Hängen Zölibat und Weihnachten zusammen?

Bild: Der himmlische Cherub trägt zwar kein Lichtschwert wie die zölibatär lebenden Jedi-Ritter des „Ordens“ als Hüter des Guten im großen Finale der Star-Wars-Saga; aber mit seinem lodernden Flammenschwert bekämpft auch er im Verbund mit der „Macht“ (Gott) das Böse und verwehrt den Zugang zum Paradies, der an Weihnachten wieder erschlossen wird – Buchmalerei aus einer der Felsenkirche in Lalibela (13. Jh.), Äthiopien.

 

Soll die katholische Kirche darauf verzichten, von ihren Priesteramtskandidaten den Verzicht auf Ehe und Familie „um des Himmelreiches willen“ zu verlangen? Die Diskussion wurde schon im 19. Jahrhundert auch auf parlamentarischer Ebene geführt. Heute fordern auch viele in der Kirche den Verzicht vom Verzicht. Papst Franziskus wird die Frage demnächst in einem Apostolischen Schreiben beantworten. Warum aber gibt es den Zölibat überhaupt? Und was hat er mit Weihnachten zu tun?

 

Die Jungfrauengeburt erschließt das verlorene Paradies

Der Zölibat sei eine „Kostbarkeit“, die die Kirche nicht aufgeben sollte, sagte der Wiener Kardinal Christoph Schönborn im Interview mit der österreichischen Wochenzeitung „Die Furche“ (20. Dez. 2019). Damit wolle er aber die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt in besonderen Fällen nicht ausschließen. Ausgeschlossen hat sich der Mensch vom ursprünglichen Paradies der Gottesnähe, ja, Gotteseinheit durch die nicht bestandene Versuchung am Baum der Erkenntnis von Gut und Böse (Gen 3,1-6). An Weihnachten hingegen kann die Gemeinde voll Freude singen: „Heut’ schließt er (Christus) wieder auf die Tür zum schonen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür (= davor), Gott sei Lob, Ehr und Preis“ (Gotteslob 247.4).

Die verschlossene Paradiestür steht wieder offen. Oder vielleicht richtiger. Die verschlossene Osttür des Tempels in der Vision des Ezechiel bleibt für immer verschlossen, weil die „Herrlichkeit des Herrn“ nach der Reinigung des Volkes von der Sünde wieder einzieht (Ez 43,2, 44,2f). „Das Bild von den geschlossenen Pforten, wodurch die Herrlichkeit Gottes eintritt, gehört in der Tat seit dem 4. Jh. in Ost und West zur gängigen Beschreibung des Mysteriums [der Jungfauengeburt], dessen Gehalt aller Bilder überschreitet“ (Manfred Hauke, Die „Virginitas in partu“, in: Anton Ziegenaus [Hg.], „Geboren aus der Jungfrau Maria“, 88-131, 98; 109f; 121f).

Der Kirchenvater Tertullian (2. Jh.) sagt: „Auf eine neue Weise musste der Urheber der neuen Geburt geboren werden.“ Und der Bischof von Ravenna, Petrus Chrysologus (5. Jh.): „Ein Zeichen der Gottheit ist es, die Jungfrau nach der Geburt versiegelt zurückzulassen; ebenso ist es ein Zeichen der Gottheit, mit dem Leibe aus dem Grab  hervorzugehen.“ Maria ist als jungfräuliche Gottesmutter das „Tor zum Himmel – porta coeli“: „Wie ehrfurchtgebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor zum Himmel“, ruft Jakob nach seinem Traum von der Himmelsleiter und der auf- und absteigenden Engel aus (Gen 28,17). Jesus verheißt seinen Jüngern gleich zu Beginn: „Ihr werdet den Himmel offen und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn“ (Joh 1,51).

 

Wieder bekleidet mit dem Lichtkleid der Herrlichkeit

Der offene Himmel begegnet schon im Blick auf Maria und das Kind als fleischgewordenen Logos Gottes: „und wir haben seine Herrlichkeit gesehen“ (Joh 1,14). Die Menschwerdung des Sohnes Gottes beseitigt den Wächter-Engel mit dem „lodernden Flammenschwert“, der dem in der Sünde gefallenen Menschen den Zugang zum Baum des ewigen Lebens in der Mitte des Gartens verwehrt (Gen 3,24). Dies aber nicht dadurch, dass Gott nun eine ‚billige Gnade’ schenkt, sondern dadurch, dass er aus Liebe zur Welt „seinen einzigen Sohn hingab“ in den Tod am Kreuz (Joh 3,16), was schon mit der Krippe beginnt, denn Krippe und Kreuz sind aus demselben Holz.

Christi Abstieg ins sterbliche Fleisch und sein ‚Sieg’ am Kreuz erwirbt dem Menschen neu sein ursprüngliches weißes Lichtkleid statt des roten „Kleides der Erde“, das heißt des animalischen „Fellkleids“ (Gen 3,21). Im Hebräischen werden „Licht“ und „Fell“ gleich ausgesprochen (or), aber unterschiedlich geschrieben, das Licht mit Aleph (= 1) am Anfang, das Fell mit Ajin (= 70): Die Einheit ist im Fall zerbrochen in die Vielheit. Jesus hingegen will, „dass alle eins“ sind: „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind“ (Joh 17,21f). Die verlorene „Herrlichkeit“ (Doxa) Gottes wird dem Menschen im weißen Taufkleid wieder gegeben: in seiner jungfräulichen Neugeburt aus dem Wasser und dem Geist.

In der Geheimen Offenbarung des Johannes verheißt Jesus: „Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht“ (Offb 2,7). Was mit diesem Sieg gemeint ist, sagt die Präfation zum Fest Kreuzerhöhung (14. September), bei dem das Kreuz als Baum des Lebens dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse gegenübergestellt wird: „Du (Gott) hast das Heil der Welt auf das Holz des Kreuzes gegründet. Vom Baum des Paradieses kam der Tod, vom Baum des Kreuzes erstand das Leben. Der Feind, der am Holz gesiegt hat, wurde auch am Holze besiegt durch unseren Herrn Jesus Christus.“

Liturgischen Lesungstext des Festes ist die Erzählung aus dem Buch Numeri (21,8f), die das Johannesevangelium aufgreift: „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm das ewige Leben hat“ (Joh 3,14). Von todbringenden Schlangen wurden die Israeliten auf ihrem 40-jährigen Wüstenzug zur Strafe gebissen, weil sie über den Verzicht in der kargen Wüstenlandschaft auf die ‚Fleischtöpfe Ägyptens’ murrten. Sie hätten es gern üppiger gehabt, war ihnen doch die ‚Fülle des Lebens’ verheißen worden. Doch dazu muss der Mensch das Kleid des Fleisches mit den „Werken der Finsternis“ ablegen und als neues Gewand „den Herrn Jesus Christus“ anlegen (Röm 13,12-14).

 

Die Feindschaft zwischen dem Fleisch und dem Geist

Das Gelobte Land oder das Paradies der Gotteseinheit ist nicht zu haben, indem man wie alle ‚in der Welt’ lebt. Der 1. Johannesbrief (2,15-17) warnt vielmehr: „Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen, das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt und ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.“

Nach dem Sündenfall setzt Gott „Feindschaft“ zwischen dem „Samen“ (griech. Sperma) der Frau und dem der sprechenden „alten Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt“ (Gen 3,15; Offb 12,9). Nicht die von Gott geschaffene Welt an sich ist böse, sondern die verführte und gefallene Welt. Christus hat „sich für unsere Sünden hingegeben, um uns aus der gegenwärtigen bösen Welt zu befreien, nach dem Willen unseres Gottes und Vaters“ (Gal 1,4).

Die vergängliche, dem Tod verfallene Welt steht nicht unter der Herrschaft Gottes und tut auch nicht den Willen Gottes, wie im Vaterunser gebetet wird, noch heiligt sie den Namen Gottes. Vielmehr steht sie unter der Herrschaft dessen, „der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel“, und den durch seinen Tod am Kreuz zu „entmachten“ Christus „Fleisch und Blut angenommen“ hat (Hebr 2,14f).

 

Kampf zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis

Die Fleischwerdung des ewigen Schöpferwortes in Jesus am 25. März (Hochfest Mariä Verkündigung) und neun Monate später seine Geburt am 25. Dezember aus der Jungfrau Maria steht im Horizont des Kampfes des guten Gottes, der „Licht“ ist, „und keine Finsternis ist in ihm“ (1 Joh 1,5), gegen die „Finsternis“ des Bösen, was auch der christliche Kerngedanke des Weltgerichts Gottes meint: „Denn mit dem Gericht verhält es sich so: Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse. Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind“ (Joh 3,19-21).

Maria gebiert in der Heiligen Nacht jungfräulich das wahre Licht der Welt, „die Sonne der Gerechtigkeit“. Im Kirchengesangbuch „Gotteslob“ (Nr. 235) heißt es dazu: „Jesus Christus ist die ‚Sonne der Gerechtigkeit’ (Mal 3,20) und das ‚Licht der Welt’ (Joh 8,12). Seine Geburt feiert die Kirche seit dem 4. Jahrhundert am 25. Dezember, in der dunkelsten Zeit des Jahres. Der spätantike Kult des ‚unbesiegbaren Sonnengottes’ (sol invictus) trug dazu bei, Christus als die wahre Sonne der Gerechtigkeit zu verkünden. Weil er, der Sohn Gottes, das Menschsein angenommen hat, lebt er nicht nur mit uns, sondern führt uns in das göttliche Leben.“

Das Hinführen zum göttlichen Leben geschieht durch die Nachfolge Christi, der schon am Beginn seines öffentlichen Lebens mit der Versuchung durch den Teufel konfrontiert wird und diese Versuchung „40 Tage“ in der Wüste im Unterschied zum ersten Adam im Paradiesgarten besteht: „Er lebte bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm“ (Mk 1,13). Endgültig siegreich ist Jesus über ‚Sünde, Tod und Teufel’ am Holz des Kreuzes, so dass er, dessen „Speise“ es ist, „den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat“ (Joh 4,34), sich selbst, sein Fleisch und Blut, den Gläubigen in seiner Nachfolge zur wahren Engels- oder Paradiesspeise geben kann: „Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird. Denn ihn hat Gott, der Vater, mit seinem Siegel (dem Kreuz), beglaubigt“ (Joh 6,27).

 

Die Taufe: Absage an die Verlockungen des Bösen

Das Heilswerk Gottes besteht darin, „dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“ (V.29). Dieser Glaube hat sein Bundes-Zeichen im Kreuz beziehungsweise in der Taufe, die mit einem ‚Exorzismus’ als dreimalige Absage an den Teufel beginnt: „Widersagt ihr dem Bösen, um in der Freiheit der Kinder Gottes zu leben? Widersagt ihr den Verlockungen des Bösen, damit die Sünde nicht Macht über euch gewinnt? Widersagt ihr dem Satan, dem Urheber des Bösen?“ (GL 573.8). Diese „Absage“ in der Taufe ist der Anfang eines lebenslangen Kampfes; denn die Macht des Bösen ist in Christi Sieg am Kreuz zwar gebrochen, aber nicht einfach beseitigt und weggewischt.

Eindringlich macht die Pastoralkonstitution Gaudium et spes des Zweiten Vatikanischen Konzils deutlich, dass der in sich zwiespältige Mensch (vgl. Röm 7,14-24) sich sein ganzes Leben über in einem dauernden Kampf zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis befindet: „Deshalb stellt sich das ganze Leben des Menschen, das einzelne wie das kollektive, als Kampf dar, und zwar als einen dramatischen, zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis. Ja, der Mensch findet sich unfähig, durch sich selbst die Angriffe des Bösen wirksam zu bekämpfen, so dass ein jeder sich wie in Ketten gefesselt fühlt. Der Herr selbst aber ist gekommen, um den Menschen zu befreien und zu stärken, indem er ihn innerlich erneuerte und den ‚Fürsten dieser Welt’ (Joh 12,31) hinauswarf, der ihn in der Knechtschaft der Sünde festhielt. Die Sünde mindert aber den Menschen selbst, weil sie ihn hindert, seine Erfüllung zu erlangen“ (GS 13).

Der Jesuit Michael Sievernich sagt dazu: „Das Ringen um Gut und Böse, die Brüchigkeit des Daseins, die Ambivalenz des Tuns und innere Verwundung der Kreatürlichkeit lassen erkennen, dass auch jede noch so gut motivierte Weltgestaltung von jener Konkupiszenz [böse Begierlichkeit] geprägt bleibt, die – wie das Konzil von Trient sagt – ‚ad agonem’ (zum Kampf) auferlegt bleibt“ (Die gute Schöpfung und die Macht der Sünde: Zur Erbsündenlehre, in: Medard Kehl, Gott sah, dass es gut war, 279-295, hier 295).

Der Erfinder des Sturmgewehrs AK-47, Michail Kalaschnikow, schrieb ein Jahr vor seinem Tod (Dez. 2013) dem orthodoxen Patriarchen Kyrill I.: „Die Zahl der Kirchen und Klöster wächst in unserem Land, aber das Böse nimmt nicht ab. Das Gute und das Böse leben in den Herzen der Menschen nebeneinander, ringen und, was am Erschreckendsten ist, unterliegen einander – das ist es, was ich in der Abenddämmerung meines Lebens entdeckt habe.“ Der Kampf um Gut und Böse sei wie das Perpetuum mobile. Licht und Schatten, Gutes und Böses seien Gegensätze und könnten doch nicht ohne einander bestehen: „Ist es möglich, dass Gott diese Ordnung gesetzt hat?“ (KNA, Dez. 2013).

 

Ist die Schöpfung durch den männlichen Logos defizitär?

Nach dem Judaisten Peter Schäfer ist „die ursprüngliche Schöpfung, die allein durch den göttlichen Logos erfolgte, … misslungen – man könnte hinzufügen: weil sie allein durch den (männlichen) Logos erfolgte. (…) Erst am Ende eines langen heilsgeschichtlichen Prozesses … gliedert das Christentum das Weibliche in die Gottheit ein“, womit Maria gemeint ist (Weibliche Gottesbilder im Judentum und Christentum, 293f, 299).

Hier wird das ‚Allein’ des ‚männlichen’ Logos zur Ursache der auch schon vor dem Sündenfall Adams und Evas „defizitär(en)“ Schöpfung (293). Der ‚Sündenfall der Engel’ (vgl. 2 Petr 2,4) wird bei Schäfer beziehungsweise im Buch Bahir zu einer „Trennung der weiblichen Dimension Gottes von diesem selbst“, die der „Heilung“ bedarf, und zwar durch die Menschheit, die auch „Ursache dieser Störung“ ist (292). Der Unterschied von Gott und Welt erscheint hier negiert.

Nach katholischem Verständnis ist Maria zwar von der Erbsünde von Anfang an befreit (Unbefleckte Empfängnis, Hochfest am 8. Dezember), und sie wird am Ende ihres Lebens mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen (Mariä Himmelfahrt, Hochfest am 15. August). Aber Maria wird dadurch nicht zur ‚vierten’ göttlichen Person und die Dreifaltigkeit (Trinität) nicht zur Vierfaltigkeit (Quaternität) erweitert, wie dies der Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung angesichts der Dogmatisierung der ‚Himmelfahrt’ Mariens (1950) durch Papst Pius XII. gefordert hat.

Im komplexen Symbolsystem des Baums der Zehn Sefirot oder Urpotenzen Gottes in der jüdischen Mystik ist die unterste, zehnte Sefira Malchut (Königreich, Gottesreich) das ‚weibliche’ Rezeptakel der neun (3 x 3) göttlichen ‚Ausflüsse’ aus dem Ur-Einen in die Welt der Vierheit (Vielheit). In der Verbindung der 6. Sefira Tiph’eret (Schönheit, Herrlichkeit) als Herz-Zentrum dieses auch Adam Kadmon (Ursprungs-Mensch) genannten Baumes oder des ‚Himmlischen Menschen’ (vgl. 1 Kor 15,47-49) sowie der 9. Sefira Jesod (Fundament mit phallischer Symbolik) auf der Mittelachse mit Malchut besteht kabbalistisch die Erlösung. Diese Verbindung wird auch als „Heilige Hochzeit“ verstanden, die durch die ‚guten Werke’ der Israeliten beziehungsweise Juden (mit)bewerkstelligt wird.

 

Die Kirche als jungfräuliche Mutter der Gläubigen

Christlich ist „die Kirche, das heißt das im Mysterium schon gegenwärtige Reich Christi“ (Lumen gentium 3), mit Malchut vergleichbar, wobei Maria das Urbild der Kirche ist. (vgl. Lumen gentium 52 – 69). Malchut, die auch mit der Schechina (Gegenwart Gottes in der Welt) und mit der ‚Jungfrau Israel’ identifiziert wird, bildet den Übergang zwischen Gott und Welt. Im Maße, wie Israel sich der Sünde hingibt und von Gott abwendet, wird aus der Jungfrau und Braut die eitle Braut (vgl. Offb 3,17) und selbstherrliche Hure Babylon (Offb 18,7), und aus dem Abgrund treten der „Drache“ (schlangenkluge Weltweisheit) und das „Tier“ mit „zehn Hörnern“ (animalische Fruchtbarkeit und Reichtum des das „Geld“ anbetenden Homo oeconomicus) hervor (Offb 12,3; 13,1-4; 18,15; vgl. Uwe Markstahler, Das Neue Testament im Licht der jüdischen Tradition, 117-180, bes. 138-145).

Die heilige und „makellose“ Kirche (Eph 5,27) kann zwar zur Hure und „Ehebrecherin“ werden (Joh 8,3-11 wurde von den Kirchenvätern auch auf die Kirche bezogen), nicht aber die geisterfüllte Maria als heiliger Kern der Kirche. Ihr Glaube ist und bleibt unversehrt, weil sie als neue Eva im Unterschied zur ersten Eva „nicht der alten Schlange [= gefallener Engel], sondern dem Boten Gottes [= himmlischer Engel] einem von keinem Zweifel verfälschten Glauben schenkte“ (Lumen gentium 63).

Durch diesen Glauben wird sie zur jungfräulichen Mutter der Sonne der Gerechtigkeit und mit ihr alle, die im jungfräulichen, von Gottes Heiligem Geist als Feuer befruchtetem Schoß (Taufbecken) der Kirche wiedergeboren wurden: „Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch [= unter der Herrschaft von Sünde und Tod]; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, wenn ich (Jesus) dir (Nikodemus) sagte: Ihr müsst von neuem geboren werden“ (Joh 3,6).

 

Die „Jungfrau Weisheit“ als Mutter der Tugenden

Bei dem jüdischen Philosophen und Exegeten Philo von Alexandrien (1. Jh.) ist die ‚Weisheit’ (Sophia) als ‚Ehefrau’ des ‚Vaters aller Dinge’ zugleich Mutter von ‚zwei Söhnen’, einem ‚älteren’ und einem ‚jüngeren’, das heißt der unsichtbar geistigen und der sichtbar sinnlichen Welt, wobei der ältere Sohn oder Kosmos noētos mit dem Logos identifiziert wird. Vom himmlischen Vater sagt Philo, er versenke „den Samen der Glückseligkeit für das sterbliche Geschlecht in die gute und jungfräuliche Erde“: „Denn mit der unbefleckten, unberührten, reinen Natur, dieser wahrhaften Jungfrau, zu verkehren ziemt allein Gott“ (vgl. Schäfer, Weibliche Gottesbilder, 64f und 69).

Gott ist aber nicht Mann der „Jungfrau Weisheit“ im sexuellen Sinn, sondern er pflanzt „die Ideen unsterblicher und jungfräulicher Tugenden in die Jungfräulichkeit, die sich [bei Philo] niemals in die Gestalt einer Frau verwandelt“. „Die Menschen sind die Kinder der Weisheit und werden von ihr mit der kostbarsten göttlichen Speise ernährt, die sie zu bieten hat: Tugend“, die aber der menschliche Geist „um der Sinnlichkeit willen verlässt“. In diesem Sinn deutet Philo die Erste Frau Eva allegorisch als Sinnlichkeit oder als „Mutter der Leidenschaften“, mit der sich der Geist oder Adam vereinigt: „Wenn aber das Schlechtere, die Sinnlichkeit, dem Besseren, dem Geist, nachfolgt, dann entsteht nicht Fleisch, sondern beide werden zu Geist.“ „Die wirklich Lebenden haben zur Mutter die Weisheit“, wahrend die Sinnlichkeit die Mutter derjenigen ist, „die in Wahrheit tot sind“ (ebd. 69-72).

Paulus sagt: „Alle, die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt. Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen“ (Gal 5,24f). Diese Weisung gilt allen Getauften, die am gemeinsamen Priestertum Christi teilhaben, im besonderen Maße aber denen, die in der Feier der Eucharistie den Gläubigen die Paradiesspeise des Lebens vom Baum des Lebens (dem Kreuz) reichen.  Noch in der syro-antiochenischen Liturgie sagt der Priester dem Täufling bei der mit der Taufe gespendeten Erstkommunion: „Die Frucht, die Adam niemals im Paradies gekostet hat [vom Baum des Lebens], wird heute mit Freuden in deinen Mund gelegt.“

 

Christus setzt nicht die irdische Fortpflanzung fort

Christus, der gekreuzigte Erlöser der Welt, lebt selbst ehelos „um des Himmelreiches willen“ (Mt 19,12), weil er nicht gekommen ist, um die irdische ‚Fortpflanzung’ des vergänglichen ‚Fleisches’ fortzusetzen, sondern weil er diese beenden, das heißt ‚erhöhen’ will, indem er das jungfräuliche Leben des Geistes in die ‚jungfräuliche Erde’ einpflanzt, beginnend mit Maria. In einem Troparion (kurzen Gedicht) der Vorfeier von Weihnachten in der Orthodoxie heißt es: „Bereite Dich Bethlehem, offen steht allen Eden./ Rüste Dich Ephrata;/ denn der Jungfrau entsprosst in der Höhle des Lebens Baum./ Ihr Schoß ward offenbar als geistiges Paradies./ In ihm wurzelt der göttliche Spross./ Wenn wir von ihm essen, werden wir leben,/ wir werden aber nicht sterben wie Adam./ Christus wird geboren,/ um das einst gefallene Bild Gottes wieder aufzurichten.“

Maria ist nicht nur das Urbild der in der Taufe jungfräulich wiedergebärenden Kirche, sondern auch „eucharistische Frau“, wie Papst Johannes Paul II. in seiner letzten Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (2003, 53) sagt. Im Lexikon byzantinisch-christlicher Symbole von Günter Spitzing (Maria, die Allheilige, 226) heißt es ähnlich: „Christus hat seinen menschlichen Leib aus ihr Maria) geformt. Weil dieser Leib gleichzeitig der als Brot und Wein genossene eucharistische Leib ist und Maria ihn in sich getragen hat (Platytera), gilt sie als Miturheberin der Eucharistie…“ Dasselbe sagt Hilarius von Poitiers: „Das aus Maria geborene Fleisch, das vom Heiligen Geist kommt, ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“

Das besondere, durch die Priesterweihe vermittelte Priestertum gibt es in der katholischen und orthodoxen Kirche (nicht aber in der evangelischen) um der Eucharistie willen, wobei dem Weiheamt eben besonders das ‚jungfräuliche’ Leben angemessen ist. Die orthodoxen Kirchen verlangen allerdings nur vom Bischof den Zölibat, weshalb er aus dem Mönchtum genommen wird. Wer Christus am Altar als „Ikone“ des Vaters darstellt, muss nicht nur männlich sein, sondern eben auch im Geist der Jungfräulichkeit Christus ähnlich werden wollen. „Jetzt“, sagt der 1. Johannesbrief (3,2), „sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“

 

Die Einheit jenseits von Tod und Sexualität

Die mit dem ‚Sündenfall’ verlorene Gottähnlichkeit des Menschen als „Bild Gottes“ wird mit der Taufe als ‚Anziehen’ von Christus im weißen Taufkleid der Gnade oder als Neuschöpfung nach dem Bild Gottes „in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24) wiederhergestellt. Der aus dem Wasser und Geist wiedergeborene Täufling empfängt Christus als jenes Lichtkleid unvergänglicher Herrlichkeit, das schon den ‚nackten‘ Adam im Paradies bekleidet hat und das mit dem Sündenfall durch ein „Tierfell“ (Gen 3,21) als Symbol des ‚tierähnlich‘ und ‚sterblich‘ gewordenen Menschen ersetzt wird.

Das Kleid der Taufe, sagt der Liturgiewissenschaftler Michael Kunzler, wird „Ausdrucksmittel der neuen Glaubenswirklichkeit, der Umhüllung des vergänglichen Fleisches mit Leben, des Neuerwerbs des ursprünglichen Kleides der ungeschaffenen Gnade, die Gott selbst ist“ (Die Liturgie der Kirche, 205). Die Taufe führt so zurück ins Paradies der Einheit mit Gott und untereinander, in der es die Zweiheit der Geschlechter nur so gibt, dass sie ganz auf die Einheit des ‚Ein-Fleisch-seins’ (und Ein-Geist-seins) ausgerichtet ist (Gen 2,24; vgl. Gal 3,28). Die Sexualität im natürlichen oder irdischen Sinn kann es erst geben, wenn der Mensch mit dem Fall sterblich geworden ist; denn Zeugung/Geburt implizieren auch den Tod.

Diesen hat der Schöpfer als „Freund des Lebens“ und „Gott der Lebenden“ aber nicht gemacht (Weish 1,13; 11,26; Mt 22,32), sondern er ist die Folge der Abwendung vom übernatürlichen Quell des Lebens in der Sünde (Röm 5,12), das heißt vom lebendigen Wort Gottes, das als „Baum des (ewigen) Lebens“ in der Mitte des Paradiesgartens steht, zusammen mit dem „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ (Gen 2,9). Dieser Baum wird in Gestalt des fruchtlosen Feigenbaums von Jesus verflucht, so dass er bis zur „Wurzel“ verdorrt (Mk 11,14.20). Denn Jesus konnte außerhalb der Erntezeit an ihm nur Blätter und keine Früchte finden, die er aber doch gewollt hat. Adam und Eva haben nach dem Griff zur begehrlichen Frucht des Baumes der Erkenntnis ihre dann entdeckte Blöße mit den Blättern dieses Feigenbaumes verhüllt (Gen 3,1-7).

 

Liebe verbindet Sein und Zeit, Einheit und Vielheit

Außerhalb des Paradieses ist die Fruchtbarkeit des Menschen als „Fleisch“ nur noch verweslich, so wie die um des Menschen willen verfluchte Erde nur noch „Dornen und Disteln“ hervorbringt (Gen 3,17f). Im Gleichnis von den vier Qualitäten des Erdbodens, in dem der von Jesus als göttlichem Sämann ausgestreute „unvergängliche Samen“ des Wortes Gottes (1 Petr 1,23) fruchtbar werden will, trägt ein Teil nur „Dornen“, weil „die Sorgen der Welt, der trügerische Reichtum und die Gier nach all den anderen Dingen“ das Wort im hörenden Herzen ersticken (Mk 4,18f). So aber bleiben Sein und Zeit, Einheit und Vielheit unverbunden, statt im göttlichen Bund der Liebe eins zu sein.

Jesus, so erklärt Friedrich Weinreb, hungert – wo er nach den Früchten des Feigenbaumes sucht – „nach Liebe“: „Liebe ist immer da“, so wie der Baum des Lebens immer da ist (Das Markus-Evangelium II, 504f). Die Liebe vereint die Gegensätze von Sein und Zeit, des ‚Männlichen’ und des ‚Weiblichen’, und spaltet nicht wie der Baum der Erkenntnis das Innere vom Äußeren, das Sein vom Werden, wobei im Hebräischen ‚Er-innerung’ (secher) und das ‚Männliche’ (sachar) den gleichen Stamm haben. Das Essen der Eucharistie als ‚Erinnerungs’-Mahl der Liebe vom Baum des Kreuzes vereint wieder Sichtbares und Unsichtbares, Welt und Gott, weshalb christlich das Kreuz – wie im Judentum die Thora als Gottes Wort und Weisheit (vgl. Spr 3,18) – schon sehr früh mit dem Baum des Lebens und die Eucharistei mit der lebensspendenden Frucht identifiziert.

Wie die Taufe das Sakrament der Einheit im Glauben ist, so ist die Eucharistie das Sakrament der Einheit in der Liebe (und die Firmung das Sakrament der Einheit in der Hoffnung). Die „in Geburtswehen“ liegende ‚weibliche’ Schöpfung seufzt „bis zum heutigen Tag“ in ‚guter Hoffnung’ und wartet mit den Gläubigen darauf, „dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne (Gottes) offenbar werden“ (Röm 8,21-23). Die Erlösung unseres Leibes von Sünde und Tod bedeutet seine Verwandlung, Verklärung und Vergeistigung in der Auferstehung als Überwindung des Todes.

 

Geist und Fleisch: irdischer und himmlischer Mensch

Paulus führt im 1. Korintherbrief (15,42-49) aus: „Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auferweckt wird, ist stark. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib. (…) Der Erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der Zweite Mensch stammt vom Himmel. Wie der von der Erde irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren (Nachkommen). Und wie der vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren. Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden.“

Der Erste Mensch wird dem Leib nach aus dem „Staub“ der ‚Mutter Erde’ (Adamah) gemacht (Gen 2,7; 3,19), die vor dem Fall als „jungfräulich“ gesegnet gilt (Flavius Josephus, Irenäus u. a.). Seine himmlische Seele (Neschamah) aber entstammt dem Lebenshauch des lebendig machenden Geistes Gottes. In der Kraft dieses Geistes kommt Gottes Wort ins ‚jungfräuliche’ Fleisch und damit in die Welt gleich dem ‚männlichen’ Weizenkorn, das in die ‚weibliche’ Ackerfurche der Welt fällt und stirbt, um die reiche Frucht der Heiligkeit und Gerechtigkeit zu bringen (vgl. Joh 12,24).

Sein ‚zweites Kommen’ in Macht und Herrlichkeit ist hingegen das des Feuergerichts über die Welt, bei dem die Spreu vom Weizen, der Kern von der Umhüllung getrennt (Mt 3,12; Ps 1,4) und die Frucht zur Einheit gebündelt und gesammelt wird, das heißt zur ‚Versammlung’ (Ekklesia) der Kirche als ‚makelloser’ Braut, mit der der himmlische Bräutigam die ‚Hochzeit’ als ewiges ‚Ein-Fleisch-und-ein-Geist-sein’ feiern kann (vgl. Eph 4,4-6; 5,25-32).

Jenseits des Paradieses ist der Mensch Erde und Staub; seine Arbeit trägt keine bleibende Frucht, alles Gebären geschieht in schmerzvollen Wehen bis zum Schmerz über den (frühen) Tod. Glaube, Liebe und Hoffnung als christliche Geist-Tugenden verheißen die Rückkehr ins verlorene Paradies oder ins Himmelreich der vollkommenen bräutlichen Liebesgemeinschaft mit Gott und untereinander. Diese Verheißung ist aber nicht bloße Zukunft, sondern mit dem ‚ersten Kommen’ des Messias im ‚Fleisch der Welt’ auch schon anfanghaft, im Keim (des Samenkorns) oder der ‚Substanz’ nach Gegenwart.

 

Ursprüngliche Zeugungskraft und Fruchtbarkeit des Geistes

Papst Benedikt XVI. hat in seiner Enzyklika „Spe salvi – Über die christliche Hoffnung“ (2007) darauf hingewiesen, dass nach dem Hebräerbrief (11,1) der Glaube „Hypostase dessen ist, was man hofft; der Beweis von Dingen, die man nicht sieht“. Das griechische Wort hypostasis war nach den mittelalterlichen Theologen „im Lateinischen mit substantia zu übersetzen“, das heißt, „dass in uns durch den Glauben anfanghaft, im Keim könnten wir sagen – also der ‚Substanz’ nach –, das schon da ist, worauf wir hoffen: das ganze, das wirkliche Leben. Und eben darum, weil die Sache selbst schon da ist, schafft diese Gegenwart des Kommenden auch Gewissheit“ (7). „Es ist Warten auf Kommendes von einer schon geschenkten Gegenwart her. Es ist Warten in der Gegenwart Christi, mit dem gegenwärtigen Christus auf das Ganzwerden seines Leibes, auf sein endgültiges Kommen hin“ (9).

Das erlösende Ganzwerden des Leibes Christi rekapituliert das paradiesische Einssein des Männlichen und des Weiblichen vor dem Fall. Nach Hans Urs von Balthasar wird in der Menschwerdung Gottes und besonders in der Person Mariens „das jenseits von Sexualität und Tod liegende ursprüngliche, absolute Geschlechterverhältnis in einer erlösten Welt antizipiert ..., [so] nimmt die Rückführung der Geschlechter ‚in den edenischen Urstand‘ ihren Anfang. In Christus verweist Maria als endzeitliches Zielbild der zur Kirche gewordenen Menschheit auf die Überhöhung und Überwindung der natürlichen Geschlechtlichkeit, auf den Himmel. Dort wird nicht mehr geheiratet (vgl. Mt 22,30), sondern die jungfräulich-reine Braut Christi erfreut sich ewig der Liebe ihres Bräutigams“ (vgl. Susanne Greiner; Die Würde der Frau, in: Lehmann/ Kasper [Hg.], Hans Urs von Balthasar – Gestalt und Werk, 1989, 296f).

Für den Baseler Theologen ist die Eucharistie als Frucht von Jesu vollkommener Liebeshingabe erhöht am Kreuz „ – auf höherer Stufe – ein endloser Akt fruchtbarer Ergießung seines ganzen Fleisches, wie ihn der Mann nur einen Augenblick lang mit einem beschränkten Organ seines Leibes vollziehen kann“ (Klarstellungen, 136). In seiner frühen Studie zu Maximus Confessor schreibt er: In Christus „findet die Zeugungskraft des Geistes zurück zu jener ursprünglichen Fruchtbarkeit des Geistes, die der Sünde vorauslag“ (Kosmische Liturgie, 271).

 

Jesu Liebeshingabe als Urbild der sexuellen Hingabe

Die in der Eucharistie fruchtbar werdende Liebeshingabe Christi kann von daher Urbild gerade auch der sexuellen Liebeshingabe sein, wie umgekehrt diese „ein Bild der eucharistischen Gabe werden“ kann: „Die Sexualität wird umso wahrhaftiger sein, je mehr sie ein wahres Bild Christi und der Kirche ist, wie der hl. Paulus sagt: das heißt, ein wahres Bild der Eucharistie. (…) Das Bild Christi, der über die reine Sexualität hinaus totale Selbsthingabe des Leibes ist, bewirkt, dass es in der Ehe die Sakramentalität der partnerschaftlichen Beziehung gibt“ (so im Interview „Der Geist ist es, der die Menschen bewegt“, in: Die Tagespost vom 27. Nov. 1986).

Christus, so sagt es das Konzil (LG 7), „liebt die Kirche als seine Braut; er ist zum Urbild des Mannes geworden, der seine Gattin liebt wie seinen eigenen Leib“. Der Priester repräsentiert dieses „Urbild des Mannes“ und die Zeugungskraft des Geistes (als ‚Vater/Pater’) im Gegenüber zur marianisch-weiblichen Kirche. Friedrich Nietzsche diagnostizierte 1886: „Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken – er starb zwar nicht daran, aber entartete, zum Laster“ (Jenseits von Gut und Böse, IV, 168). Papst Benedikt XVI. hat diesem Vorwurf in seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“ (2005, 5) mit dem Hinweis widersprochen, dass „die Herausforderung durch den Eros dann bestanden“ ist, „wenn Leib und Seele zu innerer Einheit finden“.

Auch für Johann Georg Hamann (1730–1788), Metakritiker der philosophischen Kritiken von Immanuel Kant, besteht die Vollendung der Welt in der „Vermählung des menschlichen Geschlechts oder vielmehr der Kirche Gottes und Jesu“:  „In diesem Zusammenhang“, so Hans Urs von Balthasar, „ist es für Hamann unerlässlich, auf die (gewiss jungfräuliche) Geschlechtlichkeit des Erlösers hinzuweisen, weil dies sowohl vom Paradies, wie vom Hohenlied wie von der eschatologischen Hochzeit und Vollendung der Schöpfungswirklichkeit her erfordert ist. Für Hamanns Ästhetik ist diese Bergung des Eros in der Agape entscheidend wichtig. Hamanns „Endformel“ ist die „Coincidentia oppositorum“: „Menschliche Sinnlichkeit verbirgt das Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Geschöpfliche Geschlechtlichkeit ist verhülltes Geheimnis des himmlischen Eros von Christus und Kirche“ (Herrlichkeit II/2, 627f; 637; 642).

Von daher hat nicht das Christentum den irdischen Eros vergiftet, sondern es hat den himmlischen Eros wieder zur Geltung gebracht, nachdem im Sündenfall der Eros nur noch irdisch und damit ambivalent geworden war. Dass diese ‚Klärung’ des Eros auch mit manchen Übertreibungen, Verkümmerungen, Verdrängungen und ‚Beschädigungen’ einherging, sei aber nicht bestritten (vgl. Gottfried Bachl, Der beschädigte Eros. Frau und Mann im Christentum, 1989).

 

Der Liebestod am Kreuz entgiftet den Eros

Papst Benedikt XVI. sagte in seiner Botschaft für die Fastenzeit 2007 (21. Nov. 2006) mir Bezug auf die Propheten Hosea und Ezechiel, „dass der Eros zum Herzen Gottes selbst gehört: der Allmächtige erwartet das ‚Ja‘ seiner Geschöpfe wie ein junger Bräutigam das seiner Braut. (…) Um die Liebe seines Geschöpfes wiederzugewinnen, hat Er einen sehr hohen Preis aufgebracht: das Blut seines eingeborenen Sohnes. Der Tod, für den ersten Adam Zeichen der äußersten Einsamkeit und Ohnmacht, wurde gewandelt in den höchsten Akt der Liebe und Freiheit des neuen Adam. So kann man mit Maximus dem Bekenner sagen, dass Christus ‚sozusagen göttlich gestorben ist, weil er freiwillig gestorben ist‘ (Ambigua 91,1056). Im Kreuz enthüllt sich Gottes Eros zu uns. (…) Es ist die erschütterndste Offenbarung der Liebe Gottes, einer Liebe, in der Eros und Agape jenseits von allem Gegensatz sich gegenseitig erhellen. Am Kreuz bettelt Gott selbst um die Liebe seines Geschöpfes: Ihn dürstet nach der Liebe eines jeden von uns.“

Der sich in der Erniedrigung des Kreuzes offenbarende Gott dürstet nach der Liebe jedes einzelnen Menschen. Zugleich schenkt er sich ihm in seinem eucharistischen Leib und Blut Christi als jenes „Gegengift“, das, so Gregor von Nyssa, das Gift des Todes überwindet: Der eucharistische Leib Christi hebt „durch Mitteilung seiner Unsterblichkeitskräfte den Schaden jenes Giftes wieder auf“. Im Hebräischen hat „Gift“, Sam, auch zu tun mit dem Wort für Kleidung, Umhüllung, Simlah, mit Samael (Satan) und Smol, links: die linke oder ‚andere’ Seite. Genauer macht das Gift der Fruchtbarkeitsschlange den Menschen „blind und taub … für die Macht der Liebe“ als Macht der Einheit. Der Mensch sieht, wie Weinreb sagt, „mit dem Nehmen der Frucht vom Wachsen des Wissens … mit seinen Augen dann nur noch das Äußere“ (Leiblichkeit. Unser Körper und seine Organe als Ausdruck des ewigen Menschen, 43).

Beim Fall öffnen sich die zwei Augen (Gen 3,7), während sich das eine oder ‚dritte’ Auge der Kontemplation schließt. Nach Hugo von Sankt Viktor schließt sich mit der Sünde das „Auge der Schau“ (contemplatio), die erst wieder erreicht wird, wo „der Umgang mit der Bibel vom Äußeren zum Inneren voranschreitet“ (vgl. Volker Leppin, Die christliche Mystik, 74). Im Alten Ägypten trugen die Pharaonen das Udja, das eröffnete ‚dritte’ Auge auf der Stirn, als Symbol „der einigenden Mitte sowohl vom rechten und linken Auge, wie auch aller übrigen Polaritäten“, im Sinn der Erleuchtung als Vereinigung und Integration der Gegensätze von Himmel und Unterwelt, Sonnenauge und Mondauge, Verstand und Sinnlichkeit, des „Männlichen“ und des „Weiblichen“; nur aus der vereinigenden Mitte oder „vertikal gebraucht ist die Schlangenkraft [Triebkraft] heilsam“, so der Meditationslehrer Detlef Witt. Ihm zufolge kannten die Griechen für das vielschichtige Schlangensymbol, das die Apotheken als Äskulapstab im Zeichen führen, nur ein und dasselbe Wort: Pharmakon, „welches je nach Brauch oder Missbrauch ‚Heilmittel’ oder ‚Gift’ bedeutet“ (Die Evolution der menschlichen Gottesbeziehung, 52 und 55).

 

Zwei gegensätzliche eschatologische Wege

An Weihnachten, das dem Osterfest nachgebildet ist, verweist schon die Jungfrauengeburt durch Maria als neue Eva auf die Überwindung des Todes in der Auferstehung Jesu, der durch ‚verschlossene Türen’ geht (Joh 20,19; s. o.). Denn ‚Tür’, hebr. Daleth, ist rückwärts gelesen Toled, Geburt. Klaus Berger bemerkt in seinem neuen Buch Ehe und Himmelreich: „Der Tod kann nur überwunden werden durch Rückkehr in den Urzustand, in dem sich Adam in seinem Schlaf fand (Gen 2,21).“ „Wegen der Erschaffung Evas ist der Mensch sterblich“ (136f; vgl. Sir 25,24).

Berger sieht zwei gegensätzliche eschatologische Wege: Der eine zölibatäre und monastische Weg ist an dem einen Adam vor Evas Erschaffung und damit der Zweiheit, an den asexuellen Engeln im Himmel (Mk 12,26) und an der „Aufhebung der Sexualität“ orientiert (164-170), der andere am (sexuellen) Ein-Fleisch-sein von „Adam und Eva“ (Gen 2,24; Mk 10,7; Eph 5,31) im Paradies (170f). Diese „Paradieses-Ehe“ meint aber auch einen idealen Urzustand, bedeutet doch auch für Berger der Fall: „Die Ähnlichkeit mit Gott ging verloren“ (30; vgl. 10; 28-35). Treffend wird gesagt: „Die Überwindung der dualen Spaltung (ist) ein Grundmuster der Erlösung“ (216) „…im neuen Äon werden die Zwei zu Einem“ (229).

Die kirchliche Zölibatsforderung für die Priester hat ihren Grund also nicht in „der Angst der Kirche vor der Sexualität“, die wiederum auf einem „archaischen Reinheitskult“ basiert, „den Jesus überwinden wollte“ und womit er einen „totalen Bruch“ vollzogen habe, so der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt (SZ vom 9. Febr. 2011). Vielmehr gründet sie in dem Bewusstsein, dass der Himmel als ‚hochzeitliches’ Einssein mit dem einen Gott das Ziel des christlichen Lebens darstellt.


Kann der himmlische Erlöser irdische Kinder haben?

Schon der eine Hohepriester in dem einen Tempel von Jerusalem, dessen Dienst im Bischofsamt fortlebt (vgl. Lumen gentium 21,23), hatte im Allerheiligsten einmal im Jahr den Blutritus der Bundeserneuerung zu vollziehen und das eine (Tier-)Opfer darzubringen, dessen Sinn es ist, den menschlichen Körper (= im Bild des Tiers) „hinaufzubringen“ zur Höhe Gottes (griech. ana-phora, hebr. korban, Näherbringen zu Gott). Vom Hohepriester aber heißt es, wie Weinreb hervorhebt, „dass ‚keri‘ [= Samen, Zufall, Unreinheit] bei ihm niemals vorkommen darf“, er „muss von der Fruchtbarkeit zur Erde hin abgeschlossen sein. Deshalb ist auch nie davon die Rede, dass der Erlöser Kinder hat“ (Schöpfung im Wort, 717f).

Der Schriftsteller Dan Brown spekulierte in seinem Weltbestseller „Sakrileg“, Jesus hätte mit Maria Magdalena eine „Dynastie“ begründet und auf natürliche Weise leibliche „Blutsnachkommen“ gezeugt. Diese hätten freilich nur Kinder im irdischen Sinn sein können, nicht aber (von der Erbsünde erlöste) „Kinder Gottes“ durch übernatürliche Geistzeugung. Zu einem fruchtbaren Gerechten und Heiligen, worauf die Erschaffung des gottbildlichen Menschen ursprünglich zielt (vgl. KKK  400; 405), weil darin das Reich Gottes besteht (Mt 6,33; 1 Kor 15,49f), wird der Mensch nicht durch Familiengründung und eine große Kinderschar (vgl. Weish 3,13-16) oder durch die Verbreitung des rechten „Glaubens“ mit Feuer und Schwert, sondern allein auf dem Weg des Kreuzes: der vollkommenen Selbsthingabe als Opfergabe für Gott und die Menschen, als restlose Selbsterniedrigung und „Selbstverdemütigung“, die zur „Erhöhung“ durch Gott über alle Welt führt (Phil 2,8f; Mt 23,12; Weish 2,22f).

 

Unverzichtbare Treue und notwendige Enthaltsamkeit

So wird Jesus „der Erstgeborene von vielen Brüdern“ im Glauben (Röm 8,29) und zum Bräutigam der neuen, im Glauben geheiligten Kirche als reiner Braut, die ihm in der Kraft des Heiligen Geistes in der Taufe jungfräulich „Kinder Gottes“ und „Erben Gottes“ gebiert (Röm 8,21), die zu „sammeln“ Jesus gestorben ist (Joh 11,52). Besiegelt mit dem Zeichen des Kreuzes treten sie in seine Nachfolge ein, so in der liebenden Hingabe in der Ein-Ehe (Eph 5,25-33), enger noch in der freiwilligen Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ (Mt 19,12) und zur beständigen Feier der Eucharistie – als „Hochzeitsmahl des Lammes“ (Offb 19,9) und Vorwegnahme des Himmels, in dem nicht mehr geheiratet wird (Mt 22,30).

Jesus ist am Kreuz der ‚Sieger’ über Sünde, Tod und Teufel; das Kreuz aber ist der Baum des Lebens, wie ihn auch der Sefirot-Baum mit seinen Zehn Urkräften darstellt. Die siebte Sefira auf der rechten Gnaden-Säule heißt hebräisch Nezach (Sieg).

Die sieben Gemeinden von Ephesos bis Laodizea, denen der Seher von Patmos die sieben Sendschreiben schickt, symbolisieren, wie Uwe Markstahler (Das Neue Testament um Licht der jüdischen Tradition, 206) schreibt, „die ‚Sammlung’ (Attribut Malchut) aller Gerechten aus allen 70-Weltvölkern, die aufgrund ihres treuen Bezeugens gedemütigt und erniedrigt wurden. Gerechte sind sie, weil sie der Versuchung des ‚selbstherrlichen’ und korrupten Weltgeistes (im Zeichen des Drachens und des Tieres) widerstanden und ihn besiegt haben … bzw. weil sie sich durch die offene Annahme des versöhnenden Blutes des Pesach-Lamms von ihrem eigenmächtigen Willen (korrupte Geburah) ‚gereinigt’ (Offb 21,27; 22,11) haben und dem ersten Sieger (Nezach) Jesus treu geblieben sind.“

Auf die Treue zum siegreichen Jesus als „Lamm Gottes“ und himmlischer Bräutigam seiner Braut Kirche kann kein Christ verzichten, am wenigsten der geweiht Priester. Paulus verweist zudem auf die Notwendigkeit der Enthaltsamkeit für den Wettkämpfer im Rennen um den Siegespreis: „Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt. Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen.“ Darum „züchtige ich und unterwerfe meinen Leib, damit ich nicht anderen predige und selbst verworfen werde“ (1 Kor 9,24-27).

Klaus W. Hälbig  

 

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