir 25,24). Auch das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) zitiert noch ein entsprechendes Wort des Hieronymus: „Der Tod kam durch Eva, das Leben durch Maria“ (Lumen gentium 56).

In seiner Studie zu „Maria, die neue Eva“ (2011) verweist Markus Hofmann auf eine andere Stelle bei Jesus Sirach: „Es scheint so, als werde in Sir 25,24 die alleinige Schuld an der Existenz der Sünde und dem daraus folgenden Tod der Frau angelastet. Dem steht aber z. B. Sir 40,1-11 entgegen, wo fünfmal vom Tod die Rede ist, ohne dass ein Bezug zum Sündenfall hergestellt wird. Vielmehr erscheint der Tod als Teil der insgesamt guten göttlichen Ordnung, damit vor allem der Frevler zu seiner Strafe findet“ (167).

In Sir 40,10f heißt es: „Für den Frevler ist das Übel erschaffen, und seinetwegen kommt die Vernichtung. Alles, was von der Erde stammt, kehrt zur Erde zurück, was aus der Höhe stammt, zur Höhe.“ Weil der Tod aber auch den Gerechten und Heiligen trifft, ist die Natur eben nicht einfach eine ‚gute göttliche Ordnung’, sondern nach dem Sündenfall ambivalent und erlösungsbedürftig. Die jüdische Mystik macht dies am monatliche Verlust des Lichts von Luna fest, dem kosmischen Sinnbild für die (‚weibliche’) Körperwelt. Das widerspricht insofern nicht der christlichen Deutung, als Eva von Gott ja aus der „Rippe“ des im „Tiefschlaf“ liegenden Adam „gebaut“ wird (Gen 2,21f), womit symbolisch nichts anderes als der Sichelmond gemeint ist.

Zusammen mit Gaia (der Erde) bildet der Erdtrabant eine symbolische Einheit im Sinn der ‚Großen Erdmutter’ oder Magna Mater (vgl. lat. materia) als Urbildes des Weiblichen. Demgegenüber steht Maria als Mutter Gottes und Urbild der Kirche auf Luna (vgl. Offb 12,1): Mit ihrer jungfräulichen Empfängnis und Geburt Christi, die sich in der Taufgeburt der Gläubigen aus dem Wasser und dem Geist fortsetzt, übersteigt sie das natürliche Prinzip von Geburt und Tod auf übernatürliche Weise. In diesem Sinn ist sie die ‚neue (erlöste) Eva’, ebenso auch die Kirche (vgl. 2 Kor 11,2), deren Urbild sie ist.

 

Schöpfung und Erlösung: Sieben und acht

Die Christenheit feiert ihr höchstes Fest Ostern im Anschluss an das jüdische Paschafest am ersten Sonntag nach dem Frühlings-Vollmond. „Aus apostolischer Überlieferung, die ihren Ursprung auf den Auferstehungstag Christi zurückführt, feiert die Kirche Christi das Paschamysterium jeweils am achten Tage, der deshalb mit Recht Tag des Herrn oder Sonntag genannt wird“ (Liturgiekonstitution Sacrosancrum Concilium 106). Der Sonn-tag der Auferstehung Jesu nach dem Sabbat/Samstag als ‚7. Tag’ (Gen 2,2f) ist der ‚8. Tag’ oder wieder der „erste Tag der Woche…, als eben die Sonne aufging“ (Mk 16,2).

Sonne und Mond sind in der Bibel und in den alten Kulturen aber nicht einfach nur die für das Leben auf der Erde maßgeblichen Gestirne (Gen 1,14-17). Sie haben vielmehr eine entscheidende symbolische Bedeutung als ‚männliche’ Ostersonne, die in Psalm 19,6 „wie ein Bräutigam“ ihren Jahreslauf im Frühling beginnt, und als ‚weiblicher’ Ostermond oder Luna, die die „bis heute in Geburtswehen liegende“ (Röm 8,22) und leidende Schöpfung repräsentiert.

Erst vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb um das richtige Osterdatum in der frühen Kirche so hart gerungen wurde, und warum die Heilsbotschaft von der österlichen Erlösung der Welt (aus der ‚Erbsünde’) im Heilstod Jesu nur im Österlichen Triduum (Dreitag) vom Karfreitag (6. Schöpfungstag) über den Karsamstag bis zum Sonntag (8. Tag) nach dem Frühlings-Vollmond gefeiert wird.

 

Der Sonntag: Zusammenfassung des christlichen Lebens

Im Apostolischen Schreiben Dies Domini (Tag des Herrn) über die Heiligung des Sonntags (1998) von Papst Johannes Paul II. heißt es: „Der spirituelle und pastorale Reichtum des Sonntags, wie er der Kirche von der Überlieferung anvertraut wurde, ist wirklich großartig. Der Sonntag in der Vollständigkeit seiner Bedeutungen und Implikationen ist in gewissem Maße eine Zusammenfassung des christlichen Lebens und Voraussetzung, es richtig zu leben. (…) Er ist die Botschaft, dass die Zeit, die vom Auferstandenen und vom Herrn der Geschichte bewohnt wird, nicht der Sarg unserer Illusionen, sondern die Wiege einer stets neuen Zukunft ist, die Gelegenheit, die uns gegeben wird, um die flüchtigen Augeblicke dieses Lebens in Samen der Ewigkeit umzuwandeln.“

„Der Sonntag ist eine Einladung, nach vorne zu schauen, der Sonntag ist der Tag, an dem die christliche Gemeinde ihren Ruf ‚Marána tha: Unser Herr, komm!’ (1 Kor 16,22) an Christus richtet. In diesem Ruf der Hoffnung und Erwartung wird sie zur Begleitung und Stütze der Hoffnung der Menschen. Und von Christus erleuchtet, geht sie Sonntag für Sonntag dem Sonntag entgegen, der kein Ende kennt, dem Sonntag des himmlischen Jerusalem, wenn die mystische Stadt Gottes in ihren Grundrissen fertiggestellt sein wird, die ‚weder Sonne noch Mond braucht, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm’ (Offb 21,23)“ (81; 84).

Ostern ist das Fest der Erlösung der Welt, weil in Jesu Heilstod am Kreuz in seinem vergossenen „Blut des Bundes“ (Mt 26,28; Ex 24,8; Eph 2,13) der neue und ewige Liebesbund wieder geschlossen wird, und zwar mit der im Blut erworbenen ‚makellosen Braut’ der einen Kirche aus Juden und Heiden (Eph 2,11-22; 5,25-32), repräsentiert durch Maria-Eklesia unter dem Kreuz (Joh 19,25-27). Beim ‚ersten Zeichen’, dem (eucharistischen) Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11), ist Maria „als Braut und Mutter dargstellt. Sie ist die Braut des menschgewordenen Wortes und die Mutter der Kirche.“ Der „Ausdruck ‚Frau’ [Joh 2,4; 19,26] macht aus ihr die ‚neue Eva’, die ‚Frau’ des Neuen Bundes, die ‚Frau’ der messianischen Hochzeit, die ‚Frau’, welche die ‚Mutter Sion’, des neuen Israels, das ist die Kirche, ist“ (Stefano Manelli, Biblische Mariologie, 313; 336).

 

Israel und Kirche anstelle der bräutlichen Schöpfung

Papst Johannes Paul II. schlägt in seinem Apostolisches Schreiben Mulieris Dignitatem (1988) die Brücke zwischen dem „Urbild“ der „Frau“, die der Schlange (als Symbol der Erbsünde) den Kopf zertritt (Gen 3,15), und dem Bild der himmlischen „Frau“ auf der Mondsichel, mit der Sonne bekleidet und von zwölf Sternen gekrönt (Offb 12,1), „eine Frau in kosmischer Dimension, auf das gesamte Schöpfungswerk bezogen“ (30). Wegen des ‚Sündenfalls’ als ‚Bundesbruch’ tritt zunächst die Jungfrau Israel (Jes 62,4f) und mit Ostern-Pfingsten dann die Jungfrau-Mutter Kirche an die Stelle der ursprünglich bräutlichen, mit dem Fall aber der Vergänglichkeit und ‚Herrschaft des Todes’ unterworfenen Schöpfung (Röm 8,20-23; Hebr 2,14f).

Diese im Heiligen Geist lebendige Kirche wird aus der Seitenwunde des am Kreuz für das Heil der Welt gestorbenen Gekreuzigten geboren, und zwar analog zur Erschaffung der Ersten Frau aus Adams ‚Rippe’ oder ‚Seite’ (Gen 2,21f). So erklärt die Liturgiekonstitution: „Denn aus der Seite des am Kreuz entschlafenen Christus ist das wunderbare Geheimnis der ganzen Kirche hervorgegangen“ (SC 5). Hervorgegangen ist sie im „Blut“ (Eucharistie) und „Wasser“ (Taufe) aus der geöffneten Seite (Joh 19,34), verbunden mit dem im Aushauchen des irdischen Lebens ‚überlieferten’ Geist des ewigen Lebens (Joh 19,30). Der Franziskaner Stefano Manelli schreibt mit Bezug auf den Kirchenschriftsteller Origenes (184–253):

„’Das Fleisch Christi hat in den Qualen des Kreuzes die Kirche gezeugt, als aus jenem das Blut und das Wasser flossen’. Die Frucht des Leidens und des Todes Jesu ist die Geburt des neuen Volkes Gottes, des neuen Israels, das die Kirche ist. ‚Aber in dieser Geburt der Kirche ist es Maria, die die Rolle der Mutter hat’, bemerkt Ignace de la Potterie, weil es ihre göttliche Mutterschaft ist, die sich auf die ganze Kirche ausdehnt“ (337).

Auch bei der ‚Geburt der Kirche’ mit der Geistsendung durch den Auferstandenen an Pfingsten (griech. pentecoste = der „Fünfzigste“), wo Maria in der Mitte der Zwölf Apostel zum Gebet versammelt ist (Apg 2,1-4), dehnt sich ihre göttliche Mutterschaft auf die Kirche aller Zeiten aus. Die 50 Tage zwischen Ostern und Pfingsten werden dabei „in der Liturgie wie ein einziger Festtag gefeiert“ (Gotteslob, 317). Die Zahl 50 als 7 x 7 + 1 übersteigt ebenso wie die Zahl 8 (7 + 1) die Siebenzahl der Schöpfung, die wiederum „die Zahl einer Mondphase“ ist (Joseph Ratzinger).

 

Luna: Sinnbild des Zeitlichen und Weiblichen

Der Mond oder besser Luna ist das „Maß für die Zeiten“ (Ps 104,19); wegen ihres dauernden Phasenwechsels ist sie auch kosmisches Sinnbild für die Vergänglichkeit; und wegen der Entsprechung von Mondzyklus und weiblichem Menstruationszyklus repräsentiert sie als „Urgrund aller Geburt“ (Johannes Lydos) auch die (unerlöste) Weiblichkeit der ganzen Schöpfung. Während die Schöpfung von der Zahl 7 oder 4 x 7 als Mondzyklus und damit als ‚Monat’ bestimmt ist (eine Schwangerschaft dauert 40 x 7 Tage oder 10 Mondmonate), so steht die Erlösung im Zeichen der aufgehenden Ostersonne und der Zahl 8.

Im Hebräischen werden die Worte für Öl, schemen, und für Acht, schmonah, gleich geschrieben: Der Geist-Gesalbte (hebr. Maschiach) ist daher der „König des achten Tages“ (Friedrich Weinreb). Sprachlich besteht auch ein enger Zusammenhang zwischen den Zahlen 8 und 50 und den Worten für ‚Bräutigam’ und ‚Braut’: „Beide haben die Cheth, die Acht, und die Nun, die Fünfzig“ (s. o. Geleitworte 8).

Die Zahl 50 als 7 x 7 + 1 übersteigt ebenso wie die Zahl 8 (7 + 1) die Siebenzahl der Schöpfung, die wiederum „die Zahl einer Mondphase“ ist (Joseph Ratzinger). Der Mond oder (weiblich) Luna ist das „Maß für die Zeiten“ (Ps 104,19); wegen ihres dauernden Phasenwechsels ist sie auch kosmisches Sinnbild für die Vergänglichkeit; und wegen der Entsprechung von Mondzyklus und weiblichem Menstruationszyklus repräsentiert sie als „Urgrund aller Geburt“ (Johannes Lydos) auch die Weiblichkeit der ganzen Schöpfung, die „bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22).

 

Der Messias als König und Bräutigam

Während die Schöpfung von der Zahl 7 oder 4 x 7 als Mondzyklus und damit als ‚Monat’ bestimmt ist (eine Schwangerschaft dauert 40 x 7 Tage oder 10 Mondmonate), so steht die Erlösung im Zeichen der aufgehenden Ostersonne und der Zahl 8. Im Hebräischen werden die Worte für Öl, schemen, und für Acht, schmonah, gleich geschrieben: Der Geist-Gesalbte (hebr. Maschiach) ist daher der „König des achten Tages“ (Friedrich Weinreb). Sprachlich besteht auch ein enger Zusammenhang zwischen den Zahlen 8 und 50 und den Worten für ‚Bräutigam’ und ‚Braut’:

„Das Wort für die Braut, die weibliche Verlobte, ist ‚kalla’, geschrieben Kaf-Lamed-He, also 20-30-5. (…) Dieses Wort ‚kalla’ enthält also als Stamm die 20-30, das Wort ‚alles’, das … zugleich auch die 50 ausdrückt, die 50, die der folgende Tag, der achte Tag ist, der Zustand nach der Vollendung des siebten Tages [der Schöpfung] in der siebenmal Sieben. Es ist der 50. Tag [= Pfingsten], der die Offenbarung bringt nach der Befreiung [an Ostern] aus der Knechtschaft in der Welt der Gegensätze, in Ägypten.“

„Das Wort für Hochzeit ist denn auch ‚chathana’, geschrieben Cheth-Taw-Nun-He, 8-400-50-5. Es ist eine Form des Wortes ‚chathan’ [Bräutigam] oder … das Wort für den männlichen Verlobten ist eine Form des Wortes ‚Hochzeit’. Beide haben die Cheth, die Acht, und die Nun, die Fünfzig. (…) Bei alledem ist die Frau nicht nur ein gleichwertiger, sondern auch ein unentbehrlicher Partner. Sie ist – das siebenmalige Herumführen [bei der Hochzeitsfeier] um den Verlobten als Kern weist darauf hin – die Materie, die den Kern umhüllt, und nur durch beider Zusammensein ist die Existenz der Welt möglich“ (Friedrich Weinreb, Schöpfung im Wort).

 

Vorausbilder des christlichen Ostern im Alten Testament

Pascha’ bedeutet der ‚Vorübergang des Herrn’: Er geht an den Häusern der Israeliten in der Osternacht vorüber, weil an den Türen das Blutzeichen des geschlachteten Paschalammes als Schutzzeichen angebracht ist: „Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen, und das vernichtende Urteil wird euch nicht treffen, wenn ich in Ägypten dreinschlage“ (Ex 12,13). Das Blutzeichen an der Tür (hebr. dalet) erinnert an die neue Geburt (hebr. toled). Die Erzählung vom jüdischen Pascha mit dem Auszug des Bundesvolkes aus Ägypten gehört zu den liturgischen Lesungen auch der christlichen Osternachtfeier, in der das Taufwasser durch das dreimalige Einsenken der am Osterfeuer entzündeten Osterkerze im Taufbecken geweiht wird: als ‚Vermählung von Feuer und Wasser’ oder Sonne und Mond.

Die Feier erinnert an die Heilstaten Gottes in der Heilsgeschichte als Vorbereitung (praeparatio) des christlichen Pascha-Mysteriums von Tod und Auferstehung Jesu. In der Liturgie werden sie alle als Vorausbilder und Hinführung zu diesem ‚Geheimnis unserer Erlösung’ gedeutet. Dazu gehört die Sieben-Tage-Schöpfung (Gen 1) ebenso wie die Rettung in der Arche Noah, dem Vorausbild der Kirche als ‚Schifflein Petri’, oder eben auch der Exodus Israels aus dem ‚Sklavenhaus’ Ägypten durch das ‚Rote Meer’ (als Geburtsprozess, s. u.).

Wie bei der Sintflut Gottes Gericht fast die ganze Menschheit ertränkt, so wird beim Auszug der ‚Ägypter’ geschlagen: „In dem Auszug des erwählten Volkes aus dem Lande der Knechtschaft (ist) das Heil der Kirche geheimnisvoll vorgebildet“ (Konzilserklärung Nostra aetate 4). Im Exsultet, dem österlichen Lobgesang, heißt es, diese Nacht scheidet die Gläubigen „von den Lastern der Welt“. Das ist eine Umschreibung für die allgemeine Erlösungsbedürftigkeit der Welt aufgrund der ‚Ursünde’ und ‚Erbsünde’. Wird diese Lehre unterschlagen, dann fehlt der christlichen Erlösungslehre ihr Fundament

 

Die Rettung aus der Sintflut als Vorausbild der Taufe

Das biblische Weisheitsbuch (um die Zeitenwende) sagt zur Arche Noah, die göttliche Weisheit habe die wegen der Gewalttat des ungerechten Brudermörders Kains überflutete Erde „wieder gerettet und den Gerechten (Noah) auf wertlosem Holz durch die Wasser gesteuert“ (Weish 10,4). „Denn Segen ruht auf dem Holz, durch das Gerechtigkeit geschieht“ (Weish 14,7). Das ‚Holz’ wurde von den Kirchenvätern auf das Holz des Kreuzes bezogen, wie ja auch die Sintflut ein Vorausbild der christlichen Taufe ist als Zeichen des neuen und ewigen Bundes. Wegen der Auferstehung Jesu am Sonntag als ‚8. Tag’ wurde die Taufe üblicherweise in oktogonalen Becken und Baptisterien gespendet, so wie in der Arche acht Personen gerettet werden – mit Noah, dem „Verkünder der Gerechtigkeit“,  als „Achtem“ (2 Petr  2,4f; vgl. 1 Petr 3,20f).

Der Name Noah besteht aus den hebräischen Buchstaben Nun und Cheth, 50 und 8. Noah ist der zehnte Stammvater nach Adam und so der ‚neue Adam’, mit dem Gott seinen Bund erneut schließt, wie dann später wieder mit Abraham, der zehnten Generation nach Noah, im Zeichen der Knabenbeschneidung am ‚8. Tag’ (Gen 17; 21,4). Im Buch Jesus Sirach heißt es zu Noah: „Der gerechte Noah wurde untadelig befunden, zur Zeit des Untergangs war er ein neuer Anfang. Durch ihn blieb der Rest erhalten, der Bund mit ihm beendete die Sintflut. Ein ewiger Bund wurde mit ihm geschlossen. Nie wieder sollte alles Leben vernichtet werden“ (Sir 44,17f; vgl. Gen 8,21; 9,9-11). Vernichtet hat Gott selbst das Leben der Menschheit, weil „alle Wesen aus Fleisch auf der Erde verdorben“ lebten und die Erde „voller Gewalttat“ war (Gen 6,13f).

„Aus Fleisch“ bedeutet: ‚animalisch’ wie die am Vormittag des ‚6. Schöpfungstages’ vor dem Menschen geschaffenen Erd-Tiere, also ‚irdisch’, ohne dauerhaft einwohnenden göttlichen Geist und seine Weisheit, ohne Glauben und Gerechtigkeit (Gen 6,3). Auch der Brudermörder Kain ist in diesem Sinn Repräsentant des (animalischen) „Fleisches“ oder des ‚äußeren Menschen’ gegenüber dem erschlagenen ‚ersten Gerechten’ Abel als Repräsentant des Geistes oder des ‚inneren Menschen’, mit dem die Kirche als „Ekklesia ab Abel“ (Lumen gentium 2) wie auch die verborgene, innere Gottesherrschaft auf Erden beginnt (Hebr 11,4; vgl. Lk 17,20f).

 

Anfang des Glaubens: „Wir sind erlösungsbedürftig“

Die gegenwärtige Zivilisationskrise kann die globalisierte Welt zur Umkehr und Besinnung bringen, muss es aber nicht. Auch als in der Karwoche 2019 die Kathedrale Notre-Dame von Paris, das ‚Herz der Franzosen’, fast abgebrannt wäre, gab es ein globales Erschrecken und Innehalten. Weit mehr dürfte aber der sich schon bald zuspitzende Klimawandel, das ‚brennenden Haus’ der Erde (Greta Thunberg), als ein Zeichen der Zeit begriffen werden, das eine radikale Umkehr verlangt. Auch im Zusammenhang mit der Coronakrise ruft der Papst die Menschheit zur Umkehr auf.

Wegen der Corona-Pandemie konnte Franziskus in der vorösterlichen Fastenzeit 2020 nur mutterseelenallein auf dem menschenleeren Petersplatz in Rom um ein Ende der Coronakrise beten, der schon Zehntausende Menschen zum Opfer gefallen waren. Dabei spendete er in einer historisch einmaligen Geste vor dem dazu auf den Stufen des Petersdoms eigens aufgestellten Pestkreuz der Stadt Rom aus dem 15. Jahrhundert sowie der beliebten Marienikone Salus populi Romani von Maria Maggiore mit dem Allerheiligsten den Segen Urbi et orbi (der Stadt und dem Weltkreis), der normalerweise nur an Ostern und Weihnachten sowie nach der Wahl eines neuen Papstes gespendet wird.

Eindringlich rief er zur Umkehr auf und dazu, „Jesus in die Boote unseres Lebens“ einzuladen und ihm unsere Ängste zu übergeben, „damit er sie überwinde. Wie die Jünger werden wir erleben, dass wir mit ihm an Bord keinen Schiffbruch erleiden.“ Zugleich erinnerte der Papst an die Endlichkeit und Schwachheit, ja Abhängigkeit des Menschen: „Der Anfang des Glaubens ist das Wissen, dass wir erlösungsbedürftig sind. Wir sind nicht unabhängig, allein gehen wir unter.“

Erlösungsbedürftig heißt aber, von der Erbsünde geprägt, ja zur ‚Unfruchtbarkeit’ verurteilt. In der Osternachtfeier mit der Tauferneuerung wird auch die ‚Absage’ an den Satan, den „Urheber des Bösen“, erneuert, „um in der Freiheit [und Fruchtbarkeit] der Kinder Gottes zu leben“ (GL 573.8). Der Satan ist wie die Schlange biblisch die widergöttliche Todesmacht, aus der Jesus mit seiner Menschwerdung bis hin zum Kreuzestod erlöst (Hebr 2,14f; Apg 10,38). Die westliche Theologie hat Teufel und Erbsünde eigentlich längst ‚entsorgt’, während der argentinische Papst sehr häufig davon spricht.

 

Sitzt die ganze Menschheit in einem Boot?

Der Ausnahmezustand durch die Pandemie ist hierzulande daher auch kein Anlass, über die allgemeine Erlösungsbedürftigkeit nachzudenken, sondern weckt eher die Hoffnung, dass die Menschheit nun endlich solidarisch zusammenrückt. So sagte der frühere Außenminister Joschka Fischer: „Acht Milliarden Menschen sitzen angesichts des Virus eben in ein und demselben Boot“ (FAZ, 31. März 2020). Kann ein Virus die Menschheit einen, die doch seit dem Turmbau zu Babel (als Endpunkt des Sündenfalls) keine gemeinsame Sprache mehr spricht (Gen 11,1-9)? Sind wir denn alle Kinder des einen himmlischen Vaters und somit Brüder und Schwestern und nicht mehr „von Natur aus Kinder des Zorns“ (Eph 2,3)?

Einige Theologen haben diese Schlussfolgerung längst gezogen, so auch Kardinal Reinhard Marx in seinem Hirtenbrief zu Beginn der Österlichen Bußzeit 2020, in dem es heißt, dass „jeder Mensch – ob Mann oder Frau, schwarz oder weiß, arm oder reich, krank oder gesund – Kind Gottes ist“. Im Evangelium heißt es dagegen: „Wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt“, sagt Jesus, „der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 12,50; vgl. 7,21).

Jesus „behauptet hier … einen Vorrang des Übernatürlichen vor dem Natürlichen, das heißt des Geistlichen vor dem Fleischlichen, des göttlichen Willens vor dem menschlichen Willen. (…) ‚Den Willen Gottes zu tun, der sich im Wort Jesu offenbart, begründet die ‚Verwandtschaft’, die Gemeinschaft mit Jesus’ [Heinz Schürmann]“ (Manelli, Biblische Mariologie, 323). Jesus ist „der Erstgeborene von vielen Brüdern“, die durch die Taufgeburt dem österlich Auferstandene gleichgestaltet werden (Röm 6,5; 8,29; Joh 20,17).

 

Erst der Glaube lässt die Menschheit eine werden

Im Hinblick auf die Pandemie sagte Papst Franziskus (im Interview mit der italienischen Tageszeitung „La Stampa“): „Wir dürfen nicht zwischen Gläubigen und Nichtglaubenden unterscheiden.“ „Gehen wir an die Wurzel: die Menschlichkeit. Vor Gott sind wir alle Kinder.“ Wenn er aber beim außerordentlichen Segen mit dem Allerheiligsten dazu auffordert, Jesus ins Boot einzuladen, das heißt doch: das Wort, den göttlichen Logos, als „das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet“, aufzunehmen, das Macht gibt, „Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1,9.12), dann ist dies eine Aufforderung zum übernatürlichen Glauben, den die Menschheit aufgrund der Erbsünde natürlicherweise gerade nicht hat. Vielmehr lässt erst der eine wahre Glaube die Menschen zu der einen Menschheit werden, weil sie den im Boot hat, der alle im Anruf des Namens Gottes vereint (Joh 17,6.11).

Die Kirche, so die dogmatische Kirchenkonstitution Lumen gentium, ist „in Christus gleichsam … Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). Wer durch Glauben und Taufe Jesus, den Logos oder die göttliche Weisheit, mit ins Boot nimmt und so wieder gebildet wird nach der ursprünglichen „Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24), der ist auch wieder Mensch nach dem Herzen Gottes und so Kind Gottes. Immer ist es der Geist Gottes, „der uns zu Kindern Gottes macht“ (Gebet vor dem Vaterunser in der Messe) und damit auch zu „Erben Gottes und Miterben Christi“ (Röm 8,16f; vgl. Gal 4,7), während natürliches Fleisch und Blut „das Reich Gottes nicht erben“ können (1 Kor 15,50).

 

Pandemien als Chance für etwas grundsätzlich Neues

Die Vorsitzende des Deutschen Historikerverbands, Eva Schlotheuber (Düsseldorf), erwartet aufgrund der Coronakrise weitreichende gesellschaftliche Folgen. Denn Pandemien waren „immer wieder Ausgangspunkt von etwas grundsätzlich Neuem“; sie offenbarten „schonungslos die Schwächen des Status quo.“ Die Fragen nach dem Tod und dem Sinn des Lebens gewönnen wieder an Gewicht: „Vielleicht werden wir ganz neuartige religiöse Strömungen sehen.“ Die klassischen Kirchen würden davon aber nicht profitieren.

In der gesellschaftlichen Zurückgezogenheit vieler Menschen sieht die Mittelalter-Professorin und Kirchenspezialistin auch eine Chance, denn die Situation erinnere sie an die große Zeit der christlichen Orden und des Klosterwesens: „Im Mittelalter hat die selbst auferlegte ,Ausgangssperre’, die Klausur der Mönche und Nonnen, zu großen intellektuellen und kulturellen Innovationen geführt. Es hat sich für sie eine innere Welt geöffnet, als die äußere abgeschlossen blieb.“ „Dass die Pandemie in den Industrienationen die Illusion zerstört, dass Mensch und Natur grenzenlos beherrschbar sind, kann auch einen Weg frei machen“ (Neue Osnabrücker Zeitung, 26. März 2020).

Die Ausgangssperre oder ‚Quarantäne’, franz. quarante de jours, bedeutet ‚40 Tage’ (vgl. Lev 12,1-4). Die ‚Öffnung einer inneren Welt’ nach ‚40 Tagen’ beziehungsweise ‚40 Jahren’ ist auch in der Bibel das Ziel des Exodus Israels aus ‚Ägypten’, das heißt dem unerlösten ‚Fleisch-sein’ am 6. Schöpfungstag, was nicht ohne die ‚zehn Plagen’ geht, mit denen der ‚Pharao’ von Gott ‚geschlagen’ wird, damit Israel ausziehen und den Weg der Befreiung gehen kann (Ex 7,1 – 11,10). Darunter befindet sich an fünfter Stelle auch eine „schwere Seuche“ oder Pest (Ex 9,15).

 

Israels Befreiung durch die zehn Plagen

Bischöfe und Theologen versicherten im Hinblick auf das Corona-Virus unisono, dass Seuchen oder Pandemien keine ‚Strafe Gottes’ seien (wohl auch, weil pädagogische Strafen heute generell als verwerflich gesehen werden, während der Staat bei der Einhaltung der Verhaltensregeln zu Corona keineswegs darauf verzichtete, sondern das Ausgehverbot teils drakonisch durchsetzte). Aber sie sind doch nach Klaus Berger „als Spiegel der Welt und insofern als Attribute des Unerlöstseins“ zu begreifen:

„Die Katastrophen sind ein Teil des Kommens Gottes.“ Mehr noch „kommt die Verwandlung der Welt in Gang durch Sakramente und Heiligen Geist. Daher beginnen fast alle Gebete um den Heiligen Geist mit ‚Komm’! Und genau so geschieht es durch die Sakramente, dass Gott kommt“ (Eine apokalyptische Seuche?, in: DT, 2. April 2020).

Der Exodus Israels ist wie die Taufe als Wiedergeburt im Heiligen Geist eine Art Geburtsprozess. Die vorausgehenden zehn Plagen, eigentlich Schläge, sind daher auch Geburtswehen. In ihrer Struktur entsprechen die zehn Plagen in gewisser Weise den zehn Urpotenzen (Eigenschaften) Gottes im kabbalistischen Sefirot-Baum, der wiederum analog zur Gestalt des Menschen ist mit rechter und linker Seite und der Wirbelsäule als Mittelachse. So sind die zehn Plagen geordnet nach drei Triaden, die von oben nach unten in die zehnte (‚weibliche’) Plage einmünden: 1. Blut im Wasser, 2. Frösche, 3. Stechmücken; 4, Ungeziefer, 5. Pest; 6. Ofenruß; 7. Hagel, 8. Heuschrecken, 9. Finsternis; 10. Schlagen der Erstgeburt (Ex 7,1 – 11,10).

 

Übernatürliche Geistgeburt nicht ohne Schmerzen

Die 9. Plage der Finsternis wird in der jüdischen Überlieferung erklärt „als einen vollkommen Stillstand, eine Bewegungslosigkeit“. „Das alte Leben ist mit dem Samen in die Gebärmutter gekommen, begegnet dort dem schon der Mutter gehörenden Ei. Und neues Leben fängt an zu wachsen, zu gedeihen“, so Friedrich Weinreb („Das jüdische Passahmahl“, 138). Der Moment der Finsternis ist „der Zustand ‚null’“ und „wie der Neumond“ (ebd.), wobei der Exodus selbst nur bei Vollmond stattfinden kann, dem 14. Nisan, dem ersten Monat im Frühling (Ex 12,6) als österliches Zeichen für den voll ‚erleuchteten’ Körper. Mit der 9. Plage der Finsternis wird das Alte „abgerissen, das Bauen des Neuen muss erst anfangen. Sogar physisch ist Licht Bewegung. Finsternis, als Gegensatz zum Licht, ist dann Stillstand. Eigentlich Tod“ (ebd.). Der Erlösungsweg geht also durch den Tod zum Licht und zum ewigen Leben im ‚gelobten Land’.

Mit dem Schlagen der Erstgeburt (10. Plage) kommt der „Durchbruch zum Wunder der Geburt“: „Wenn aber der Mensch, trotz dieses Erlebnisses des Durchbruchs, … nicht imstande ist, nach diesen Schlägen, nach diesem Bankrott, nach diesem Versagen, einzusehen, dass Israel [im Menschen] etwas ist, das nicht an Zeit und Raum geknechtet sein kann, Israel also nicht ziehen lässt aus dieser Welt von Mizraim [Ägypten], dann wird die Erstgeburt in Mizraim geschlagen. Dann gibt es für den Menschen keine Möglichkeit mehr, hier umzukehren. (…) Er kann nicht mehr wollen, es ist alles zu bei ihm“ (140). Er gehört dann nicht zu dem „Fünftel“ (Quint-essenz), das in ‚Ägypten’ leidet und auszieht, weil es Sehnsucht hat „nach Liebe, nach Hingabe, Sehnsucht nach Gott auf dem Thron der Liebe“ (120) statt auf dem Thron der Gesetze. Wie es bei der natürlichen Geburt nicht ohne Leiden (und bisweilen auch Sterben) abgeht, so auch nicht bei der übernatürlichen Geistgeburt.

 

Palmsonntag: Vorahnung von Christi triumphierender Wiederkehr

Als messianischer König und Bräutigam begegnet Jesus seiner Stadt Jerusalem, die ikonographisch manchmal als königliche Jungfrau personifiziert wird, bei seinem Einzug am Palmsonntag. In der Orthodoxie ist Palmsonntag eines der zwölf Hochfeste des Kirchenjahres und vermittelt schon eine Vorahnung von Christi triumphierender Wiederkehr. Wenn Abraham und Isaak gemeinsam den Berg „Mori-jah“ (= JHWH ist mein Lehrer) hinaufsteigen, dann lassen sie die zwei Jungknechte mit dem Esel zurück (Gen 22,5). Die Zweiheit und der Esel stehen für die körperliche Welt, der Aufstieg mit dem Feuerholz und dem Feuer ist ein mystischer Aufstieg zur Einheit mit Gott im ‚Brandopfer’ und der Öffnung des Himmels (V.11). Auch Jesu Einzug Jesu im Damensitz auf einer Eselin in seine Stadt nimmt die mystische Hochzeit vorweg, die sich dann am Kreuz vollzieht im Bundesblut des Lammes als „Hochzeitsgabe“ an die Braut, die „dem Blute des Sohnes Entsprossene“ (Hildegard von Bingen).

Im Segen Jakobs über seine zwölf Söhne heißt es: „Er (Juda) bindet an den Weinstock seinen Esel, an die Rebe das Füllen seiner Eselin“ (Gen 49,11). Diese auf den Messias bezogene Stelle greift Mt 21,2 auf: Jesus sagt zu seinen Jüngern, sie finden „eine Eselin angebunden angebunden und ein Fohlen bei ihr“, Mk 11,2 ergänzt: „auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat“. Von Juda heißt es zuvor, von ihm weicht nicht „das Zepter, der Herrscherstab von seinen Füßen, bis der kommt, dem er gehört, dem der Gehorsam der Völker gebührt“ (V.10). Gemeint ist „eine königliche Gestalt mit endzeitlicher Bedeutung aus dem Königsgeschlecht Juda, dem Haus Davids“ (Ralf Rothenbusch).

Diese Stelle findet Widerhall beim Propheten Sacharja: „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers. Er vernichtet die Streitwagen aus Efraim... Er verkündet für die Völker den Frieden“ (Sach 9,9f; Mt 21,5). Der endzeitliche Friedensfürst kommt demütig auf einem Esel, die Stadt begrüßt ihn als messianischen König: „Hosanna [Gott, hilf doch]! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!“ „Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt“ (Mt 21,9; Mk 11,9f; vgl. Ps 118,25f).

 

Der Gegensatz von Esel und Pferd

In Esel und Pferd spiegelt sich der Gegensatz von Demut und Hochmut. Esel ist hebr. chamor, der Struktur nach gleich wie chemer = Lehm als „Ausdruck der Materie dieser Erde und des Körpers“. Wie das den Körper tragende Knochenskelett Ausdruck für die ‚männliche’ Seele ist, so steht der Körper aus Lehm (Esel) für die ‚weibliche’ Fleischseite: „Der ganze Leib in dieser Welt ist somit der weibliche Teil gegenüber der Seele als dem männlichen Teil des ganzen Menschen“ (F. Weinreb, Schöpfung im Wort, 262; 264).

Mose setzt seine Frau auf einen Esel und zieht mit ihr und seinen Söhnen nach ‚Ägypten’ als Sinnbild der irdischen Körperwelt des ‚Fleisches’, um ‚Israel’ (= göttliche Seele) daraus zu befreien (Ex 4,20). Der ‚Pharao’ als Sinnbild der Todesmacht (Teufel) will Israels Exodus verhindern und zieht mit „600 Streitwagen“, gezogen vom Pferd, hebr. sus, 60-6-60, hinter den „600.000“ Mann her (Ex 12,37; 14,7). Das Pferd als ‚Tier Ägyptens’ symbolisiert wie ‚Ägypten’ selbst den unerlösten Körper vom 6. Schöpfungstag, ebenso die Sintflut, weshalb Noah im Alter von „600 Jahren“ mit seinen drei Söhnen und den vier Frauen, zusammen acht, die rettende Arche (hebr. teba = Wort) betritt (Gen 7,6f).

Nach der Literaturwissenschaftlerin Jutta Person ist in der Antike gerade der Esel „eines der ambivalentesten Tiere überhaupt“; denn er ist nicht nur der „demütige Lastenträger“, sondern ein auch „im erotischen Sinne potentes Tier“ gewesen: „Der Esel ist eben auch der geile Bock“ (Dlf, 5. April 2020). Im Bildprogramm des Christentums sei er jedoch umgedeutet worden in „ein Tier, das den Frieden verkörpert“. Jesus sei von daher „nicht der Kriegsgott“ und nicht ein Kriegsherr wie Alexander der Große hoch zu Ross, „sondern der friedliche, der versöhnende und somit eben einer, der auch ein entsprechendes Tier sich aussucht“. Heute sei der Esel zudem „auch ein Entschleuniger“, der „dieser Langsamkeit und auch dieser Passivität ein neues Gewicht“ gebe: „Dieses Nichthandeln wird positiver gesetzt. Und gerade das Eselwandern, das therapeutische Tier…, ist ja sehr populär. Man könnte da auch wieder sagen, eigentlich ist der Esel das perfekte Tier der Achtsamkeit. (…) Kein Tier kann das besser eben in Langsamkeit umsetzen als der Esel.“ Der Esel steht so „auch für eine andere Zeiterfahrung“.

 

Die verlorene kontemplative Dimension wiederentdecken

Diese Acht-samkeit und andere Zeiterfahrung als die der von rastloser Hetze, Überhitzung und Zeitnot geplagten Moderne wird sich jedoch nur einstellen, wenn die Menschheit ihre verlorene „kontemplative Dimension“ wiederentdeckt (Franziskus). Österliche Gottesdienste, die wegen der Pandemie (= das ganze Volk betreffend) ohne Gottesvolk stattfinden mussten, hat es zwar in der Geschichte der Christenheit so noch nie gegeben. Das erzwungene körperliche Fernbleiben- und gleichsam Fastenmüssen hat aber auch neu die Sehnsucht nach der „Speise der Engel“ und dem „fertigen Brot vom Himmel“ geweckt, die Gottes „zarte Liebe“ zu seinen Kindern offenbarte (Weish 16,20f); und es eröffnete die Chance, den geistigen Kern der liturgischen Feiern des christlichen Glaubens tiefer zu erfassen.

Von diesem Kern, dem Pascha-Mysterium Christi (vgl. SC 6; 61), wird im Kreis der kirchlichen Feste im Kirchenjahr immer eine andere Facette zum Strahlen gebracht. Der Kern selbst aber bleibt dabei unverändert stets derselbe, wie der Benediktiner und Liturgiewissenschaftler Odo Casel (gestorben am Ostersonntag 1948), der Begründer der „Mysterientheologie“, der „vielleicht fruchtbarsten theologischen Idee unseres Jahrhunderts“ (Joseph Ratzinger, 1965), herausgearbeitet hat:

„Dies heilige Jahr geht aus einem anderen Zeitbegriff hervor, als wir Menschen ihn haben. Das Kirchenjahr ist nicht Linie, sondern Kreis. Im Kirchenjahr gibt es nichts Neues, sondern immer dasselbe. Wir kennen heute schon seinen ganzen Inhalt. Das Kirchenjahr hat auch weder Anfang noch Ende, sondern es hat gewissermaßen zwei Ausgangspunkte: Epiphanie und Pascha, die zugleich Höhepunkte sind. Das Mysterium Christi ist immer gleich und gleich voll. Es offenbart sich in seiner Fülle, nicht in Entwicklung. Entwicklung ist menschlich, Fülle ist göttlich. Heute, am ersten Herrentag des Kirchenjahres, feiern wir schon das ganze Heilsmysterium in der Eucharistie. Man kann auch nicht sagen, der ‚Epiphaniefestkreis’ sei Voraussetzung des ‚Osterfestkreises’. Beide umfassen im Grunde dasselbe, nur nach zwei verschiedenen Betrachtungsweisen. Man könnte also ebenso gut das Kirchenjahr mit Pascha beginnen und mit der Epiphanie beenden, die dann noch mehr, als es jetzt schon der Fall ist, als Parusie erscheinen würde. (…) Wir feiern dasselbe und doch nicht dasselbe! Es ist immer das Alte, und doch ist es immer etwas Neues, das Neue. Denn es ist ja das Ewige, das Göttliche, und das Göttliche ist ewig jung und neu, weil es ewiges Leben ist. (…) Es [das Kirchenjahr] ist Symbol, Sakrament des ewigen Lebens. Deshalb geht es im Kreise. Es ist Symbol des Weges zur Ewigkeit. (...) Das Kirchenjahr ist so wahrhaft Heilsweg, zyklischer Umschwung um die Sonne Christus, Schraube, die uns von dieser Erde immer höher emporhebt und uns der unbewegten Spitze zuträgt: Gott dem Vater“ (Gegenwart des Christus-Mysteriums. Ausgewählte Texte zum Kirchenjahr).

Klaus W. Hälbig

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Kommentare: 1
  • #1

    Johann Wolf (Samstag, 11 April 2020 08:17)

    Hallo Klaus, das ist sehr viel Text. Gruss Johann